— Herr Studer, in Russland herrscht eine Krise, und Sie eröffnen in Moskau ein Hausgeschäft. Ist das eine Herausforderung?
— Nein, Berechnung, eine so genau wie unsere Uhren. Zum einen fürchtet ORIS nichts. Das wäre nicht unsere Mentalität. Wir prüfen die Besonderheiten der Promotion unserer Marke in jedem Land gründlich. Zweitens handelt es sich dabei um keinen spontanen, sondern einen wohl überlegten Schritt. Das Projekt entstand nicht in einem und auch nicht in zwei Jahren, sondern über einen viel längeren Zeitraum. ORIS ist auf dem russischen Markt bereits seit 20 Jahren tätig, doch bis heute wurden unsere Marken in 80% der Multi-Brand-Salons angeboten. Nachdem wir Verkäufe und Nachfrage zusammengestellt hatten, trafen wir die Entscheidung, ein eigenes Single-Brand-Geschäft zu eröffnen. Und das ist keine Einmalaktion. Das Unternehmen plant für jedes Jahr die Eröffnung von drei bis vier Single-Brand-Geschäften in den großen russischen Städten. Wir haben natürlich in Moskau angefangen, wo die Nachfrage am größten ist. Hier unterscheiden wir uns in nichts von der Konkurrenz. Übrigens haben wir uns dafür vor anderthalb Jahren entschieden, vor der Krise. Die Krise hatte aber auf unsere Pläne keine Auswirkung, obwohl die Kaufkraft der Russen natürlich zurück gegangen ist. Auf der anderen Seite sind Miete und Werbung billiger geworden. ORIS ist eine Marke, die sich auch in Krisenzeiten erfolgreich entwickelt. Wir bieten gute Qualität, interessante Funktionen und einen akzeptablen Preis. Das Wichtigste ist, ein Maximum an Details unter Kontrolle zu halten, die auf dem Weg des Prozesses liegen. Und entschlossen auf das Ziel zugehen. Es ist einfach nicht wichtig, ob wir uns gerade am Peak der Krise befinden oder nicht.
Zudem eröffnen wir Boutiquen nicht einfach nur, um Uhren zu verkaufen. Sie demonstrieren den Status der Marke und erlauben es, an einem Ort die gesamte Kollektion von ORIS zu präsentieren.
Eine Single-Brand-Boutique ist eine Art Haus für die Marke. Und in einer solchen Megapolis wie Moskau ein Haus zu haben, sehen wir als unumgänglich an. Für uns ist das ein sehr guter Start. Nichtsdestotrotz ist die Eröffnung einer Boutique in der Uhren- und einer anderen Luxusbranche etwas Unterschiedliches. Wenn wir mit kurrenteren Waren handeln würden, wäre die Strategie eine andere. ORIS ist eine eigenständige Unternehmung, die sich aus sich selbst heraus entwickelt. Nun ist die Zeit, sich in Russland zu entwickeln. Wir haben diese Entscheidung eigenständig getroffen und glauben, dass sie die richtige ist.
ORIS wurde 1904 gegründet. Seit einem Management-Buy-out 1982 befindet sich das Unternehmen im Privatbesitz von Mitgliedern des Verwaltungsrates. 1985, noch lange vor dem Beginn der breiten Werbekampagne für mechanische Uhren, setzte ORIS eine Strategie fest, die sich ausschließlich auf mechanische Uhren konzentrierte. Diese Strategie ist auch heute noch aktuell.
— Nun sind Uhren, auch sehr gute, nicht unverzichtbar. Beunruhigt Sie es nicht, dass man in Russland einen Abfall in den Verkäufen von Waren dieser Kategorie beobachten kann?
— Nein. Als der Kurs des Schweizer Franken sich fast verdoppelt hat, hat die Unternehmung, wie auch die Mehrzahl der europäischen Uhrenmarken, die Preise nur um 50% angehoben. Die Produktionskosten von ORIS waren in Russland stets nahe denen in Europa. 2015 hat das Unternehmen, wegen der Abwertung des Rubels, Preise festgelegt, die wesentlich unter denen in Europa liegen. Wenn man berücksichtigt, dass wir ohne Intermediäre arbeiten, sind unsere Uhren aktuell günstiger als alle anderen. Im Übrigen haben nur ganz wenige Uhrenfirmen weltweit überall dieselben Preise. Viel wichtiger ist es, den richtigen Zugang zu den Kunden zu finden. Wenn man die Preise um 20% anheben würde, als Folge der Aufwertung des Schweizer Franken im Verhältnis zum Euro, würde die Nachfrage sofort fallen. Es ist nicht die Schuld des Kunden, dass der Währungskurs aktuell so instabil ist. Deshalb haben wir die Preise in Europa um 7% bis 8% angehoben. In Russland dagegen sind die ORIS-Preise heute 10% bis 15% niedriger als in Europa.
Ich meine, dass sich diese Preispolitik in einer instabilen Finanzsituation von selbst rechtfertigt. Wir rechnen tatsächlich mit einem Rückgang der Verkäufe in Russland bis zum vierten Quartal 2015 um 25%. Doch sind wir uns sicher, dass dieser Rückgang zu Beginn 2016 wieder aufgeholt sein wird.
— Worauf begründet sich diese Sicherheit?
— Technisch ist die Eröffnung der ORIS-Boutique bereits vor einem halben Jahr passiert. Die gesamte Zeit danach haben wir dann aber den Markt sondiert. Und stellen Sie sich vor: Selbst am Höhepunkt der Krise wurden in Moskau alle Modelle von Uhren aus allen möglichen Preiskategorien verkauft - von den weniger teuren Modellen bis hin zu Exklusivitäten. Das betrifft sowohl klassische Kollektionen als auch Piloten- und Rennfahreruhren sowie Uhren für unter Wasser. Wir waren überrascht, dass es in Russland so viele Sammler von ORIS Uhren gibt. Hiernach entschieden wir uns offiziell für die Eröffnung einer Boutique und daraus sukzessive eine Kette zu entwickeln.
— Zur Boutique-Eröffnung haben Sie eine neue Kollektion vorgestellt, die Sie zum 111. Firmenjubiläum herausgebracht haben. Das war jedoch vor der offiziellen Publikation und Präsentation auf der Weltmesse BASELWORLD 2015. Warum?
— ORIS stellt Uhren her für diejenigen, die ein Faible haben für Mechanik und die ein echtes modernes Kleinod suchen. Eine Kollektion wird entwickelt, mit dem Ziel, die Kundenwünsche in jede der vier Hauptrichtungen zu erfüllen: Rennsport, Tauchen, Fliegerei und Kultur, getreu der Losung: „Real watches for real people“ -„Wahre Uhren für wahre Leute“. Und in Russland haben wir eben solche Leute. Das sind dann unsere Kunden.
Die Verteilung der Verkäufe ist aktuell so: 35% Europa, 51% Asien, 11% Amerika und 3% werden in Ozeanien umgesetzt. Ich glaube, dass sich die Wirtschaft in Russland wieder erholen wird und wir dann, das wäre nicht schlecht, Russland bei mindestens 10% liegen wird. Das ist durchaus realistisch, da in Russland der Anteil der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung groß ist. Sie können sich auch Uhren der Premium-Klasse leisten, auch weniger teure mit speziellen Funktionen wie Höhen- oder Tiefenmessung. Das stellt sich ein, wenn man mehrere Uhren für unterschiedliche Anlässe hat. ORIS gehört zu den wenigen Schweizer Uhrenmarken, die beides anbieten. Mit den einen Uhren kann man Sport treiben, mit den anderen auf Empfänge gehen. Wir machen verschiedene Uhren hoher Qualität zu nachvollziehbaren Preisen.
Um in der Uhrenindustrie zu verdienen, kann man ein einzelnes Modell herausbringen und dieses aktiv in China promoten. Doch ist das nicht unsere Strategie. Zudem laufen die Dinge in China auch schon nicht mehr so erfolgreich wie früher, und der Geschmack der Menschen ändert sich.
— Welchen Geschmack haben die Russen, was kaufen sie am liebsten?
— So sonderbar dies auch klingen mag: Uhren zum unter Wasser Schwimmen. Das ist eigentlich eher charakteristisch für Länder, die an warmen Gewässern liegen, wie Thailand, Malaysia und so weiter. Dort entfallen 80% der Verkäufe auf solche Uhren. In Russland ist diese Popularität offenbar damit verbunden, dass es hier viele Taucher gibt, die es leiben, die Unterwasserschönheit des Roten Meeres zu erkunden. ORIS kann hier unterschiedliche Produktlinien anbieten, die sich weltweit großer Beliebtheit erfreuen. Das sind Uhren mit Tiefenmessern, Gel-Ventilen und so weiter. Das Unternehmen ist sehr aktiv in Russlands Designerkreisen. In den letzten vier Jahren waren wir Partner der Ausstellung „Zolotoj Delfin“ („Goldener Delfin“ - Anm. d. Übers.), die in Moskau durchgeführt wird. Diese Ausstellung besuchen Tausende von Designern, die auch an unseren Uhren Interesse zeigen.
Die Analyse des russischen Marktes führte uns auch dazu, unsere Modellreihe von Uhren für Frauen zu erweitern. ORIS war anfangs allein als konservative, auf Männer ausgerichtete Marke konzipiert. Unsere Philosophie war die, dass wir mechanische Uhren nur für Männer herstellen. Doch als wir die Nachfrage in Russland nach Uhren für Frauen anderer Schweizer Marken analysiert hatten, haben wir auch eine Produktlinie für Frauen herausgebracht, darunter auch eine mit Brillanten.
— Wie viele Uhren wurden während der Probephase der Boutique in Moskau verkauft?
— Wir verhalten uns Zahlen gegenüber sehr schweizerisch.... Wir sprechen nicht gern über Verkaufszahlen oder Warenumsätze. Ich kann nur sagen, dass die Eröffnung eines Geschäftes zwischen 300.000 und 500.000 Schweizer Franken bedarf. Wegen des schwachen Rubel wird dies in Russland zurzeit wohl etwas günstiger sein.