— Richard, ist Moskau Ihr ständiger Wohnsitz seit 2005?
— Meine russische Geschichte begann bereits 1993. Damals bastelte ich noch als Programmierer an meiner Diplomarbeit bei dem Unternehmen „Mikroinform“. Sie entwickelte das „Lexikon“, ein damals sehr populäres russischsprachiges Text-Prüfungsprogramm für PCs. Ich habe meinen ersten Hochschulabschluss als Elektrotechniker gemacht.
— Und was ist Ihr zweiter Hochschulabschluss? Haben Sie diesen an der North Carolina State University erworben?
Richard van Wageningen ist seit September 2013 Generaldirektor von „Orange Business Services“ in Russland und der GUS. Das ist ein internationaler Provider, der seine Netz- und Systemintegrations-Dienstleistungen in 220 Ländern der Welt anbietet, mit Niederlassungen in 166 Ländern.
Er absolvierte die Reichsuniversität Groningen in den Niederlanden und die North Carolina State University in den USA. Er begann seinen Karriereweg in einer russischen Niederlassung des amerikanischen Unternehmens für Telekommunikationen AT&T. 2005 wurde ihm die Leitung der russischen Tochter des britischen Unternehmens für Telekommunikationen British Telecom übertragen. Ab 2010 leitete er in Russlanddas Unternehmen Linxdatacenter, ein internationaler Solution-Anbieter für Rechenzentren.
— Dort habe ich Wirtschaft studiert. Aber das war dann schon einige Jahre später. Nach Russland kam ich zum ersten Mal eher unerwartet. Ich habe einmal einen Zeitschrift-Artikel über das Unternehmen AT&T gelesen und erfahren, dass der dortige Firmendirektor aus Holland stammt. Ichhabeihndanneinfachangerufen. Wir haben uns gut verstanden, und er hat mir zu einem viermonatigen Praktikum bei „Telmos“ verholfen. Das war ein Joint-Venture-Unternehmen zwischen AT&T und MGTS (Moskauer Staatliches Telefonnetz). Zwei Monate später wurde ich fest angestellt. So verbrachte ich in Moskau anderthalb Jahre.
— Und welchen Eindruck hat die Stadt bei Ihnen hinterlassen?
— Ich war damals Student und fand alles sehr spannend. Bei der Zeitung „Moscow Times“ hat damals ein guter Freund von mir gearbeitet, ein Holländer. Er lebte im Zentrum, wir haben den Roten Platz besucht und waren auch in Sergijew Possad, einer bekannten Stadt in der Nähe von Moskau. Vieles war zuerst unklar in dieser riesigen Stadt mit einer Bevölkerung wie die von ganz Holland. WasistzumBeispieleine„Datscha“? OderdieMoskauerLädendamals? Heute ist es einfach: Man nimmt einen Einkaufswagen in einem Supermarkt, füllt diesen mit Lebensmitteln und geht direkt zur Kasse. Und damals kommt man in einen gewissen „Gastronom“, wo jede Abteilung für sich steht. Man bezahlt dabei jedes Produkt einzeln: Man kauft Milch und bezahlt diese direkt an der Thekenkasse, dann holt man Brot und bezahlt dieses an der Kasse der Brotabteilung.
— Konnten Sie damals schon Russisch?
— Nein, absolut nicht. Irgendwie habe ich Russisch so nebenbei gelernt; man ist Student, man hat etwas auf dem Kasten, man hat Zeit und Lust, die Sprache zu lernen.
— Was glauben Sie, ist es unbedingt notwendig für einen Ausländer, der in Moskau arbeitet, Russisch zu können? Oder kommt man auch mit Englisch allein gut zurecht?
— Sie waren bereits in Holland, in Saudi-Arabien und in Portugal tätig. Sie haben in den USA studiert. Sie können so einiges miteinander vergleichen. Wo ist es einfacher und wo eher schwieriger zu leben und zu arbeiten?
— In erster Linie bedeutet „einfach“ nicht unbedingt „besser“. Ich bin Holländer und wurde auf der Grundlage der holländischen Kultur erzogen. Vermutlich wäre es daher einfacher für mich, in Holland zu arbeiten. Aber wenn man dabei den Drive und die Risikofreude in Betracht zieht, dann finde ich das Leben in Russland attraktiver.
— Wie schätzen Sie den russischen Markt für Telekommunikationen ein?
— Sehr aussichtsreich. Ich werde hier keine konkreten Zahlen nennen, aber letztes Jahr ging es unserem Unternehmen sehr gut, in unserer Branche für Telekommunikationen haben wir im Vergleich zu den anderen konkurrierenden Unternehmen eine sehr gute Marktposition erreichen können.
— Wie hat sich die heutige internationale Situation mit den bereits erwähnten Sanktionen und Krisenerscheinungen in der russischen Wirtschaft auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
— Unsere Kunden haben wir nicht verloren. Und wir wachsen auch immer noch. Den Jahresplan für 2015 haben wir mit Berücksichtigung der heutigen Situation erstellt und sind dabei einige für uns relevante Entwicklungsszenarien durchgegangen. Wir hoffen, dass alles gut läuft.
— Haben Sie stark mit unserer Bürokratie zu kämpfen?
— Na ja, dieses Phänomen lässt sich nicht abstreiten. Mal hat man mehr, mal weniger mit ihr zu tun. Ich betrachte die russische Bürokratie als notwendiges Übel, das man einfach hinnehmen muss. Bürokratie ist mit einem Stau vergleichbar: Wenn man in einem Stau steht und schimpft, ändert sich nichts. Und ich bevorzuge nicht zu schimpfen. Und bei dem Kampf gegen die Bürokratie sollte man zuerst mal bei sich selbst anfangen.
— Was sind die Hauptgefahren, die auf einen ausländischen Unternehmer lauern, der sein Business in Russland starten möchte?
— Ich würde es so formulieren: Einige glauben, dass sie hier schnelles Geld machen können, ohne etwas über das Land wissen zu müssen. Sie haben sich dabei aber weder mit der hiesigen Gesetzgebung noch mit den potentiellen Geschäftspartnern auseinandergesetzt. Und darin lauern die Gefahren. Bevor man sich daran macht, schnelles Geld zu verdienen, sollte man darüber nachdenken, wie und wo man das am besten anstellt.
— Inwieweit unterscheidet sich die Mentalität sowie die Lebens- und Arbeitseinstellung der Moskauer von der der Westeuropäer?
— Jedes Land hat seine Besonderheiten. In Holland und Russland sind sich die Menschen in ihrer Mentalität ziemlich ähnlich, vor allem was den Humor und die Essensvorlieben anbetrifft...
— Auch die Essensvorlieben?
— Die Grundnahrungsmittel in Holland sind denen in Russland ähnlich: Kartoffeln, Fleisch und Hering. Auch wir trinken gern Kefir und essen gern Pfannkuchen… Aber meine Kollegen meinen, ich wäre bereits mehr russisch als holländisch.
— Wohnen Sie in Moskau zur Miete?
— Früher hat unsere Firma mir die Wohnung bezahlt, deswegen hat es wenig Sinn gemacht, eine Wohnung zu mieten. Jetzt muss ich sehen, was für mich am besten passt.
— Ist Ihre Miete hoch?
— Wir wohnen praktisch im Zentrum Moskaus, in der Nähe der Metrostation „Belorusskaja“. Die Mietpreise hier sind ziemlich hoch. Aber die Preise entsprechen dem hiesigen Mietspiegel. Daher bin ich eigentlich zufrieden.
— Ist Moskau Ihrer Meinung nach eine teure Stadt für einen Ausländer?
— Ja, das ist sie. Hier gibt man fürs Essen viel mehr Geld aus als zum Beispiel in Holland. Auf unserer Datscha bauen wir unsere eigenen Kartoffeln und Gemüse an.
— Heute wissen Sie nicht nur, was eine Datscha ist, sondern haben sogar selbst eine?
— Ja, in der Nähe von Tarussa, einer Kleinstadt, 150 km von Moskau entfernt.
— Das ist ja ziemlich weit weg…
—Ja, aber der Ort ist sehr hübsch. Der Großvater meiner Ehefrau, ein ehemaliger Militärpilot, hatte dort eine kleine Datscha. Später siedelte ihre Verwandtschaft dorthin über. Und wir haben dann dort auch ein Hektar Land gekauft und ein Haus gebaut. Dort kann man das ganze Jahr über wohnen. Ich habe dort sogar eine Banja und einen speziellen Tisch für das russische Billard. Ich versuche, meine Wochenenden dort zu verbringen.
— Speziell im Sommer kann es ziemlich anstrengend sein, jedes Wochenende dort zu verbringen.
— Auf meiner Datscha habe ich eine Art Home-Office, so kann ich jederzeit erreichbar und up-to-date sein, was unser Unternehmen anbetrifft. Deswegen kann ich es mir leisten, an einem Donnerstagabend direkt nach der Arbeit dorthin zu fahren. Nach Moskau kommen wir in der Regel am Sonntag spät abends zurück. Vielleicht ist die ganze Sache etwas anstrengend, aber für mich lohnt es sich. Auf meinem Datscha-Grundstück gehe ich meinem Hobby nach: Ausflüge mit meinem Jeep. Dafür gibt es dort sehr viele Möglichkeiten: Russland ist im Vergleich zu Holland mit seinem Territorium von 200 km mal 300 km viel größer, hier kann man richtig Gas geben.
— Die Holländer sind für ihre Sportlichkeit bekannt. Sie fahren Rad oder gehen joggen. Und Sie?
— Ist Moskau Ihrer Meinung nach eine sichere Stadt für die Ausländer?
— Ach, tatsächlich?
— Waren Sie da mal abends? Auf manchen Straßen im Zentrum ist es einfach nicht auszuhalten: Menschen schlafen auf irgendwelchen alten Matratzen direkt auf den Gehwegen. Erst vor Kurzem war ich in Paris, und mein Kollege hat mich gleich gewarnt, sich spät abends nicht zu viel Zeit in einer Metro zu lassen, weil es da zu gefährlich sei. Man muss natürlich überall aufpassen. So spreche ich in Moskau in einem Café oder Restaurant Russisch. Natürlich hört man mir meinen Akzent an, aber man hält mich dabei häufig für jemanden aus Riga.
— Sie haben hier Ihre Arbeit und Ihre Familie. Fehlt Ihnen etwas in Moskau?
— Meine Eltern und mein Bruder. Meine Eltern kommen zwei bis drei Mal im Jahr uns besuchen. Zuletzt waren sie in Moskau über die Mai-Feiertage, und wir haben unsere Zeit auf der Datscha verbracht.
— Wie oft besuchen Sie Ihre Heimat?
— Nicht ganz so oft in letzter Zeit: etwa einmal im Jahr der Arbeit wegen oder um unsere Verwandtschaft zu besuchen. Ich kann nicht sagen, dass ich Holland besonders stark vermisse. Heute vermisse ich vermutlich vor allem den holländischen Käse, den man wegen der Sanktionen heute nicht mehr bekommen kann.
— Fühlen Sie sich in Moskau wie zuhause?
— Ich arbeite immer nur da, wo ich mich wohlfühle. Das betrifft sowohl das konkrete Unternehmen als auch das Land. Wenn ich an ein Unternehmen, an seine Möglichkeiten und Perspektiven oder an ein Land nicht glaube, dann werde ich dort auch nicht arbeiten können und wollen.
— In der nahen Zukunft haben Sie also nicht vor, Moskau zu verlassen?
— Ich würde Ihre Frage so beantworten: Gerade haben wir für unser Datscha-Grundstück frische Setzlinge gekauft, die irgendwann einmal zu einem kleinen Hain werden sollen.