Wonach sucht er im fernen Lande?
– Christian, mit der Beendigung der landwirtschaftlichen Arbeiten…
– Oh, wir haben kein Ende der Arbeit. Wir arbeiten in einem Zyklus, in welchem das eine in das andere übergeht. Zurzeit sind wir mit dem Aufbau unseres Getreidespeichers und mit der Aussaat des Winterkorns beschäftigt.
– Übrigens, wo habt ihr die Samen her?
– Für den Winterweizen kommen die Samen von hier, aus Russland. Die Russen haben diese gut auf die lokalen Witterungsverhältnisse abgestimmt. Aber alle anderen Samen – Hefe, Sonnenblumen, Raps, Erbsen und andere Kulturen – werden aus Europa importiert. Sie sind dort hochwertiger. In der nahen Zukunft planen wir den Anbau von Soja und Lupine…
Bevor wir mit unserem Agrarunternehmen begannen, wussten wir bereits, dass es in der Schwarzerde-Zone liegen wird.
– Aber wenn wir mit dem Thema Saisonarbeit fortfahren, dann müssten Sie ja eigentlich bereits wissen: Im russischen Winter mit seinen Frosten und Schneestürmen ruht sich der Bauer aus…
– Wir geben unseren Arbeitern auch Zeit für den Winterurlaub! Einige sind natürlich mit den Lagerarbeiten beschäftigt, aber der wesentliche Teil unserer Traktorfahrer ist von Anfang Dezember bis zum 15. März im Winterurlaub. Bezahlt natürlich.
– Wieso denn das?
– Weil erstens die Menschen wissen sollten, dass sie im Frühjahr wieder auf der Arbeit erwartet werden. Dies bedeutet für sie Stabilität und Sicherheit für die Zukunft. Zweitens werden im Sommer einige Überstunden gemacht, die auch durch das Fehlen von Wochenendtagen während der Ernte-Hochsaison entstehen. So kommen einige Tage zusammen. Da sind wir ehrlich gegenüber unseren Mitarbeitern…
Jeder westliche Unternehmer verschafft sich einen genauen Überblick über die Situation, bevor er anfängt.
– Woher kommen Sie? Was führte jemanden wie Sie nach Russland? Und wieso sind Sie ausgerechnet im Sewsker Bezirk des Brjansker Gebiets gelandet?
– Nichts davon ist Zufall. Als wir einen Standort für unser Unternehmen gesucht haben, das mit der Getreidesaat verbunden ist, war für uns klar, dass es die Schwarzerde-Zone sein soll. Nicht so trocken. Außerdem sollten auch freie Ackerflächen zur Verfügung stehen und die Anzahl der Anwärter auf diese Flächen minimal sein. Im Sewsker Bezirk des Brjansker Gebiets haben wir verwahrloste Felder vorgefunden, auf welchen bereits Birkenbäume mit den Stämmen von 12 cm Durchmesser wuchsen. Daher waren die lokalen Politiker…
– Die örtlichen Machtorgane…
– … die örtlichen Machtorgane waren unglaublich froh, dass wir kamen und uns bereit erklärten, diese Ackerflächen für die Fruchtfolge wiederherzustellen. Zusammenfassend lässt sich also sagen: Klima und Politik spielten für die Platzwahl die wichtigste Rolle.
Artem Pitschugin, Consulting Firma CONSOL
– Der russische Markt für Getreidekulturen ist wiederhergestellt worden seit der unglaublichen Hitze von 2010, als das Gesamtvolumen der Ernte von Getreidekulturen sogar niedriger als im Krisenjahr 2009 ausfiel. Nach den letzten Schätzungen beträgt die Getreideernte in Russland im Jahre 2011 ca. 90 Mio. Tonnen (im letzen Jahr waren es 61 Mio. Tonnen). Die Landwirtschaftsbetriebe verfügen über ein riesiges Potential. Russland versucht, seine führende Position auf dem internationalem Markt zurückzuerobern, da die Entwicklungen in diesem Bereich helfen können, die Abhängigkeit der ressourcenorientierten russischen Wirtschaft von der Situation auf den westlichen Märkten zu reduzieren. Und dies trotz der Tatsache, dass der russische Markt, gemessen an den Ernteerträgen, dem europäischen oder dem amerikanischen Markt gegenüber verliert. Dies lässt sich vor allem auf die klimatischen und technologischen Bedingungen zurückführen. Allerdings werden die technologischen Rückstände in den landwirtschaftlichen Betrieben bzw. bei den Agrarwirten mit westlichen Investitionen in den letzten Jahren erfolgreich behoben…
Durchschnittlich beträgt das Investitionsvolumen im Bereich der Großprojekte ca. 30 Mio. US Dollar und die Revalierungszeit beträgt 10 Jahre aufwärts. Wenn wir über die Kleinunternehmen und die mittelständischen Unternehmen sprechen, dann beträgt das Investitionsvolumen für die Fläche von 3.000 Hektar ca. 5 Mio. US Dollar und die Revalierungszeit beträgt ca. 4 bis 6 Jahre. Übrigens werden die Perspektiven einer Investition im Bereich der Landwirtschaft von einigen Investoren sogar höher eingeschätzt als im Bereich des Gas- und Erdöl-Sektors.
Unser Investor ist die Finanzgruppe UFG. Die Leitung hat Herr Eckart Hohmann. Er bekleidet die Position des Generaldirektors und ist für Finanzfragen und für den Vertrieb zuständig. Ich bin der Produktionsleiter, d.h. Organisator und Hauptkontrolleur der Technologien des Anbaus und der Ernte der Kulturen kontrolliert. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die westlichen Unternehmer nur sehr selten ein Unternehmen in Russland gründen, wenn sie auf diesem Gebiet noch keine Erfahrungen vorweisen können. Herr Hohmann arbeitete bis dahin acht Jahre lang in Russland. In den ersten vier Jahren arbeitete er für eine Bank, wo er mit der Finanzierung von Agrarunternehmen beschäftigt war. Dann gründete er sein eigenes Unternehmen mit anfangs 2.000 Hektar. Ich war als Berater und Technologe im Bereich der Pflanzenbau in einer der Firmen im Woronescher Gebiet beschäftigt. Jeder der westlichen Unternehmer hat seine eigene Geschichte in Bezug auf die Unternehmensgründung in Russland zu erzählen, aber sie fängt fast immer mit dem Situationscheck und mit dem Ausprobieren im kleineren Rahmen an. Und genau so ist es auch richtig, weil es auch das Risiko, Fehler zu machen und eine Enttäuschung zu erleben, ausschließt.
Auf uns muss man Rücksicht nehmen
– Haben Sie denn keine Enttäuschungen beim Führen Ihres eigenen Unternehmens erlebt? Finden Sie denn alles gut bezüglich der russischen Gesetzgebung und des Verhältnisses zu den örtlichen Machtorganen?
– Wir hatten praktisch keine großen Probleme. Bürokraten gibt es auch bei uns in Deutschland, Russland hat einfach noch mehr davon. Aber interessanterweise hilft uns, den Ausländern, vor allem der Wunsch der Machtorgane, mit dem Gouverneur angefangen aufwärts, dass neue Investitionen und fortschrittliche Technologien nach Russland gelangen. Man kann sagen, dass ein Projekt, das Fahrt aufgenommen und seine Effektivität bewiesen hat, auf die Politiker einen gewissen Druck ausübt. Auf uns sollte man Rücksicht nehmen. Außerdem schleppen wir keine Altlasten mit uns herum, d.h. wir kauften lediglich das Land – ohne Kolchosen und ohne Güter. Wir mussten keine Mitarbeiter entlassen und uns mit den Problemen bezüglich der Instandhaltung von alten Gebäuden und der Wartung von alter Technik auseinandersetzen. Wir haben von Null auf angefangen und arbeiteten sofort nach den neuesten Technologien und mit der neuesten Technik. Allerdings das erste Problem, das auf uns bereits wartete, war das Problem der Fachkräfteauswahl.
Keine Geduld sich zu gedulden…
– Was passte Ihnen nicht an unseren Traktorfahrern?
– Ehrlich? Russland blieb in Fragen der Aneignung neuer Technik in den 90er Jahren weit zurück. Sie haben sich die neuen Technologien bezüglich des Anbaus von Getreidekulturen nicht erschlossen. Deswegen mussten wir dies erst allen beibringen – von den Leitern bis zu den Traktoristen. Einige Spezialisten mussten sogar aus den benachbarten Gebieten – speziell aus den Kursker und Woronescher Gebieten – geholt werden.
– Und wie sieht es aus mit der Fachkräftefluktuation?
– Im ersten Halbjahr war diese sehr stark. Wir haben finanzielle Mittel für Unternehmensentwicklung, wir haben Technik und Technologien, aber wir haben keine Geduld mit der Schlamperei und der fehlenden Bereitschaft der Menschen, sich voll in die Arbeit einzubringen. Wir sind es auch leid, die Leute zu überreden, nicht blau zu machen oder auf Qualität zu achten… Nach und nach schieden diejenigen aus, die unser Tempo und unsere Anforderungen nicht ausgehalten haben. Dafür haben wir jetzt einen Grundstock an Mitarbeitern, denen wir vertrauen können und in welche wir unsere Hoffnungen setzen. Unser Team besteht zurzeit aus 100 Mitarbeitern. Als wir angefangen haben, hatten wir lediglich 30 Mitarbeiter.
Disziplin ist alles. Verbessern Sie zuerst die Disziplin in ihren Betrieben, und erst dann werden Sie uns auch ein- oder überholen können.
– Sie beherrschen die russische Sprache sehr gut…
– Na ja, wir wollen auch von hier nicht weg, wie manche denken: Die Deutschen reißen ein großes Stück ab und kehren dann wieder zurück nach Deutschland! Wir haben in unser Unternehmen, in diese Felder hier nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch unsere Seele investiert. Wir bewirtschaften 20.000 Hektar. Im nächsten Jahr planen wir einen Zukauf von 10.000 Hektar im benachbarten Susemsker Bezirk.
Russische Märchen
– Und was erzählt man über euch, die Ausländer, noch so auf den russischen Feldern?
– Das wir … die Felder durch die Dünger vergiften würden! Aber ist denn nicht klar, dass eine übertriebene Düngung in erster Linie der Ernte selbst schädigt? Wir haben doch nicht vor, Verluste zu machen! Außerdem reizt uns in Russland gerade die Größe der Projekte! Wo könnten wir in Deutschland oder gar in Europa so viel Feldflächen finden, um uns so entfalten zu können? Im Moment sind wir mit dem Bau des Getreidespeichers beschäftigt – einen ähnlichen gibt es sogar bei uns in Deutschland nicht. Im Gesamtkomplex, bestehend aus einem Trocken– und einem Sortierraum, werden dann gleichzeitig 400 Tonnen der Erzeugnisse verarbeitet. Zwei Sortiermaschinen werden selbstständig das Korn nach 1. und 2. Klasse sortieren und 200 Tonnen pro Stunde schaffen. In den Trockenräumen, die auf der Gasbasis arbeiten, werden dann, abhängig von den Feuchtigkeitsverhältnissen, 60 Tonnen Korn verarbeitet werden. In den Speicherwerken werden dann 1.000 Tonnen Korn verarbeitet. Wir werden auch fremdes Korn für die Weiterverarbeitung annehmen können, womit wir zusätzliches Geld verdienen werden.
Für den Getreidespeicher sind schon vier Boxen für die Lagerung der Erzeugnisse fertiggestellt, die jeweils 100 m lang und ca. 50 m breit sind. Zwei weitere solche Lagerräume kommen in der nahen Zukunft noch hinzu. Wir bleiben hier also länger…
– Und haben Sie genügend technisches Gerät für die Getreideernte? Sind die Zahlen beeindruckend?
– Die Zahl der Maschinen sollte nicht beeindrucken; sie sollte reichen, um unsere 20.000 Hektar Fläche bearbeiten zu können. Man nehme die Leistungsfähigkeit der Maschinen, wobei ein Mähdrescher in einer Saison ca. 1.700 Hektar bearbeiten kann, skaliere dies auf die Gesamtfläche und erhalte dann die von uns benötigten 12 Traktoren und 12 Mähdrescher. Wir werden noch zusätzlich 10.000 Hektar Land hinzukaufen und demzufolge noch 6 weitere Maschinen erwerben. Aber wir brauchen keine überflüssigen Maschinen.
– Wie stark unterscheidet sich die russische von der deutschen Gesetzgebung im Bereich der Produktion?
– Ja, schon. Aber einerseits kamen wir zu euch und müssen uns deswegen an eure Gegebenheiten anpassen. Andererseits lassen wir uns aber auch von den örtlichen Machtorganen nicht reinreden, wo und was wir anpflanzen und wie wir die Sachen ernten und aufbewahren sollen. Manchmal entstehen einige Missverständnisse mit der lokalen Bevölkerung. Es erscheint uns ziemlich komisch, dass z.B. die lokalen Imker ihre Bienenstöcke auf unsere Felder stellen und meinen, dies wäre in Ordnung. Und wir müssen in dieser Zeit den Buchweizen bestäuben und stehen dann vor dem Problem: Wo sollen wir den Imker suchen? Und überhaupt, wieso sollten wir ihn, der auf unser Privatgrundstück gekommen ist, warnen, wenn wir im Rahmen der Schädlingsbekämpfung Pestizide einsetzen? Danach werden dann Gerüchte verbreitet, dass auf unseren Feldern sogar die Bienen sterben. Dabei kommen alle möglichen Leiter von Landwirtschaftsbetrieben zu uns, um sich unseren Betrieb anzuschauen.
Valerij Gudakow, Verwaltungsleiter im Sewsker Bezirk des Brjansker Gebiets:
– Seitdem die deutschen Kollegen da sind, hat die Erde angefangen, genau das zu geben, was sie auch zu geben hat. Sie und die Menschen um sie herum wurden zum Leben erweckt. Und das ist keine Übertreibung. Der Bauer mag es nicht nur, gut bestellte Felder zu sehen, sondern auch die Agrarkultur zu beobachten. Vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Investor eine Methode der pfluglosen Bodenbearbeitung anwendet, die wir so noch nicht gekannt haben.
Durch den Investor wurden die Leiter unserer Landwirtschaftsbetriebe angeregt, neue Technik anzuschaffen. Als sie noch allein auf dem Feld waren, konnte sie auch nach der alten Methode arbeiten, aber mit dem Eintreffen der westlichen Konkurrenz mit ihren neuen Traktoren und Mähdreschern konnte man dies nicht mehr: Um den Konkurrenzkampf nicht zu verlieren, musste man sich umstellen. So wurden Kredite aufgenommen und finanzielle Mittel in die technische Umrüstung der eigenen Betriebe investiert. Und dies hat sofort ihre Wirkung auf die Qualität der Produktion gehabt.
Unsere Mitarbeiter werden auch durch die Arbeitsweise in der deutschen Firma angetrieben. Wenn es die Wetterverhältnisse erlauben, arbeiten diese Tag und Nacht. Das sagen wir bei unseren Meetings auch unseren Landwirten – lernen Sie, die Zeit zu schätzen und Disziplin zu schaffen, insbesondere in der Ernte-Hochsaison! Diejenigen Leiter der Betriebe, die zukunftsorientiert sind, finden es nicht peinlich, von den Erfahrungen der deutschen Kollegen zu lernen. Zum Glück machen diese kein Geheimnis daraus.
Wir freuen uns auch für unsere Jugend. Ein Durchschnittslohn bei den deutschen Kollegen beträgt 29 Tausend Rubel. Die Männer haben gesehen, dass man auch daheim gut verdienen kann, ohne dafür nach Moskau oder in andere Städte fahren zu müssen. Erste Anzeichen für ein Erstarken der Jugend auf dem Land – auch das ist ein Verdienst unserer westlichen Partner.
In der ersten Zeit stellten die Dorfobersten Fragen wie: Wieso machen unsere Gäste unsere Straßen kaputt und entziehen unseren Gewässern in großen Mengen Wasser? Diese berechtigten Fragen stellten wir auch unseren deutschen Freunden. Die Reaktion darauf war positiv: Sie fuhren mit einem Planierer über alle Straßenränder und ebneten diese für ihren Eigenbedarf, wovon allerdings auch unsere Autofahrer nur profitieren können. Außerdem bohrten sie für ihren Bedarf zusätzliche Wasserlöcher. Gleichzeitig helfen sie auch dem Kindergarten in Sewsk und unterstützen insgesamt das Sozialwesen des Bezirks.
Wir als Leiter eines Kommunalbezirks haben seit dem Ankommen der Deutschen einen Traum: Sollen doch die gleichen Investoren auch in die Viehzucht kommen! Wir hätten dann eine Menge Arbeitsplätze für die Frauen gewonnen!
Jeder geht seinen eigenen Weg
– Haben Sie keine Angst vor Konkurrenz?
– Nein. Es reicht noch nicht, die Methode einer pfluglosen Ackerbearbeitung abzuschauen oder gar zu lernen. Man sollte unbedingt einen ganzen Zyklus bzw. eine ganze Herstellungskette beherrschen und systematisch arbeiten können… Sie müssen die Disziplin in ihrem Betrieb verbessern und erst dann werden Sie uns ein– oder sogar überholen können. Die Leute und ihre Hände sind in Russland golden, aber die Disziplin lässt zu wünschen übrig… Ich rede sehr häufig über Disziplin, weil ja gerade die Belegschaftszusammenstellung sehr viel Kraft kostete. Außerdem ist für uns die politische Stabilität in Russland wichtig. Und durch unsere europäische Erfahrung in Ihrer Landwirtschaft werden wir alle profitieren.
– Welche Tipps könnten Sie den Unternehmern in Europa geben, die ein Unternehmen in Russland gründen wollen?
– Jeder muss seine eigenen Wege gehen. Aber wenn man den Wunsch verspürt, sich mit Großprojekten auseinander zu setzen, sollte man keine Angst vor Schwierigkeiten haben. Umso mehr, also dass die ausländischen Unternehmen in Russland sogar erwartet werden…
– Für Brjansker Gebiet hat man Regen versprochen…
– Dann soll es auch regnen. Der Regen hat seinen eigenen Nutzen und seine Schönheit. Es gibt Naturgesetze, und wir, die wir auf dem Acker arbeiten, müssen damit leben, was uns der Himmel schenkt. Wir weinen, wir freuen uns, aber im Endeffekt nehmen wir das an, was es gibt. Und können nur in den Bedingungen arbeiten, die gerade vorherrschen. Darin sind wir stark…