— Wie schwer ist es für einen Inder, sein Business in Russland zu starten?
— Sie sollten in erster Linie verstehen, dass das Russland der 1990er Jahre und das Russland im 21. Jahrhundert zwei unterschiedliche Länder sind. Als ich mein Business in den 1990er Jahren startete, gab es hier deutliche Anzeichen eines von Mafia und von Banditen kontrollierten Marktes. Doch das ist längst Vergangenheit. Heute ist es ein stabiler, zivilisierter und gewinnbringender Markt. Man kann auf diesem Markt auch gut verdienen, wenn man sich nur Mühe gibt. Keiner bringt dir das Geld auf einem Serviertellerchen. Aber wenn man alles korrekt und gesetzeskonform macht, kann man schon erwarten, dass man Erfolg haben wird.
Sammy Kotwani, Gründer des Unternehmens „Schneider für den Kaiser“, absolvierte das Institut für Seide und Kunstsiebdruck, das zu den besten Hochschulen Indiens zählt. Nachdem er das Diplom für den Fachbereich „Textiltechnologien“ und „Webtechnologien“ bekommen hatte, setzte er sein Studium in einer der Designerschulen Londons fort. Im Jahre 1991 gründete er in Moskau das Unternehmen „Wintex Tailoring“, dessen Produktion – fertig geschneiderte Anzüge – an Botschaften, für Diplomaten und für ausländische Unternehmer geliefert wurde. Später änderte das Unternehmen seinen Namen und seine Strategie und sattelte auf den russischen Nachfrager um, dem es die außerordentliche Qualität einer maßgeschneiderten Kleidung darbot. Bereits seit über 20 Jahren bedient Sammy Kotwani seine Moskauer Kunden. Die Maße werden direkt in seinem Atelier genommen, das sich an einem historischen Ort Moskaus befindet – im Gostinnyj Dwor, unter Gewölbedecken aus dem 17. Jahrhundert. Die unmittelbare Nähe zum Kreml, zur Staatsduma, zum Föderationsrat, zu den Botschaften und zu den angesehenen Büros der Großunternehmen bestimmt den Kundenkreis. Eduard Kokojty, Nursultan Nasarbaew, Kirsan Ilumschinow, Leonid Kutschma, Wladimir Resin, Sergej Iwanow, Ewgenij Primakow, Iosif Kobson und Nikas Safronow sind nur einige Namen auf der Kundenliste des Unternehmens „Schneider für den Kaiser“.
— Ist es tatsächlich so, dass manche Inder noch in Erinnerungen schwelgen, die mit den „schlimmen 1990er“ verbunden sind?
— Man darf nicht vergessen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Indiens fließend Englisch spricht. Alle lesen englischsprachige Zeitungen, wo häufig Aussagen aus der westlichen Presse zitiert werden. Viele in unserem Land haben keine Ahnung davon, was sich in Russland tatsächlich abspielt. Es gibt sehr viele negative Berichte, und die neue Generation von indischen Unternehmern ist nicht bereit, nach Russland zu gehen. Unsere Politiker sollten sich darüber ernsthafte Gedanken machen und entsprechende Schlüsse ziehen. Die Freundschaft zwischen Indien und Russland ist stark verwurzelt. Ihr Markt ist frei, es gibt da einige Bereiche, die keine starke Konkurrenz aufweisen und von den Indern besetzt werden könnten.
— Welche Marktnischen meinen Sie konkret? Und wie sieht das indische Business in Russland aus?
— Bereits seit mehreren Jahrzehnten wird das indische Business in Moskau von ganz unterschiedlichen Firmen repräsentiert. Im Bereich Pharmazeutik möchte ich vor allem solche Unternehmen wie MJ Biopharm, Ranbaxy Limited, Naprod Life Science Pvt., Glenmark Pharma, Sun Pharma, Panacea Biotec, Unique Pharmaceuticals sowie Lupin Limited erwähnen. Im Bereich der Kommunikationstechnologien ist das in erster Linie das Projekt Sistema Shyam Teleservises Ltd. Es ist ein indischer Mobilfunknetzbetreiber, ein Joint-Venture-Unternehmen zwischen dem russischen AFK „Sistema“ (73,71% der Aktien) und der indischen Unternehmensgruppe Shyam (23,79% der Aktien). Das Thermax Ltd. ist ein führendes indisches Unternehmen, das Kesselanlagen und Chemikalien produziert. Das Unternehmen arbeitet in Russland und in den anderen Ländern der GUS bereits seit über 30 Jahren erfolgreich. Das russische Unternehmen „Schelkowyj dom Syriasilk“ ist offizieller Vertreter der Holdinggesellschaft Sabava Impex. Dieser indische Hersteller und Lieferant von Textilien ist auf dem Markt bereits seit über 15 Jahren bekannt. Das größte Lebensmittelunternehmen Indiens, Tata Tea, gründete in Russland ein Joint-Venture-Unternehmen mit dem bekannten russischen Tee- und Kaffee-Hersteller TD „Grand“. Auch die indischen Tee-Unternehmen „West-Line“ und „Indijskie spezii“ haben auf dem russischen Markt Erfolg.
— Wie attraktiv ist der russische Markt für indische Unternehmer heute?
— Was könnten Sie über die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen Indien und Russland sagen?
— Die Steigerung von Handelsumsätzen ist ein sowohl für Indien als auch für Russland realistisches Ziel, dessen Umsetzung allerdings etwas Zeit braucht. Die heute häufig angesprochene Umorientierung Ihres Landes von den westlichen Märkten hin zu den östlichen wird nicht innerhalb eines Tages passieren können. Aber all diese Prozesse spielen sich bereits vor unseren Augen ab. Und dass die Entwicklungsdynamik im Rahmen der Beziehungsentwicklung positiv ausfallen wird, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Hinsichtlich der Lebensmittelsanktionen in Russland bietet Indien seine landwirtschaftlichen Produkte an: Kartoffeln, Zwiebeln, Essiggurken usw. Eine interessante Geschichte dabei: Früher lieferte die UdSSR ihre Trockenmilch nach Indien, und heute ist es umgekehrt. Unser Land zählt heute zu den führenden Herstellern von Milchprodukten weltweit. Wir züchten auch verschiedene Großvieharten und liefern zum Beispiel Büffel-Fleisch nach Russland.
Man hat mit der Gründung von Joint-Ventures in den Regionen Krasnodar und Stawropol begonnen. Das indische Unternehmen Labindia Consultants Pvt. Ltd zieht Investoren für die Realisierung eines Pilotprojekts zur Gründung einer besonderen wirtschaftlichen Tourismus- und Erholungszone „Nowaja Anapa“ heran. Dort baut das russisch-indische Unternehmen auch ein Werk für die Produktion eines natürlich abbaubaren Öko-Geschirrs. Die Höhe der voraussichtlichen Investitionen für das Projekt beträgt ca. 460 Mio. Rubel. Einer der Vorreiter der indischen Industrie, das Unternehmen Berger Paints, kam in die Region Stawropol, um in Newinnomyssk ein Werk für die Produktion von Lacken und Farben zu errichten. Die Höhe der voraussichtlichen Investitionen für das Projekt beträgt ca. 5 Mio. US Dollar.
Um die Warenlieferungswege aus Indien zu optimieren und den Warenumsatz zu steigern, sollte man über die Renovierung des Astraсhaner Hafens nachdenken, denn diese würde die Lieferungszeiten nach Moskau und in die anderen Regionen Russlands halbieren. Zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den beiden Ländern würde auch der Übergang zu den Abrechnungen in der jeweiligen Nationalwährung beitragen. „Rubel – Rupie“ ist ein beidseitig vorteilhaftes Schema, welches erlaubt, den Dollar aus dem Abrechnungssystem auszuschließen. Davon werden alle Seiten profitieren, sowohl die Unternehmer als auch die jeweiligen Wirtschaftssysteme.
Ein wichtiger Faktor bei der Entwicklung unserer Beziehungen ist die Fähigkeit indischer Unternehmer, sich schnell an die kulturellen Besonderheiten und an die bestehenden Businessrealien des Landes anzupassen, wo sie leben und arbeiten.
— Gibt es noch weitere Beispiele der Gründung von Joint-Venture-Unternehmen? Wie erreichen die Inder bestimmte Produktionskapazitäten in Russland?
— Im Bereich der Textilindustrie haben die indischen Unternehmen alte sowjetische Fabriken gekauft und haben dort ihre eigene Textilproduktion gestartet. Diese Produktion kommt dann fast vollständig auf Ihren Binnenmarkt, ein Teil davon kommt auch auf den europäischen Markt. Das Unternehmen „Ecotex“ hat seine eigene Produktion, arbeitet sehr erfolgreich seit mehreren Jahren und ist offizieller Repräsentant von gleichzeitig mehreren indischen Textilfabriken in Russland.
Die Inder bauen in Ihrem Land ihre Werke, und es gibt sogar Unternehmen, die in Russland auch Erdöl fördern. Es ist noch nicht allgemein bekannt, dass „Sachalin -1“ das wichtigste Investitionsprojekt ist, das von indischen Partnern in Russland realisiert wird. Das Unternehmen ONGC Videsh Ltd. (OVL) besitzt laut dem Abkommen über die Teilung der Bodenschätze 20% der Aktien bei diesem Projekt. Seit 2006 bekommt das OVL seinen Anteil an den abgebauten Produkten (seit 2006 Rohöl und seit 2009 verflüssigtes Erdgas).
— Womit sollte ein indischer Unternehmer anfangen, wenn er sein Business in Russland starten möchte?
— Erstens sollte er einen kompetenten und erfahrenen Übersetzer engagieren, dem er vertrauen kann, zweitens – einen Juristen mit dem gleichen Kriterium. Man sollte dabei bedenken, dass Russland im Unterschied zu den westlichen Ländern ein Land mit einer sehr jungen demokratisch orientierten Wirtschaft ist. Die Regeln für die Businessführung und für die Beziehungen zwischen den Unternehmen und dem Staat sind noch nicht besonders stabil und werden von Zeit zu Zeit geändert. Man muss darauf vorbereitet sein, um bei der nächsten Wirtschaftskrise keine Verluste zu erleiden.
Die „Indische Business-Allianz“ bietet Unterstützung bei den Schlüsselfragen, die mit der Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen den russischen und den indischen kleinen und mittleren Unternehmen zu tun haben. Sie entwickelt und realisiert konkrete Veranstaltungen für den Austausch von Erfahrungen zwischen den internationalen Geschäftspartnern. Sie nimmt teil an internationalen Programmen, die Lehrtätigkeit, Entwicklung, Anpassung, Einführung und Begleitung von gesellschaftlichen Initiativen für das indische Business in Russland im Fokus haben. Die IBA bietet ihre Zusammenarbeit in verschiedenen Tätigkeitsbereichen, u.a. bei der Frage einer (stabilen) Entwicklung von russisch-indischen Beziehungen in politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Sphären sowie im Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsbereich.
— Welche Vorteile bietet für die Unternehmer ihre Mitgliedschaft bei der „Indischen Business-Allianz“?
— IBA ist eine nichtkommerzielle Organisation. Eine beträchtliche Hürde für kleine und mittlere Unternehmen aus Indien stellen leider die vielen bürokratischen Verfahren bei der Registrierung dar. Die Ausstellung einer Arbeitserlaubnis dauert allein bis zu drei Monate. Es kommt auch häufig vor, dass ein Unternehmer seine Firma in Russland eröffnet und als ihr Generaldirektor fungiert, dabei aber noch keine Arbeitserlaubnis in Russland besitzt. Doch eine Arbeitserlaubnis braucht nicht nur er, sondern auch seine indischen Mitarbeiter, denen er vertraut und die er nach Russland mitgenommen hat.
Die „Indische Business-Allianz“ hilft den Unternehmern, die sich an sie wenden, maximal schnell solche Fragen zu klären. Auch vonseiten der Moskauer Regierung bekommen wir Unterstützung. Ein weiterer Aspekt betrifft die Auseinandersetzung zwischen den indischen Unternehmen und der russischen Steuerbehörde im Falle der Entstehung einiger Steuerfragen. Die Steuerbehörde in Russland verhält sich häufig nicht besonders freundlich den kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber, genauso wie in vielen anderen Ländern der Welt. Daher sind wir praktisch ihre einzige Unterstützung.
— Wenn Sie die russische und die indische Bürokratie miteinander vergleichen müssten: Welche von den beiden ist „bürokratischer“?
— In Russland gibt es mehr Bürokratie, in Indien können sich die Unternehmer freier bewegen. Hier stellen sich sogar die kleinesten Beamten gern als große Chefs dar. Das ist wohl die russische Mentalität: Die Beamten arbeiten nicht nur für den Staat, sondern auch für sich selbst.
1. Seien Sie entschlossen.
Um ein Business in Russland starten zu können, braucht man Mut und eine positive Einstellung. Der russische Marktmag keine Pessimisten.
2. Suchen Sie nach Schlüsselfiguren.
Von Anfang an suchen Sie nach den richtigen Menschen für Ihre Schriftführung. Die wichtigsten sind dabei ein fähiger Jurist und ein erfahrener Übersetzer.
3. Seien Sie erfinderisch und clever.
Die Unternehmer, die glauben, die Businessführungsprinzipien in Russland wären einfach, haben Unrecht: Die Zeiten der „Tschelnoki“ sind längst vorbei, und es geht nicht mehr darum, einfach billiger zu kaufen und teurer zu verkaufen.
4. Respektieren Sie die Gesetze dieses Landes.
Wenn Sie nach Russland der Arbeit wegen gekommen sind, respektieren Sie seine Gesetze und versuchen Sie, sich anzupassen.
5. Führen Sie Ihre Geschäfte auf eine ehrliche Art und Weise.
Versuchen Sie nicht, mit den Beamten und Prüfern eine inoffizielle Beziehung zu führen. Und bestechen Sie niemanden, denn dafür kommt man ins Gefängnis.
Ich denke, dass man in Russland nicht nur die bürokratische, sondern auch die steuerliche Belastung für die kleinen und mittleren Unternehmen senken sollte. Man sollte sie sogar von einigen Steuern befreien. Speziell den kleinen Familien-Unternehmen, wo drei bis vier Leute Tag und Nacht ununterbrochen für ihr Auskommen sorgen, sollte der Staat verstärkt unter die Arme greifen. Dabei sollten eher die großen Monopol-Unternehmen wie „Rosneft“ oder „Gazprom“ hohe Steuern zahlen. Sie brauchen keine Hilfe, sie kommen auch allein ganz gut zurecht.
— Und dennoch bleiben die kleinen und mittleren indischen Unternehmen in Russland. Woran liegt das?
— Man könnte sein Business auch in Afrika führen, aber in Russland gibt es die höchste Kaufkraft unter den BRICS-Staaten. Auch die Gewinne sind in Russland in der Regel höher als in den westlichen Industrieländern. Die Inder fühlen sich hier wohl und finden mit den Russen schnell eine gemeinsame Basis. Wir fühlen uns auch an einem feierlich gedeckten Tisch ganz wohl. Ich habe schon viele Länder dieser Welt gesehen, aber nirgendwo habe ich bislang so viel Freundlichkeit und Gastfreundschaft erlebt.
— Haben Ihre persönlichen Pläne und die Pläne Ihres Unternehmens weiter etwas mit Russland zu tun?
Moskau ist eine wunderbare Stadt und gehört zu den besten Metropolen der Welt. Mich kennen viele einflussreiche Menschen des russischen Staates, weil sie zu meinen Kunden zählen. Ich kann mich nicht beklagen, denn ich habe alle Möglichkeiten, mein Business erfolgreich weiter zu entwickeln.