— Herr Dubien, die russischen Behörden sind ständig dabei, ausländische Investoren einzuladen. Die aber zögern. Warum?
— Ich würde die Situation nicht so pessimistisch sehen. Mindestens die französischen Investoren kommen aktiv nach Russland. Der Umschwung kam vor drei bis vier Jahren, mitten in der Krise. Die französischen Direktinvestitionen haben am 01.01.2013 die 12 Milliarden-Marke überschritten. Damit ist Frankreich an die dritte Stelle gerückt bei den Investitionen in die russische Ökonomie, wenn man die Offshore Investments nicht mitzählt. Größe französische Player sind, wenn auch mit etwas Verzögerung im Vergleich mit anderen Ländern, nach Russland gekommen. Darunter verschiedene Banken, Retailer, Energie- und Automobilunternehmen, Chemie- und Agrarproduzenten.
Über Arnaud Dubien
Der Absolvent des Instituts für östliche Sprachen und Zivilisationen (INALCO) und des Pariser politikwissenschaftlichen Instituts (IEP) hat sich von 1999 bis 2006 für das Institut internationaler und strategischer Beziehungen (IRIS) mit der Analyse Russlands und der GUS beschäftigt. Hiernach verantwortete er die Herausgabe einiger Veröffentlichungen, die sich mit den postsowjetischen Territorien beschäftigten, darunter die russische Redaktion des Journals Foreign Policy und die Redaktion des analytischen Pressedienstes Russia Intelligence und Ukraine Intelligence. Nebenher arbeitete er in den letzten Jahren als Berater des Analyse- und Prognosezentrums des Innenministeriums Frankreichs und einiger großer französischer Industrieunternehmen. Er ist Mitglied des Internationalen Diskussionsklubs „Waldai“.
— Vielleicht eben wegen der Krise?
— Es ist bei vielem so: Die Krise stört nicht, sie fördert die Investitionen in Russland. Hier können die Profite noch gesteigert werden. Von den objektiv vorhandenen Schwierigkeiten einmal abgesehen, gibt es hier Potenzial für Wachstum. Nehmen wir als Beispiel nicht die größte französische Firma, sagen wir Bonduelle, Hersteller von Dosengemüse. Stellen Sie sich vor: Ein Drittel des Gesamterlöses entfällt auf Russland. Anfangs hat die Firma, wie es alle tun, hier eine Vertretung gegründet und hat sich das Ganze eine Zeit lang angesehen. Dann aber hat sie einen Standort errichtet. Und das Business lief. Viele Russen haben sich bereits an die grünen Erbsen und die Maiskolben der Marke Bonduelle gewöhnt. Das Gemüse wird dabei nicht in Frankreich, sondern im Krasnodarsker Gebiet angebaut. Auch die Metalldosen und die Etiketten stammen aus lokaler Produktion... Bonduelle hat etwa 40 Partnerfirmen in der Region. Dies bedeutet Arbeitsplätze und Steuern, die in Russland verbleiben. Trotz anfänglicher Bedenken waren die Erlöse hier größer als in Europa. In Russland zu arbeiten lohnt sich. Selbst diejenigen der Führung von Bonduelle, die Zweifel hegten, ob man tatsächlich soviel auf Russland setzen sollte, sind inzwischen davon überzeugt, das dies ein äußerst erfolgreiches Projekt gewesen ist.
Die Krise ist kein Störfaktor, sondern sie fördert Investitionen in Russland. Hier können die Gewinne noch gesteigert werden.
— Hat das Beispiel Bonduelle Schule gemacht?
— Entscheidungen werden auf Basis der jeweiligen Marktkonjunktur getroffen. Ein Energieunternehmen kann sich nicht am Erfolg eines Gemüseproduzenten orientieren, genauso wie andersherum. Jeder handelt selbstständig, aber die allgemeine Tendenz lockt ohne Frage alle an. Bonduelle ist auch bei weitem nicht das einzige Beispiel einer sich lohnenden Investition. Auf dem russischen Markt arbeiten auch viele andere französische Firmen aus Frankreich sehr effektiv in unterschiedlichen Regionen.
— Zum Beispiel?
— Französische Unternehmen bauen Entsorgungsanlagen in Nachod. Unter Mitwirkung französischer Partner wurde zum APEC-Gipfel in Wladiwostok die Schrägseilbrücke „Russkij“ gebaut. In der Altai-Region, führend in Russland in Bezug auf die Käseproduktion, ist eine internationale Lehranstalt für die Käseproduktion eingerichtet worden. In Nischni Nowgorod hat eine Seilbahn, gebaut von der französischen POMA, ein wichtiges Transportproblem gelöst. In Sankt Petersburg wird ein Analog zum Pariser Lebensmittelmarkt Rungis errichtet. Der französische Fluggerätehersteller Safran hat bereits eine Milliarde Euro in die russische Wirtschaft eingebracht und prüft gerade den möglichen Kauf weiterer Aktiva. Das „Twersker Waggonbauwerk“ und die französische Firma Alstom sind am Vorabend der Eröffnung der olympischen Spiele in Sotchi mit der Realisierung eines Projektes für die Russische Eisenbahn zur Herstellung zweietagiger Waggons beschäftigt (diese werden bereits auf der Strecke nach Moskau eingesetzt). Diese Liste ist bei Weitem nicht abschließend. Die französisch-russischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zeichnen sich auch dadurch aus, dass der Umfang der Zusammenarbeit sehr groß ist: von der Landwirtschaft bis zur Raumfahrt und Militäranlagen. Es ist paradox, aber viele glauben nicht, dass Frankreich Nummer drei bei den Direktinvestitionen in Russland ist und Russen mit Franzosen viel mehr Projekte haben als selbst mit den Amerikanern.
Es ist paradox: Viele glauben nicht, das Russen mit Franzosen viel mehr Projekte durchführen, als selbst mit den Amerikanern.
— Wegen geringer PR?
— Möglich. Obwohl es gemeinhin bekannt sein dürfte, dass Renault AvtoWAS gekauft, die Société Générale Kontrollmehrheit an der Rosbank erworben und die französische Total in Jamal eines der aussichtsreichen Projekte Russlands ausarbeitet und in die russische Gruppe NOVATEK eingestiegen ist. Oder nehmen Sie den Flugzeugbau. Im neuen russischen Passagiernahverkehrsflieger Sukhoi Superjet 100 stammt nicht nur die Avionik, sondern auch vieles mehr aus Frankreich. Der Motor wird in Rybinsk in einer französisch-russischen Gemeinschaftsunternehmung hergestellt. Dort leben und arbeiten einige hundert französische Spezialisten. Und wieder: Das weiß kaum jemand.
— Wodurch erklären Sie das erhöhte Interesse französischer Investoren an Russland?
— Ich bemerke dasselbe Interesse auch bei den Deutschen und den Chinesen, deren Präsens in Russland sich mit beeindruckendem Tempo verstärkt hat. Frankreich möchte da nicht zurückstehen. Warum? Insbesondere weil unsere Produktion gefragt ist, von Lebensmitteln bis zu Flugzeugen, Straßenbahnen oder Turbinen für AKW, die im Rahmen von gemeinschaftlichen Unternehmungen hier in Russland hergestellt werden. Die Struktur des französischen Exports nach Russland ins bemerkenswert. Zwei Drittel sind High Tech Produkte zur Modernisierung der russischen Wirtschaft. Darauf legt auch Wladimir Putin besonderes Gewicht. Der russische Präsident hat dies im Rahmen einer Veranstaltung des Internationalen Diskussionsklubs Waldai offen dargestellt. Wenn andere Länder nach Russland hauptsächlich Massenbedarfsgüter, Obst und Gemüse liefern, so lassen wir uns dadurch nicht beschränken. Wir wollen den innovativen Export stützen. Dies bleibt von den russischen Geschäftsleuten und Staatsbeamten nicht unbeachtet.
— Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit Moskau? Wodurch ist die russische Hauptstadt für französische Investoren attraktiv?
— Mit wenigen Ausnahmen kommen die französischen Firmen über Moskau nach Russland. Hier liegen ihre Hauptniederlassungen. In den 90ern kamen sie in der Regel über Sankt Petersburg, dem damaligen „Bankenfester“ Russlands.
Mit wenigen Ausnahmen kommen französische Firmen nach Russland über Moskau.
Moskau, das ist vor allem ein gigantischer Markt. Bei einem Waldai-Treffen haben wir uns auch mit dem Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin unterhalten. Er hat folgende Zahlen genannt: Zusammen mit dem Oblast beträgt die Bevölkerung des Moskauer Ballungszentrums 23 Mio. Menschen. Das ist der größte Markt Europas! Alle französischen Unternehmen, stellen sie nun Autos oder Konserven her, wissen sehr gut, dass Moskau das Zentrum ist von Macht und Finanzen aber auch um Geschäftspartner zu suchen und mit ihnen zu verhandeln. Insgesamt beträgt der Anteil Moskaus am russisch-französischen Handelsumsatz gut 50%.
Heute wird das Projekt „Groß-Moskau“ aktiv vorangetrieben. Noch eine Kennzahl als Beispiel: Diesen jüngsten Wettbewerb in Bezug auf Entwicklungskonzepte für das Moskauer Ballungszentrum hat das Projekt der französischen Firma Grumbach-Wilmotte gewonnen, die auch das Projekt „Groß-Paris“ entwickelt haben. Die Franzosen haben etwas, das sie mit den Moskauern teilen können. Dies betrifft nicht nur die Architektur, sondern auch die Führung des Staatshaushalts und die Organisation der Infrastruktur. Darüber, wie rasant sich die französischen Handelsketten Auchan, Leroy Merlin und Decathlon in Moskau entwickeln, brauche ich gar nicht zu sprechen. Diese Marken kennt heute in Moskau praktisch jeder genauso wie viele der übrigen Russen. Übrigens: Auchan ist heute die Nummer eins unter den ausländischen Arbeitgebern. In seinen Filialen sind 25.000 Russen beschäftig.
Kürzlich hat in Moskau Le Bon Gout eröffnet, ein Geschäft speziell für Franzosen. Nach einem halben Jahr Leben in einem anderen Land kommt bei vielen Anzeichen von kulinarischem Heimweh auf. Deshalb gibt es beispielsweise in Europa Geschäfte für Russen, wo man Borodino-Brot oder Eis in einer Waffel mit Wasserglasform kaufen kann. In Moskau leben viele Franzosen. Früher brachten sie stets kofferweise Lebensmittel aus der Heimat mit. Jetzt ist das nicht mehr notwendig, weil es ja Le Bon Gout gibt. Einige französische Expats, die von Moskau über Weihnachten nach Paris fliegen, bringen Foie gras mit - lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: aus Russland nach Frankreich!
— Das ist ein bezeichnendes Beispiel. Zeigt das nicht, dass nach Moskau nicht nur große und mittlere, sondern auch kleine französische Firmen kommen können? Gibt es hier Platz auch für sie?
— Den gibt es. Und ich kenne gut 50 solcher französischer Firmen. Sie alle haben in der Regel klein angefangen. Die eine oder andere gehört inzwischen schon zu den großen. Trotzdem gibt es in Moskau und auch in Russland als Ganzes weniger kleine Firmen. Das ist eines der Probleme. Auch von den mittleren Unternehmen gibt es hier nicht so viele. Das aber ist eine französische Besonderheit: Bei uns ist man entweder sehr groß oder sehr klein. So oder so stellt der Gang auf den russischen Markt aber ein Abenteuer dar, vor dem sich durchaus gefürchtet wird.
Die nächste Etappe in der Entwicklung unserer Beziehungen: Russland für kleine und mittlere Unternehmen attraktiver machen.
Die Attraktion von kleinen und mittleren französischen Unternehmen, die dem russischen Konsumenten etwas zu bieten haben, stellt die nächste Stufe der Entwicklung unserer Beziehungen dar. Ich habe kürzlich mit dem Präsidenten der Firma Desjoyaux gesprochen, einem Hersteller von Bädern. In Russland betreibt die Firma bereits Handel, jedoch via Vertreter. Jetzt will man sich richtig niederlassen. Denn das Management sieht eine freie Nische und hat das Interesse für seine Produkte wahrgenommen. Sport-, Familien- und Datschen-Bäder sind in Moskau und Umgebung sehr gefragt. Woanders auf der Welt sind die Märkte entweder bereits aufgeteilt oder wenig aussichtsreich. Nach China beispielsweise, wo durchaus rege Nachfrage nach Bädern besteht, ist die Entfernung zu groß. Übrigens scheinen ausländische Investoren irgendwie das Interesse an China zu verlieren. Es scheint aus der Mode zu geraten. Zumindest unter den französischen Investoren ist eine gewisse Enttäuschung zu spüren. Es wurden zu große Einsätze getätigt, die sich dann oft als nicht lohnend zeigten. Die lokalen Begebenheiten sind sehr schwierig. Es ist nicht einfach, Partner zu finden. Man kann dort viel Geld verdienen, jedoch das ist nicht leicht.
Wie verhält sich in einem solchen Falle ein Investor? Er holt die Weltkarte hervor und - er sieht Russland! Auch wenn es hier nicht über eine Milliarde Menschen gibt - 143 Millionen sind auch nicht wenig. Und es wächst die Mittelschicht. Es wächst die Nachfrage.
— Wie macht Russland bei den Investoren zur Mode?
— Wenn jemand sieht, dass andere hier große Gewinne generieren, so wird er sich die Frage stellen: Warum sollte ich das nicht auch ausprobieren? Das ist aber keine Mode. Um eine Mode zu schaffen, braucht Russland ein anderes Image.
— Sie beschäftigen sich gerade damit. Durch operative Analysen unterstützen Sie die Führung der Mitgliedsfirmen der französisch-russischen Handelskammer, Sie tragen bei der französischen Nationalversammlung bezüglich Fragen zu Russland vor. Wie gefragt ist das heute?
— Nachfrage besteht in unseren Ländern aufseiten von Politikern, Deputierten und Geschäftsleuten. Unsere Aufgabe besteht darin, die Anzahl derer zu erhöhen, die sich für Russland interessieren. Unseren Analysebericht „Russland 2013“ haben wir vor der französischen Nationalversammlung vorgestellt ebenso wie auf dem internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg. Das Prinzip unserer Arbeit: nichts Wichtiges auslassen. Ob es um Politik oder Wirtschaft geht, es in Moskau oder in einer der Regionen passiert - wir versuchen das ganze Bild der Geschehnisse zu sehen. Wir interessieren uns für alles. Bis hin zu Zuständigkeitsänderungen bei den Bürgermeistern der Städte. Denn die Investoren sprechen mit konkreten Menschen, und die müssen verstehen, wer die Leute sind und welche politischen Perspektiven sie haben.
Über das Zentrum Observatoire
Gegründet auf Initiative des Wirtschaftsrates russischer und französischer Unternehmen bei der französisch-russischen Handelskammer CCIFR hat das französisch-russische Analysezentrum Observatoire am 01.03.2012 seine Arbeit aufgenommen. Aufgabe des Zentrums ist es, die Aufmerksamkeit der französischen Elite, darunter Politiker, Unternehmenspräsidenten, Journalisten, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Studenten, auf Russland und seine Rolle in der heutigen Welt zu lenken, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zu erweitern und auch die Schaffung eines besseren Verständnisses der französischen Realien bei den Vertretern der russischen Politik und Wirtschaft.
Im Wissenschaftsrat des Observatoire sitzen 14 gemeinhin anerkannte Experten aus Frankreich und Russland. Der Kuratoriumsrat steht unter dem Vorsitz von Jean-Gabriel Arqueros. Das „Yearbook“ ist das Hauptpublikationsprojekt des Zentrums. Es stellt eine Expertise über die aktuelle Situation in Russland dar in Bezug auf ein breites Spektrum politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Fragen. Der Bericht erscheint in verschiedenen Sprachen.
Gleichzeitig wollen wir darüber berichten, was in Frankreich und seinen Départements in Bezug auf das politische und wirtschaftliche Leben geschieht. In Frankreich und Russland gibt es eine Vielzahl gemeinsamer Themen und Interessen. Wir führen in allen Fragen abwägende und zweckmäßige Dialoge.
Neben dem Hauptbericht veröffentlichen wir auch andere Analysen. Die Hauptnachfrage sehen wir hierbei bei dem Monitoring der russischen Regionen. Die Investoren interessieren sich dafür, was dort vor sich geht. Warum war beispielsweise eine italienische Delegation in Tscheljabinsk und Saratow? Normale Marktanalyse eben. Stellen Sie sich vor: Bei unserer Präsentation vor der französischen Nationalversammlung waren 600 Leute anwesend. Es gab eine Schlange, wie in der UdSSR nach Wurst! So sieht das Interesse an Russland aus.
— Arnaud, Sie zeichnen uns ein sehr optimistisches Bild. Nichtsdestotrotz: Was ist es, dass bis heute die Entwicklung der französisch-russischen Beziehungen insgesamt stört?
— Politisch gibt es einen gewissen negativen Hintergrund, der aber stört nicht die wirtschaftlichen Beziehungen. Ich würde einige Faktoren voneinander trennen wollen. Ein kurzfristiger und konjunktureller: Syrien. Alle wünschen sich, dass dort Frieden herrscht. Sowohl im Élysée-Palast als auch im Kreml herrscht das Verständnis, dass der Krieg zu beenden ist. Doch gibt es unterschiedliche Ansichten zur Person des aktuellen Präsidenten Syriens. Glücklicherweise ist ein Kriegsszenario nach Annahme des sogenannten Putin-Plans abgewendet. Trotz aller öffentlicher Erklärungen und Übereinkünfte - „Genf 2“ hat noch nicht stattgefunden und es ist nicht klar, dass dadurch dieses Problem gelöst wird. Doch haben sich die Gemüter etwas beruhigt.
Der syrische Faktor ist nicht zu übersehen, jedoch müssen wir weiter blicken. Deshalb hat das Zentrum Observo 20 Vorschläge ausgearbeitet für eine aussichtsreiche Entwicklung der französisch-russischen Partnerschaft. Mein Lieblingsvorschlag dabei: Russland als Ehrengast zu der Militärparade am Tag der Erstürmung der Bastille am 14. Juli 2014 einzuladen. Waren wir doch Alliierte in beiden Weltkriegen. (Anmerkung der Redaktion: Nach dem Interview wurde bekannt, dass François Hollande alle Staaten, die am ersten Weltkrieg teilgenommen haben, zur Parade eingeladen hat, so auch Russland).
Alle anderen Vorschläge sind mehr oder weniger auf einen regeren Kontakt und Erfahrungsaustausch ausgerichtet. Das dies auf beiden Seiten von Vorteil sein wird, darüber besteht kein Zweifel. In Moskau gibt es zurzeit eine gewaltige Nachfrage nach Modernisierungen im Bereich Infrastruktur, wie Wohnungsbau, Straßen und Transportwesen. Und wenn zurzeit französische Spezialisten zusammen mit russischen Partnern die Autobahn Moskau-Sankt Petersburg bauen, so bedeutet dies, sie können auch vieles andere zusammen errichten. Ein Projekt zum Bau eines Eisenbahnrings rund um Moskau befindet sich in der Ausarbeitung. Das heißt, es wird nicht nur über Lieferungen oder Produktion irgendeiner Gerätschaft nach Russland gesprochen, sondern über das Lösen schmerzlicher Transportprobleme. Wir haben Erfahrung darin, diese zu lösen. Es gibt konkrete Vorschläge. Außerdem hat man nach der Erweiterung Moskaus vor, ganze Industrie-Cluster zu entwickeln. Ein solches System von Clustern gibt es bei uns schon lange, es gibt ungefähr 60 davon. Sie sind nach geografischen und sektorbezogenen Merkmalen gebildet. Auch hier können wir uns gegenseitig befruchten. Da in Frankreich die größten dieser Cluster bereits zu klein werden, denkt man darüber nach, in welche Länder man gehen, mit wem man zusammenarbeiten soll. Und viele blicken nach Moskau und seine Umgebung.
— Welche Bereiche in Russland sind am attraktivsten für Investoren? Welche Nische ist noch unbesetzt in Moskau selbst?
— Man kann immer etwas Neues, noch Konkurrenzfähigeres hervorbringen. Zum Beispiel wurde in Frankreich zwischen Paris und Lyon die weltschnellste Internetverbindung eingerichtet. Warum dasselbe nicht in Moskau machen? In der russischen Hauptstadt soll ein großes Finanzzentrum errichtet werden. Hier sind die Anknüpfungspunkte beiderseitiger Bemühungen mannigfaltig. Was die Investorenattraktivität angeht, so weisen praktisch alle französischen Unternehmen, die in Russland vertreten sind, gute Gewinne aus. Mir fällt es schwer, ein spezielles auszuwählen. Vieles hängt auch von den Technologien ab, von der Konjunktur, von den Kursbewegungen an den Börsen und so weiter. Heute ist es vorteilhafter in das eine, morgen in das andere zu investieren. In jedem Fall rechnen alle Investoren, die nach Russland kommen, mit Gewinn. Und diese Rechnung geht in der Regel auf.
Die Zeiten, wo man in Russland einfach irgendwas verkaufen konnte, sind vorbei.
Die Zeiten, wo man in Moskau einfach irgendetwas verkaufen konnte, sind vorbei. Heute muss man in die Produktion investieren. Und das insgesamt konkurrenzfähigste Produkt auf den Markt bringen. Stellen Sie sich vor: Etwa vor 20 Jahren kam ein Franzose nach Russland und hat in der Nähe von Lipezk eine Schweinezucht eröffnet. Danach hat er dann die Produktion von speziellen Fußböden für solche Zuchtkomplexe begonnen und an andere Firmen verkauft. So hat er einen zweite Produktionslinie aufgemacht. Heute ist er im Markt ausgezeichnet positioniert. Er hat 50 Millionen Euro investiert und plant die Investition von weiteren 80 Millionen. Hätte er begonnen, sich damit auseinander zu setzen, wenn es nicht gewinnbringend gewesen wäre?
Vor zwei Jahren wurde eine Umfrage unter europäischen Investoren durchgeführt. Dabei wurden jene, die bereits in Russland arbeiteten, gefragt, ob sie hier weiter investieren würden. Bei jenen, die darüber nachdachten, ob sie hierher kommen sollen, interessierte man sich dafür, ob sie ihre Gedanken in die Tat umsetzen werden. 90% derer, die bereits hier waren, wollten weiter investieren. Von denen, die noch darüber nachdachten, hatte nur die Hälfte vor, ein Business in Russland zu eröffnen. Fazit: Wenn Du bereits hier bist, erkennst Du besser das Potenzial dieses Landes. Wenn Du hingegen noch zu Hause bist, hast Du weiter vor irgendetwas Angst. Es ist wichtig, diese kritische Linie zu überschreiten. Diejenigen, die sie überschritten haben, bereuen es in der Regel nicht. Dabei meine ich nicht die, die Hals über Kopf aus Frankreich geflüchtet sind, wie einer unserer bekannten Schauspieler…
— Was sagen Sie, wo wir gerade dabei sind, zu dem Faktor „Gérard Depardieu“? Was überwiegt hier: PR oder das tatsächliche Streben nach einer attraktiveren Basis für sein Vermögen?
— Das war eine Impulshandlung von ihm, die sich jedoch leider als Scherz mit einem Minuszeichen herausgestellt hat. Ein Minus für alle beteiligten: für ihn selbst, für Russland und für Frankreich. Dieser Schritt ist für einen solch großen Schauspieler nicht angemessen. Er ist aber nicht repräsentativ für die russisch-französischen Beziehungen. Auch wird er irgendwann wieder zurückkehren, da er ein hundertprozentiger Franzose ist.
Nach Russland muss man anders kommen, nicht wie Depardieu. Nicht aus dem Stegreif à la Cyrano de Bergerac. Ohne Artistik, sondern vollkommen bedacht und bewusst. Nicht zum eigenen und auch nicht zum Schaden seiner Heimat. Obwohl: Ein wenig Artistik ist schon unumgänglich. Wir sind schließlich Franzosen!