Laut eigener Aussage kam Bontempi eher zufällig nach Russland.
Valentino erinnert sich: „Im Jahre 2005 bot mir der Italienische Bund der Köche an, dass ich bei der Organisation der Küche in einem neuen Restaurant unterstützen könnte, das von einer Landsmännin von uns in Moskau auf dem Nachimowski-Prospekt eröffnet wurde. Ich war dort als Berater etwa fünf Monate lang tätig. Später wurde mir ein Platz als Chef-Koch in einem anderen Moskauer Restaurant, im „Settebello“, angeboten. Und irgendwann traf ich dann in Moskau meine zukünftige Ehefrau, mit ich einen Sohn habe.
— Wann wurde Ihr erstes russisches „Baby“ geboren, Ihr Restaurant für individuelle Küche „Bontempi“?
— Was war für Sie am Anfang am schwierigsten?
— Zu erreichen, dass alles richtig funktioniert. Denn man muss auf den Kunden, der Sie zum ersten Mal besucht, sofort einen guten Eindruck machen. Man darf beim ersten Treffen keine Fehler machen, sonst siehst du diesen Kunden nie wieder.
— Wie hoch sollte das Startkapital für die Eröffnung eines Restaurants in Moskau sein?
— In Moskau existieren heute hunderte von Lokalitäten, die italienische Gerichte anbieten. Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal?
— Unsere Küche ist eine der beliebtesten auf der ganzen Welt. Sie ist überall gefragt. Darin liegt auch ihr Vorteil. Ich war noch nie in irgendwelchen pseudo-italienischen Restaurants tätig. Die Gerichte, die wir anbieten, unser Service und unsere Gastfreundschaft sind typisch italienisch. Ich bin überzeugt: Die Formel des Erfolgs steckt in der Echtheit des Produkts, das wir anbieten.
— Man braucht eine gute Werbung bei der starken Konkurrenz.
— In unserem Business gibt es Dinge, die man unbedingt erfüllen sollte: hohe Qualität des Essens, professioneller Service, gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und Herzlichkeit unseren Gästen gegenüber. Wenn man diese Kriterien erfüllt, kann man davon ausgehen, dass du den Kunden bereits gewonnen hast. Zufriedene Kunden betreiben Mundpropaganda. Eine solche Werbung ist am besten, denn sie ist zuverlässig.
— Wie kam es zur Entstehung von „Pinzeria Bontempi“?
— Eines Tages wurde mir klar, dass ich neben meinem Restaurant noch eine Location brauche, eine für ein breites Publikum. Unsere Produktionskosten sind mit der Zeit gestiegen, was sich auf unsere Gewinne niederschlug. Und eine heftige Preiserhöhung hielt ich für unangebracht. Es gab aber eine andere wichtige Seite bei dem Ganzen: Ich hatte ein sehr gutes und fähiges Team herangezogen, das ich auf keinen Fall gehen lassen wollte. Die damals herrschende wirtschaftliche Situation verlangte aber nach einer Optimierung der Personalfrage. So meinte ich einfach: „Wir machen jetzt etwas ganz Neues, Eigenes, Unseres“. So wechselte ein Teil meiner Mitarbeiter in die neu eröffnete Pinzeria über, die heute eine Art Genossenschaft darstellt, mit meiner Beteiligung und mit der Beteiligung des Personals, das ich bereits in meinem Restaurant beschäftigte. Pinza wurde zum Hauptgericht unserer neuen Einrichtung.
— Wie viele Mitarbeiter haben Sie in Ihrem Restaurant und in Ihrer Pinzeria?
Die Eröffnung eines neuen Restaurants in Moskau ist heute meiner Meinung nach eine ziemlich riskante Angelegenheit. Laut Statistik wurden in Moskau in der Periode zwischen Dezember 2014 und Januar 2015 ca. 900 Cafés und Restaurants geschlossen, was 8% vom Gesamtmarkt ausmacht. Aber diese Information kann man auch als einen Konkurrenzvorteil wegen der frei gewordenen Nischen auffassen. Die ersten Ausgaben bei dem Eintritt in den Markt für das Restaurant-Business fallen für Personal, Anlagen und Raummiete an. Die Ausgaben für Anlagen betragen durchschnittlich ca. 100.000 bis 150.000 Euro. Die Preise für ein Mietobjekt variieren in Abhängigkeit von seiner Lage, dabei beträgt die minimale notwendige Raumfläche zwischen 200 und 300 m2. Der russische Markt weist im Unterschied zu den westlichen Märkten eine hohe Kundennachfrage und die Möglichkeit eines 24-Stunden-Restaurantservices auf, was sich insgesamt positiv auf den Kundenzustrom auswirkt. Moskau ist die Stadt, die 24 Stunden lang „brodelt“: Man kann viele Servicemöglichkeiten auch bei Nacht nutzen. Sogar die Moskauer Metro ist diesem Rhythmus unterworfen: Sie ist täglich nur für fünf Stunden geschlossen!
— In meinem Restaurant „Bontempi“ beschäftige ich in der Sommersaison, wenn zusätzlich noch unsere offene Terrasse genutzt wird, etwa 30 bis 35 Mitarbeiter. Bei der Pinzeria habe ich aus verständlichen Gründen von Anfang an versucht, die Mitarbeiteranzahl möglichst gering zu halten. Denn die Mitarbeiter stellen einen großen Kostenfaktor dar, den ich nicht durch hohe Preise kompensieren wollte. Daher beschäftige ich zurzeit drei bis vier Mitarbeiter in der Küche, einen Barmann und vier bis fünf Kellner. Ich habe bewusst ein ganz neues Konzept bei der Arbeitsorganisation angewendet: Hier kann jeder faktisch alles machen, d.h. jeder von uns ist ein kleiner Chef-Koch. Ich selbst komme in meine Pinzeria, die noch nach einer besonderen Aufmerksamkeit verlangt, früh morgens, arbeite mit allen zusammen und mache mit allen zusammen Feierabend. OhneSonderrechte. Ich esse auch zusammen mit meinen Mitarbeitern, obwohl ich mich über ihre Angewohnheiten auch ab und zu mal ärgere: Ich finde es einfach unmöglich, dass die Russen überall Mayonnaise hineinmachen. Ich weiß, dass ich hinter meinem Rücken als „Papa“ bezeichnet werde. Ich versuche immer zu verstehen, was wirklich passiert ist, und Fehlgriffe nicht einfach so zu bestrafen.
— Besuchen auch Ihre Landsleute Ihr Restaurant?
— Ja, zu uns kommen viele Italiener. Das ist eine gute Werbung für mein Restaurant und meine potentielle russische Kundschaft: Die Moskauer Kunden sehen meine Landsleute und glauben dann eher, dass man bei mir typisch italienische, authentische Gerichte bekommt.
— Das Gaststättengewerbe ist ein kompliziertes System: Man muss auch Fragen der Hygiene und des Brandschutzes berücksichtigen. Unsere Kontrolleure sind manchmal sehr eifrig bei ihren Besuchen. Ärgert Sie das?
— Das ist ein unabdingbarer Teil unserer Arbeit. Man sollte sich daran einfach gewöhnen. In Italien wird unser Business noch strenger als hier kontrolliert, daher habe ich in Moskau keine besonderen Unbequemlichkeiten gespürt.
— Wie stark wurden Sie von der Krise betroffen?
— Man spürt die Krise vor allem im oberen Segment unseres Business. Es kamen weniger Kunden in unser Restaurant. Aber unsere Pinzeria ist immer noch gut besucht. Bei „Bontempi“ haben wir versucht, die Preise nicht zu stark anzuheben. Preise sollten ehrlich sein. Man sollte an der Anzahl der zufriedenen Gäste verdienen, und nicht an den verrückt hohen Preisen.
— Aber viele Lebensmittel, die Sie für die Zubereitung Ihrer Gerichte brauchen, müssen importiert werden. Man kann ja wohl kaum ein echtes italienisches Gericht aus russischen Lebensmitteln zaubern… Dabei ist die Importware viel teurer geworden, und die Sanktionen tun ihr Übriges…
Heute ist der Moskauer Markt für Restaurant-Business ziemlich vielseitig: In der Hauptstadt sind ca. 65 nationale Küchen vertreten. Im Gastronomie-Bereich gibt es westliche und lokale Unternehmensketten sowie viele individuell geführte Restaurants, wobei viele von ihnen drei Michelin-Sterne verdienen. Trotz einer solchen Vielfalt an Gaststättenbetrieben gibt es für einen Unternehmer in diesem Bereich noch gute Entwicklungsperspektiven, speziell im Bereich der Nischen-Restaurantkonzeptionen. Wenn man aber den Gastronomie-Markt Moskaus mit den Märkten in den westlichen Metropolen vergleicht, fällt auf, dass die Anzahl der Restaurant-Business-Objekte in Moskau nur etwa 30-40% so groß ist wie im Ausland. Außerdem ist der Start eines Restaurant-Business der Oberklasse in Moskau eine teure und risikoreiche Angelegenheit. Die durchschnittliche Rückflussdauer eines Gastronomie-Lokalität beträgt in der Regel zwischen drei und fünf Jahre. In Moskau herrscht in diesem Segment auch eine hohe Konkurrenz. Die Unternehmer erleben auch ein häufiges Fehlen von Handelsflächen in der russischen Hauptstadt; denn diese sind im Vergleich zu den Städten Westeuropas und der USA nur etwa halb so viele.
— Würden Sie heute Ihren ausländischen Kollegen empfehlen, ein Café oder ein Restaurant in Moskau zu eröffnen?
— Wenn du ein gutes Business-Projekt hast, an das du glaubst, wird keine Krise dich stoppen können. Wir haben unsere Pinzeria letztes Jahr auf dem Höhepunkt der Krise eröffnet. Natürlich war das kein ursprüngliches Ziel von uns. Aber man weiß es einfach nie im Voraus. Dieses Projekt dient uns als eine zusätzliche Motivation, zu arbeiten und erfolgreich zu sein.
— Kommen wir jetzt zu Ihren Büchern. Wann haben Sie angefangen zu schreiben?
— Ein russisches Verlagshaus hat mir einmal angeboten, ein Buch zu schreiben. Insgesamt habe ich bereits drei Bücher geschrieben. Alle drei hatten Erfolg bei den Lesern. Man kann sie übrigens nicht nur in einem Buchladen bekommen, sondern auch in unserem Restaurant oder in unserer Pinzeria. Sie stehen bei uns im Regal. Innerhalb der letzten zwei Monate haben wir allein in unserer Pinzeria ca. 90 Exemplare verkauft. Die Kunden sehen die Bücher und möchten sie haben, natürlich von mir persönlich signiert.
— Welche Pläne haben Sie für die nahe Zukunft?
— Ich bin ein abergläubischer Mensch, daher möchte ich meine konkreten Pläne noch nicht bekannt geben. Aber eigentlich könnte es auch eine neue Location sein, und nicht unbedingt in Moskau: Ich besuche viele Regionen Russlands, der Arbeit wegen und auch aus Interesse. Oder ich schreibe noch ein Buch, kein Rezeptbuch, sondern meine Memoiren über mein Leben in Russland. Ich könnte darüber sehr viel berichten…