„Nach meinem Studienabschluss wollte ich, wie viele meiner Kommilitonen auch, zuerst Europa kennenlernen, – erzählt Christian Courbois. In Tschechien konnte ich sogar in meinem Beruf arbeiten, denn ich habe in meinem Fach fundierte Kenntnisse bekommen und konnte auch einige Erfahrungen aus Praktika nachweisen.“
Im Jahre 1992 zog es Christian Courbois weiter – nach Russland, Leningrad. Von der Stadt hatte er bereits viel während seiner Zeit in Prag gehört. 1993 bekam die Stadt mit fünf Mio. Einwohnern seinen ursprünglichen Namen Sankt-Petersburg zurück.
Der junge Amerikaner konnte sich damals während seiner Erkundungstour durch die nördliche Hauptstadt Russlands nicht vorstellen, dass er hier einmal ernsthafte Geschäftsbeziehungen aufbauen würde. Nach Sankt-Petersburg wollte Christian Sibirien und den fernen Osten bereisen, aber dann änderte er seine ursprünglichen Pläne unter Einfluss seiner ausländischen Freunde, die genauso wie er nach Sankt-Petersburg gekommen waren. Alle wollten sie sehen, wie sich Russland nach dem Fall des „eisernen Vorhangs“ entwickelt hatte.
Man konnte einen unglaublichen Aufstieg spüren, viele wollten in Russland ihr Unternehmen gründen. Das Wort „Business“ hing in der Luft.
Und das neue Leben war – wider Erwarten – gar nicht so schlecht. Man konnte einen unglaublichen Aufstieg spüren, viele wollten in Russland ihr Unternehmen gründen. Das Wort „Business“ hing in der Luft. Und wenn sogar die Russen, die vorher „Business“ eher als ein Schimpfwort empfunden hatten, ihr eigenes Unternehmen gründen wollten, wollten dies die Ausländer in Russland umso mehr. Und es spielte keine Rolle, dass es absolut keine Business-Regeln im damaligen Russland gab – das Wichtigste war einfach das Streben nach einem eigenen Business-Projekt.
„Ich persönlich wollte 1993/94 kein eigenes Unternehmen gründen, – erzählt Christian. Aber ich wollte auch nicht ganz abseits bleiben; ich beriet meine Freunde und half ihnen, ihre Cafés zu eröffnen, in der Touristik- und Hotelindustrie Fuß zu fassen sowie Investitionen im Bereich der Immobilien zu tätigen; diese erwiesen sich im Laufe der Zeit als besonders gewinnbringend. Nebenbei konnte ich Geschäftserfahrungen sammeln, juristische Spezifika in Russland kennenlernen (denn die russische Gesetzgebung erfährt immer wieder bestimmte Veränderungen) sowie meine Russischkenntnisse verbessern. So glaube ich jetzt, dass mein Wunsch nach einer Selbständigkeit in Russland erst nach und nach Gestalt annahm.“
Nach etwa einem Monat konnte ich meine Ausgaben decken, und nach einem Jahr war der Umsatz groß genug für ein erfolgreiches Unternehmen.
Aber wie wurde die Idee geboren, auf den russischen Versandmarkt zu gehen und das Unternehmen „Westpost“ zu gründen? Dazu trug das Leben in Russland selbst bei. Christian konnte mit Erstaunen auf den Bahnhöfen von Moskau und Sankt-Petersburg häufig folgendes Bild beobachten: Menschen übergaben Unbekannten oder Zugschaffnern ihre Post, damit sie diese zum Adressaten bringen, während dafür in den Industriestaaten ja eher ein Versand- oder Lieferservice zuständig ist. (Diese Art der Postübergabe lässt sich übrigens auch heute noch in Russland beobachten.) Christian konnte es einfach nicht verstehen: „Wie konnte man Unbekannten seine Briefe oder sogar Dokumente ohne jegliche Lieferungsgarantie anvertrauen?“
Über die Unterentwicklung dieses Servicebereichs hörte er dann auch immer wieder von befreundeten Geschäftsleuten. So war die Notwendigkeit einer schnellen und sicheren Postzustellung in Russland ganz offensichtlich. Als Antwort darauf entstand dann das Unternehmen „Westpost“.“
Sergej Kozyrew, Marktforscher und Analyst in der Forschungsgesellschaft AnalyticResearchGroup:
Im Jahre 2011 betrugen die Gewinne der Express-Kurierdienste knapp 40 Mrd. Rubel, dabei wiesen sie eine Steigerung von ca. sechs Mrd. Rubel innerhalb eines Jahres auf. 2012 könnte des Marktwachstum 18% und der jährliche Gewinn 47 Mrd. Rubel betragen.
Die russischen Kurierdienste unterscheiden sich von den ausländischen in ihren längeren Lieferzeiten. Dies ist vor allem der unzureichenden Entwicklung der Infrastruktur und dem mangelnden Luftverkehr in der Russischen Föderation zuzuschreiben. Beim Warenversand aus dem Ausland kommt es auch zu Verzögerungen an der Zollgrenze.
Die größten ausländischen Kurierdienste sind auch in der Lage, komplizierte Lieferungsketten zu managen. Die russischen Konkurrenzunternehmen können dies dagegen oft nicht gewährleisten: Sie sind nicht so universell und multifunktional aufgestellt und konzentrieren sich deswegen häufig auf die gegenseitige Weitergabe des Versands.
Für die Gründung einer Kurierfirma mit einem kleinen Fuhrpark für die Postlieferung innerhalb der Stadt mit einer Bevölkerung von einer Mio. Menschen braucht man zwischen 10.000 und 12.000 US Dollar an Startkapital. Mit dieser Summe kann man die Firma registrieren, Mitarbeiter einstellen sowie Miete, Ausrüstung und Werbung bezahlen. Die weiteren Ausgaben würden sich dann auf ca. 5.000 US Dollar monatlich belaufen. Die Rendite kann bei solchen Firmen bis zu 15% betragen, die Amortisationsdauer beläuft sich auf neun Monate und mehr.
Heute können viele kaum glauben, dass Christian ganz ohne einen Bankkredit, ohne große Ersparnisse sowie ohne jegliche Unterstützung seiner Familie ausgekommen war, und dass sein Startkapital nur 2.000 US Dollar betrug.
„Nach ca. einem Monat konnte ich meine Ausgaben decken, und nach einem Jahr war der Umsatz groß genug für ein erfolgreiches Unternehmen, – erinnert sich Christian. Obwohl ich mich damals eher auf das Remailing konzentriert habe: Ich brachte die Post nach Finnland und schickte sie dann von dort aus an die Adressaten. Später bot ich auch einen Kurierservice an.
Durch die Gewinne konnte sich unser Unternehmen weiterentwickeln. „Westpost“ hat außerdem schnell eine Reihe von Großkunden – „Ford“, „Caterpillar“, „Megafon“ u.a. – gewonnen, für die es auch heute noch tätig ist.
Mit der Zeit musste Christian seine Pläne an die Wirklichkeit anpassen. Anfangs wollte er ja nur eine bestimmte Summe verdienen, um seine Russlandreise fortsetzen und schließlich in seine Heimat zurückkehren zu können. Aber sein Business lief dann so gut, dass er seine Abreise verschob. Und so dauert sein Business-Stopp in Russland nun bereits über 20 Jahre…
Wie ging es mit seiner Unternehmensentwicklung weiter? Courbois spricht sehr gern über die gemachten Fortschritte: „Zuerst haben wir nur ausländische Kunden gehabt und beschäftigten uns ausschließlich mit Remailing. Dann boten wir auch eine direkte Postzustellung an – aus Sankt-Petersburg nach Moskau. Damals gab es noch keine Konkurrenz vonseiten der privaten Postunternehmen, daher konnten wir ziemlich schnell einen ziemlich großen Kundenkreis gewinnen. Heute wie damals setzen wir primär auf die Großkundschaft.“
Die großen Unternehmen haben auch einen großen Briefwechsel, und sie sind sehr an einer sicheren und schnellen Postzustellung interessiert. Auch Privatpersonen kommen zu „Westpost“, aber es ist für uns im Zentrum von Sankt-Petersburg auf dem Newski-Prospekt doch günstiger, solide Kundschaft zu werben und für einen längeren Zeitraum.
„Heute haben wir starke Konkurrenz in diesem Servicebereich, – sagt Courbois. Diese haben wir vor etwa sieben Jahren richtig gespürt. Es gibt dabei auch unschöne Konkurrenzmomente, wenn einige Unternehmen Preisdumping betreiben, nur um auf den Markt zu kommen.“
Es ist sehr schwer, auf dem Arbeitsmarkt verantwortungsbewusste Menschen zu finden, die auch keine Angst vor dieser Verantwortung haben.
Zurzeit ist eine gewisse Tendenz zur Monopolbildung zu beobachten: Einige meinen, dass es statt vieler kleineren Firmen nur einige große geben sollte. Aber die Versandspezifik zeigt, dass auch kleinere Firmen ihre Marktnischen finden. So ist es manchmal notwendig, die Post auch an „ungünstige“, weitgelegenen Orte, die Tausende Kilometer entfernt liegen können, zuzustellen, was für große Postzusteller-Firmen uninteressant erscheint. Ein solcher Postservice ist aber auch bei Großkunden immer wieder gefragt.
Heute bietet „Westpost“ alle Arten von Versand- und Kurierdienstleistungen an – all das, was Unternehmen und Geschäftsleute heute brauchen können. Es sind: Remailing der einfachen internationalen Post über Finnland; lokaler Intercity-Versand; Express-Kurier-Dienst innerhalb Russlands und ins Ausland; Direktversand und Post-Großversand sowie der Post- und Warenversand zwischen Moskau und Sankt-Petersburg. In den größten Metropolen Russlands haben wir unsere „Westpost“-Filialen und können somit den gesamten Versandzyklus zwischen dort und den anliegenden Moskauer und Leningrader Gebieten abdecken.
„Wenn wir die Post mal an einen weit gelegenen Ort zustellen müssen, wenden wir uns an unsere Geschäftspartner, – erzählt Courbois. „Für die Kunden ist dabei wichtig zu wissen, dass wir den Postversand fortwährend kontrollieren und die schnellstmögliche Zustellung garantieren. Auf unserer Internetseite bieten wir unseren Kunden die Verfolgung ihrer Sendungen an. Wir wissen, an wen wir uns wenden müssen, um den Versand optimal zu gestalten.“
Unsere konkreten Angebote lauten: Die Postzustellung (bis 250 g) von Sankt-Petersburg nach Moskau am nächsten Werktag kostet 400 Rubel. Ein Express-Versand – also bis zwölf Uhr mittags des nächsten Tages – kostet 570 Rubel. Das sind unsere Standardpreise, unsere Abonnenten (juristische wie natürliche Personen) zahlen weniger.
Die Tätigkeit von „Westpost“ unterliegt bestimmten Saisonschwankungen. Insbesondere in der Weihnachts- und Neujahrszeit erleben wir eine regelrechte Flut von geschäftlichen Gruß- und Geschenksendungen. Im Dezember sind wir dann dreifach so stark ausgelastet wie sonst. Wenn ein Kunde mehr als 50 Versandaufträge gibt, dann haben wir dafür sogar den Begriff „Massenzustellung“. Eine „Massenzustellung“ ist für beide Parteien vorteilhaft; sie erfährt insbesondere in den Stoßzeiten eine starke Nachfrage und ist viel günstiger als ein normaler Kurierdienst. Aber auch sonst pulsiert das Geschäftsleben und unsere Mitarbeiter haben immer viel zu tun.
Übrigens ist das Personalproblem ganz aktuell. Am Anfang bei der Unternehmensgründung stand Courbois zuerst allein da, und jetzt beschäftigt das „Westpost“ mehr als 30 Mitarbeiter.
„Es ist nicht einfach, gute Spezialisten zu finden, – beklagt sich Courbois. Es ist sehr schwer, auf dem Arbeitsmarkt verantwortungsbewusste Menschen zu finden, die aber auch keine Angst vor dieser Verantwortung haben. Oft lehnen meine Mitarbeiter sogar eine Beförderung zugunsten weniger Verantwortung ab. Ein derartiges Fehlen von Karriere-Ehrgeiz überrascht mich immer wieder.“
Oleg Maschkowskij, stellvertretender Direktor in der Verwaltung des föderalen Postverkehrs in Sankt-Petersburg und im Leningrader Gebiet, Filiale FGUP „Potschta Rossii“ (Russische Post) im Bereich Handel:
– In Russland existiert eine ganze Reihe von privaten Unternehmen, unter anderem auch ausländischen, die eine Lizenz als Postzusteller erhalten haben und die sehr erfolgreich auf diesem Markt agieren. Die Konkurrenz ist stark, aber im Großen und Ganzen kommen wir in puncto Geschäftsbeziehungen gut miteinander aus: es gibt eine ganze Reihe von Dienstleistungen, die von den regionalen Filialen des FGUP „Russische Post“ angeboten werden. Dabei konzentriert sich unser staatliches Unternehmen in erster Linie auf den Massenverbraucher, also die Gesamtbevölkerung Russlands. Die privaten Anbieter orientieren sich dagegen primär auf die juristischen Personen, die Unternehmen. Das Tätigkeitsfeld von privaten Anbietern im Postversand sind die Großstädte, wir bedienen auch die entferntesten Dörfer. Im Moment ergänzen wir uns gegenseitig, und Konkurrenz belebt ja bekanntlich das Geschäft.
Andere Probleme werden dagegen ganz gut gelöst. So ist Courbois fest davon überzeugt, dass die Situation mit den staatlichen Aufsichtsbehörden in den letzen drei oder vier Jahren viel besser geworden ist. Früher fanden die Kontrollen jeden Monat statt, sie nahmen jedes Mal sehr viel Zeit in Anspruch und störten die Unternehmensabläufe. Das „Westpost“ hatte auch nicht genug freies Kapital, um sich davon „freizukaufen“. Heute werden diese planmäßigen Kontrollen viel seltener durchgeführt. Auch das Kriminalitätsproblem wurde mit der Zeit geringer.
„Allerdings ist es heute unmöglich, ein Unternehmen mit lediglich 2.000 US Dollar Startkapital auf die Beine zu stellen, – meint Courbois. Alles ist viel teuer geworden: Immobilien, Personalkosten, Kreditzinsen usw. Und immer noch werden zu viele Papiere bei einer Gewerbeanmeldung verlangt. Sogar um einen Auto-Leasingvertrag zustande zu bringen, bedarf es einer unglaublichen Menge an Papieren! Für das Belegwesen braucht man einen gesonderten Mitarbeiter. Das ist ungünstig für das Startup-Unternehmen im Speziellen und für Russland als Ganzes. Die Entwicklungsmöglichkeiten für ein Kleinunternehmen werden auf diese Weise immer geringer.“
Da Christian bereits seit einer langen Zeit in Russland tätig ist, wird er immer wieder von ausländischen Geschäftsleuten gefragt: „Lohnt es sich überhaupt, nach Russland zu kommen und in sein eigenes Unternehmensprojekt zu investieren?“ Auch wir haben ihm die Frage gestellt, welchen Ratschlag er – rückblickend auf seine 20-jährige Erfahrung – den Unternehmern geben könnte?
Für das Belegwesen braucht man einen gesonderten Mitarbeiter. Das ist ungünstig für ein Startup im Speziellen und für Russland als Ganzes.
„Ich versuche immer, die Zweifel zu zerstreuen, – sagt uns Courbois. Russland ist immer noch das Land der großen Möglichkeiten. Ich kann auch mit voller Gewissheit sagen, dass in dem mir bekannten Dienstleistungsbereich ein großes Entwicklungspotenzial steckt. Es ist klar, dass man jetzt – im Gegensatz zur Situation vor 15 oder 20 Jahren – mit keinen schnellen Gewinnen mehr rechnen darf. Daher beeilen sich die russischen Unternehmer auch nicht, in diesen Bereich zu investieren. Aber die Einstellung im Westen ist eine andere.
Wenn ein ausländischer Investor bereit ist, vernünftige und bescheidene Gewinne zu machen, wird er damit erfolgreich sein. Daher fühlen sich meine ausländischen Kollegen ziemlich gut; sie entwickeln ihr Unternehmen Schritt für Schritt. Dabei muss man beachten, dass Russland nicht nur aus Moskau und Sankt-Petersburg besteht. Es gibt auch andere große Städte mit einer Bevölkerungszahl von über einer Million in Russland, welche ein noch höheres Investitionspotenzial und eine noch größere Menge an freien Marktnischen bieten.“ Und es handelt sich dabei nicht um ein Risiko wie in den 90er Jahren, sondern um konkret umsetzbare Business-Pläne. Dabei wird derjenige gewinnen, der als Erster auf den Markt kommt.“