Der Laden wurde nicht renoviert, er wurde regelrecht restauriert.
Ich stamme aus der romantischen italienischen Stadt Verona. Mein Vater war ein hoher Militär, weshalb wir oft umziehen mussten. Als ich 17 war, hatte ich Italien bereits kreuz und quer durchreist. Meine Ausbildung erhielt ich in der Ewigen Stadt und machte meinen Wirtschaftsabschluss an der Universität La Sepienza in Rom. Ich wurde gerade erwachsen, als der E-Boom voll im Gange war. Noch als Student, mit 19, begann ich im väterlichen Unternehmen eines meiner Kommilitonen zu arbeiten, und schon nach einem halben Jahr gründete ich dann meine eigene Computer-Firma.
— Wie kamen Sie nach Moskau?
— Die slawische Welt lernte ich in der Ukraine kennen. Mit meinen Kiewer Partnern beschäftigten wir uns mit Kleiderlieferungen aus Italien. Das war 1995-96. Damals war die Ukraine noch ein vollkommen anderes Land, und ich erfuhr noch nicht einmal, dass es so etwas wie eine ukrainische Sprache überhaupt gab. Jeder hat dort russisch gesprochen. Doch wurde es mir in der Ukraine bald zu eng, ich brauchte andere Dimensionen. Bald hatte ich die Wahl, eine Arbeit anzunehmen im heißen und langweiligen Dubai oder ins kalte, nicht vorhersagbare Moskau zu fahren. Mich beeindruckte die Lebenseinstellung dort. Deshalb entschied ich mich für Russland. Zudem verhieß das riesige Territorium des Landes größere Möglichkeiten.
Mich beeindruckte die Lebenseinstellung dort. Deshalb entschied ich mich für Russland.
— Wie haben Sie Ihr Business in Moskau geschaffen?
— Alles hat mit Wein angefangen. Ein Freund von mir, der Italiener Marco Fantinel, Eigentümer der Firma Fantinel in der Provinz Friuli im Norden Italiens, schlug vor, gemeinsam seine Marke in Russland und in den GUS zu promoten. Ich sprach mit Kunden, Importeuren, Distributoren und Geschäften, arbeitete also wie ein Repräsentant der Firma Fantinel. 2012 eröffnete ich dann meinen Weinklub in der Pokrowka-Straße mit Degustierraum und einem kleinen Handel. Ich investierte 60.000 Euro in das Projekt.
— Alles Eigenkapital?
— Ja. Um die Moskowiter mit dem Wein Italiens bekannt zu machen, veranstaltete ich einige Male im Monat kostenlose Weinproben. Innerhalb eines halben Jahres nahm der Klub Hunderte von Mitgliedern auf, ich habe 10.000 Flaschen Wein verkauft. Dann habe ich im Laden einen Jahrmarkt der Lebensmittel Italiens veranstaltet. Ich war verblüfft: Vor dem Laden bildete sich eine gewaltige Schlange. Um meine italienischen Delikatessen und Weine zu kaufen, die ich selbst ausgewählt hatte, standen die Leute zwei bis drei Stunden an. Da verstand ich: Ein Laden für italienische Delikatessen muss her. Ich wollte unbedingt mit den Moskowitern die Küche Italiens, seine kulinarische Kultur teilen. Ich habe diese Idee zwei Jahre in mir getragen. Lange habe ich nach einer geeigneten Lokalität gesucht.
Ich wollte unbedingt mit den Moskowitern die Küche Italiens, meine kulinarische Kultur teilen.
— Ist es schwierig, in Moskau eine Lokalität für einen kleinen Laden zu mieten?
— Nicht, wenn man das nötige Geld hat. Das Gebäude in der Pokrowka, in dem sich mein Laden befindet, steht unter Denkmalschutz, sodass wir es nicht einfach renovieren, sondern regelrecht restaurieren mussten. In den kommenden Monaten werden wir noch drei weitere Läden nach dem „Laden-in-Laden“-Prinzip eröffnen. Meine Partner dafür habe ich akribisch ausgesucht. So wird zum Beispiel unser Laden in der Bronnaja neben einem französischen Teehaus liegen. Die beiden anderen Geschäfte werden wir im internationalen Geschäftszentrum „Moscow-City“ am Presnensker Ufer eröffnen und in der Pjatnizkaja-Straße.
Jekaterina Dwornikowa, Direktorin des Beratungsunternehmens „Dwornikowa und Partner“:
- Geschäfte für landwirtschaftliche Erzeugnisse liegen in Russland im Verbrauchertrend. So entwickelt sich zum Beispiel die Lebensmittelmarke für Milchprodukte „Isbenka“ sehr gut. Schlüsselfaktor des Erfolges eines jeden Lebensmittelgeschäftes ist seine Positionierung. Eine große Rolle spielt hier das Business-Konzept. Dabei kommt es nicht nur darauf an, sich an den Kunden zu orientieren, die den Laden fußläufig erreichen können, sondern auf die Bewohner der gesamten hauptstädtischen Region. Hinzu kommt, dass man bei der Eröffnung eines Lebensmittelgeschäftes auf eine Reihe von Schwierigkeiten stößt. Man muss von verschiedener Stelle eine Genehmigung erhalten wie von der Feuerwehr oder dem Gesundheitsamt. Man sollte hierbei besser einen Juristen zu Rate ziehen, der über eine entsprechende Erfahrung verfügt. Zudem benötigt man Verkaufspersonal, dass gleichzeitig auch den Kunden beratend zur Seite stehen kann, auch was zum Beispiel Rezepte angeht, für die man die angebotenen Lebensmittel benötigen würde. Die Höhe der Investitionen kann stark variieren und hängt sowohl davon ab, wo das Geschäft liegt, als auch vom gewählten Konzept und vom Sortiment. In jedem Fall sollte man nicht von einem schnellen Rückfluss der eingelegten Mittel ausgehen. Das Investitionsvolumen beträgt pro Verkaufspunkt 100.000 US Dollar aufwärts. Dabei ist hier natürlich nicht die Rede von den großen Geschäften im Zentrum; hier sind die notwendigen Investitionen um einiges höher. Die Konkurrenz ist auf dem Einzelhandelsmarkt für Lebensmittel sehr groß. Die durchschnittliche Payback-Period beträgt drei Jahre aufwärts, außer, das Geschäft bietet Produkte und Services mit Alleinstellungsmerkmal an. Dann kann diese Periode auch kürzer ausfallen.
— Wie sind die Preise bei Ihnen?
— Wir führen nur die besten, die qualitativsten Produkte. Die sind natürlich nicht billig. So führen wir zum Beispiel keinen Käse unter 1.000 Rubel das Kilogramm (etwa 20 Euro). Milch vom Bauern kostet 125 bis 130 Rubel. Aber das ist eben richtige Milch mit einem Fettgehalt von 3,8%.
Ketten gibt es viele, doch unser Laden ist einzigartig
— Woher stammen die Lieferungen?
— Wir führen 450 Titel unterschiedlicher Produktion wie Käse, Fleisch oder Oliven. Eine Zeit lang haben wir uns die Waren noch aus Italien liefern lassen. Doch vor ein paar Jahren haben mein Freund Pietro Mazza und ich eine eigene Produktion aufgezogen auf einem Hof im Twersker Oblast. Nehmen wir frischen Ricotta, ein Produkt aus frischer Molke. Dieses aus Italien einzuführen ist schier unmöglich, das ist schlichtweg zu weit. So haben wir den Ricotta im Twersker Oblast produziert. Pietro hat einen rein ökologischen Betrieb. Die Kühe sind rot-bunt und friesisch schwarz-weiß. Die Charolais-Kühe werden mit Heu, Gerste, Hafer und Mais gefüttert, alles auf dem Hof selbst angebaut. Neben der Käse- haben wir nun vor einigen Monaten auch unsere eigene Wurstproduktion gestartet.
Vor ein paar Jahren haben mein Freund Pietro Mazza und ich eine eigene Produktion aufgezogen, auf einem Hof im Twersker Oblast.
— Wer sind Ihre Kunden? Unterscheiden sie sich in irgendetwas von den italienischen?
— Man muss sich vor Augen halten, dass es in Italien eine Jahrhunderte alte Kultur der Nachfrage nach dieser Art von Produkten gibt. Die Italiener lieben leckeres Essen. Doch kauft ein Großteil der Bevölkerung keine so teuren Produkte, wie wir sie bei uns im Moskauer Laden haben. Es gibt stets ähnlich gute Waren zu erschwinglicheren Preisen im Geschäft um die Ecke. In unseren Moskauer Laden kommen vor allem Leute, die schon mal in Italien waren und dort Käse, Fleisch und Oliven probiert haben. Und jetzt wollen sie zu Hause ein „italienisches Abendessen“ zubereiten. Unsere Kunden kommen aus ganz Moskau. Einige sogar aus anderen Städten. Am häufigsten kommen sie, um unseren Mozzarella „Buffalo“ zu kaufen, aus der Milch von schwarzen Hausbüffeln. Die größte Nachfrage insgesamt gibt es nach unserem Prosciutto di San Daniele, der aus Schweinefleisch und Meersalz hergestellt wird. Dieser Schinken reift mehr als ein Jahr.
— Was sagen Sie zu Ihrer Konkurrenz?
— Ich würde unseren Laden nicht mit den Ketten vergleichen, wo man auch ein breites Sortiment an Käsen und Schinken kaufen kann. Davon gibt es viele, doch unser Laden ist einzigartig. Wir haben auch nicht einfach nur einen Laden. Wir haben eine Philosophie, bei uns kommen Sie direkt in einen Winkel Italiens. Die Atmosphäre ist sehr wichtig: italienische Musik, der Koch hinter einer gläsernen Wand bereitet die Speisen zu zum Mitnehmen, wie Lasagne, Ravioli, Sizilianische Cannoli oder Vitello Tonnato. Bei uns gibt es keine vertrockneten Waren in den Regalen. Die Verkäufer achten darauf. Den Lieblingsschinken der Moskowiter präsentieren wir wie in Italien: in einer ordentlichen Verpackung und hauchdünn geschnitten. Eines der größten Probleme in Russland mit Schinken ist, dass falsche Maschinen für den Aufschnitt verwendet werden, was Geschmack und Aroma verändert. Meinen Konkurrenten möchte ich sagen: „Versucht, alles vernünftig und qualitativ zu machen! Wenn nötig, kann ich Euch auch einige Ratschläge geben. Doch gebt keinen Schrott für Gold heraus!“.
Die Atmosphäre ist sehr wichtig: italienische Musik, und der Koch hinter einer gläsernen Wand bereitet die Speisen zum Mitnehmen.
— Seit dem 7. August hat Russland für ein Jahr den Import von Rind- und Schweinefleisch, von Früchten, Geflügel, Käse und Milch aus der EU, den USA, Australien, Kanada und Norwegen verboten. Schränkt dies das Produktsortiment in ihrem Laden ein?
— Durch die Sanktionen werden einige Sorten Käse aus unserem Laden verschwinden. Ich genieße am Markt eine gute Reputation, und es ist mit gelungen, im Vorhinein einige Vorräte an unverderblichen Waren anzulegen. Diese Vorräte sollten etwa ein halbes Jahr reichen. Trauer lohnt sich hier nicht. Die Italiener sind in der gesamten Welt unterwegs und produzieren erfolgreich Käse in Ländern mit den verschiedensten klimatischen Bedingungen. Für die Herstellung meines eigenen Prosciutto brauche ich ein Jahr. Ein Parmesan muss ebenfalls dörren und eine hinreichend lange Zeit reifen. Auch die entsprechenden Büffel kann man in Dagestan und Tschetschenien finden. Sie können ruhig im Stall leben, man braucht nur feuchte Erde. Diese Bedingungen kann man auf dem besagten Hof meines Freundes im Twersker Oblast schaffen.
Boris Akimow, Gründer des Projekts LavkaLavka:
- Die Höhe der Ausgaben für die Eröffnung eines eigenen Handelsunternehmens hängt natürlich ab von den jeweiligen Ambitionen und Möglichkeiten, doch beträgt der Eintritt in diesen Markt mit den härtesten Mechanismen mindestens vier Mio. Rubel. Davon geht bei heutigen Preisen mindestens eine Mio. Rubel in die Renovierung der Lokalität.
Was die Erstausstattung an Handelsbestand für die Regale angeht, sind selbst für ein kleines Geschäft mit 50 Quadratmetern Fläche bis zu einer Mio. Rubel notwendig. Dazu kommt die Rüstperiode, in der man bereits Miete und Gehälter zahlt, der Laden jedoch noch nicht läuft, und die Ausgaben für die Registrierung der juristischen Person.
Aufgrund der Gegensanktionen Russlands verschwindet zurzeit in den großen Handelsketten eine Reihe von Produkten europäischer Hersteller aus den Regalen. Dies eröffnet gute Perspektiven für kleinere Handelsunternehmer, die entsprechend flexibel reagieren können und ihre Regale mit ähnlichen Produkten anderer Hersteller füllen.
— Wie viele Menschen arbeiten in Ihrem Geschäft?
— Es waren sieben, jetzt sind es elf. Alle, die in den neuen Läden eingesetzt werden sollen, werden in unserem Geschäft angelernt. Wir haben da viel Spaß.
— Ist das Prinzip, dass in Ihrem Geschäft nur Italiener arbeiten?
— Nein. Das Wichtigste ist, dass man Träger der italienischen Kultur ist. Nun passen natürlich Italiener da am besten ins Bild.
— Was verdienen Ihre Verkäufer?
— Ohne konkrete Zahlen zu nennen - glauben Sie mir, mehr als der Moskauer Durchschnitt.
Der Schlüssel zum Erfolg ist die gesellschaftliche Integration
— Was würden Sie Ausländern raten, die darüber nachdenken, in Moskau ein Geschäft zu eröffnen?
— Leider wollen viele Ausländer, die nach Russland kommen, nach ihren eigenen Regeln spielen. Doch das funktioniert so nicht. Hier herrscht ein eigenes Reglement, gibt es eine eigene Bürokratie, eigene Nuancen. Beispielsweise braucht man an der Ladentür unbedingt eine Alarmanlage, in Italien ist das nicht so. Für die Genehmigung, einen Laden zu eröffnen, braucht man für die verschiedenen Instanzen wie Feuerwehr oder Gesundheitsamt einen Rechtsberater, der sich in den lokalen Besonderheiten auskennt. Vor allem aber braucht man für die Eröffnung eines Ladens viel seelische Stärke. Ich habe zum Beispiel, da ich ständig beschäftigt war, einen Designer für das Interieur engagiert, musste dann aber selbst noch einmal so viel Zeit investieren für die ganzen Nacharbeiten.
Viele Ausländer, die nach Russland kommen, wollen nach ihren eigenen Regeln spielen. Doch das funktioniert so nicht.
In diesem Business muss man ständig am Ball bleiben und alles kontrollieren. Zudem muss man für die Eröffnung eines Geschäfts in Russland, glaube ich, ein wenig verrückt sein. Man sollte nicht denken, dass Russland der Klondike ist. Man braucht einen klaren Businessplan. Doch der wichtigste Schlüssel zum Erfolg ist die gesellschaftliche Integration, das Verständnis der lokalen Mentalität und Kultur.
— Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
— Ich möchte gern ein kleines Familienrestaurant eröffnen am Frunsenskij Ufer, so eine Trattoria, wo man einfach lecker und günstig essen kann. Ich möchte mit den Moskowitern alles teilen, was ich über die italienische Küche weiß.