Das Leben ist kein Zuckerschlecken
Nach Russland brachte Florence ihr Diplom von der angesehenen Wirtschaftsfakultät der Pariser Universität Sorbonne und Arbeitserfahrung aus ihrer Zeit in der Zuckerhandelsgesellschaft. Ihr „süßes“ Leben ging zuerst weiter. Dank ihrer Bemühungen floss der „Zuckerfluss“ aus Brasilien, Thailand und Kuba in Richtung russischer Ferner Osten. Aber nachdem Florence einige Jahre im Vertrieb gearbeitet hatte, wurde ihr eines Tages klar, dass sie in ihrem Beruf nicht mehr weiterkommt.
Während der Suche nach dem geeigneten Stück Land wurde Florence plötzlich klar, dass Russland doch kein so großes Land ist.
– So habe ich mit meinem Geschäftspartner beschlossen, ein eigenes Unternehmen zu gründen, – erinnert sich Florence. Nachdem wir einige Ideen ausdiskutiert hatten, beschlossen wir, uns der Rosenzucht zu widmen, denn die Rosen ließen sich sehr gewinnbringend verkaufen. In Russland werden viele Blumen importiert, darunter auch Rosen, denn die russische Rosenproduktion fällt ziemlich gering aus. Daher war gerade diese Geschäftsidee für mich interessant.
Zuerst richtete sich ihr Business-Plan an einer Massenproduktion aus. Die Franzosen wollten dafür drei Hektar Land einsetzen und die Rosen ähnlich wie in Kenia züchten. Aber als Florence sich genauer mit der Rosenzucht auseinandergesetzt hatte, verstand sie, dass sie eigentlich wenig Lust hatte, Massenware zu produzieren. Das fand sie einfach langweilig. So beschloss sie, nur aromatische Rosen auf einem einzigen Hektar zu züchten.
Florence hat sich von Anfang an am Moskauer Markt ausgerichtet, denn nur in der Hauptstadt war ein großes Verkaufsvolumen möglich. Sie studierte Angebot und Nachfrage und fragte in den Blumenläden nach Duftrosen. Und überall hörte sie nur: „Duftrosenzucht rentiert sich nicht. Es besteht hierfür keine Nachfrage, denn viele sind darauf allergisch. Sie gehen damit pleite.“ Man sagte ihr auch, dass man in Russland keine Duftblumen möge, und führte als Beispiel dafür die Lilie an, die einen starken und schweren Duft hat.
– Aber ich wusste bereits zu diesem Zeitpunkt, dass bei den Rosen in Wirklichkeit die Blätter, und nicht der Blütenstaub für den Duft verantwortlich sind. Vorgreifend kann ich sagen, dass ich bisher keinen einzigen Menschen getroffen habe, der eine Duftrosen-Allergie hat! Daher denke ich: weitere Marktforschung in Russland – völliger Unsinn.
Während der Suche nach dem geeigneten Stück Land wurde Florence plötzlich klar, dass Russland doch kein so großes Land ist. Denn die Suche nach einem geeigneten Platz für das Treibhaus erwies sich als schwierig.
– Zum damaligen Zeitpunkt lebte ich in Russland bereits seit zehn Jahren und wusste, dass es nicht zweckdienlich war, die Bauernhöfe in der Nähe von Moskau zu bereisen und freiheraus zu sagen: „Ich bin Französin und möchte bei Ihnen ein Stück Land erwerben.“
In diesem Falle würden die Preise in die Höhe schnellen, und das ganze Vorhaben wäre sinnlos. So arbeitete ich wie eine Russin und suchte ein geeignetes Grundstück mithilfe meiner russischen Bekannten. Mir wurde das Kalugaer Gebiet empfohlen. Dort habe ich auch schließlich ein Grundstück von fünf Hektar von einem Privatanbieter in der Nähe des Dorfes Babynino erworben.
Der Bau dauerte fast anderthalb Jahre, und der Kostenvoranschlag verdoppelte sich.
Es befindet sich 200 km von Moskau entfernt. Dort konnte man kostengünstig Wasser und Strom anschließen lassen.
Zuerst mussten wir 5,5 Mio. Euro in unser Business investieren. Mit der Erledigung notwendiger Formalitäten wurde unsere Generaldirektorin Irina betraut, die auch in der Kreisverwaltung tätig war. Ein Ausländer, der sich mit der Mentalität der lokalen Beamten nicht auskennt, hat verloren, meint Florence. In Russland muss man mit unnötigen, aber obligatorischen Kosten rechnen. In einem Büro werden hier Dokumente und Bescheinigungen ausgestellt, und in einem anderen Stempel auf diese gesetzt – dabei muss man für alles gesondert zahlen…
Kirill Kononow, Marketing Analyst bei der Intesco Research Group:
– Der Anteil der Blumenproduktion aus dem Ausland betrug auf dem russischen Markt traditionell ca. 90%. In den letzten Jahren verringerte sich dieser Anteil wegen der Vergrößerung von Treibhausflächen im Moskauer Gebiet und in den südlichen Regionen Russlands auf 85%. In der nahen Zukunft sollte dieser Anteil erwartungsgemäß noch stärker schrumpfen. Im Unterschied zu den hochentwickelten westlichen Märkten führen das relativ niedrige Bevölkerungseinkommen und das geringere Gesamtmarktvolumen dazu, dass „Saisonarbeitsfirmen“ einen relativ großen Anteil am russischen Blumenmarkt haben. Diese tauchen im Frühling, wenn die Nachfrage am stärksten ist, auf und schließen wieder, wenn die Nachfrage nachlässt. Eine Unterentwicklung des Marktes führt zu einem gewissen Nachfrage-Konservatismus, d.h. zu einer Vorliebe für traditionelle Blumensorten.
Die durchschnittliche Rendite im Bereich der Floristik bewegt sich zwischen 3% und 7%; wegen eines breiten Grauzonenbereichs kann die Rendite auch etwas höher ausfallen.
Die Minimalfläche von konkurrenzfähigen Projekten sollte nach Angaben von Marktteilnehmern ca. 25 ha betragen. Eine optimale Fläche, die eine Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Blumenmarkt erlaubt, sollte 50 ha betragen. In diesem Fall wird der Bau eines modernen, ein Hektar großen Treibhauses in etwa eine Million Euro kosten. Die Amortisationsdauer von modernen Treibhäusern beträgt nicht weniger als vier bis fünf Jahre.
„Coffee Break“ und „Ekstase“
Der Bau des Treibhauses begann auf einem kahlen Feld. Um eine ebene Fläche vorzubereiten, wurden auf dem Neuland drei Meter Erde verteilt. Als wir dann nach einer Planierraupe suchten, um unseren Boden ebenmäßig zu machen, mussten wir feststellen, dass alle Maschinen des Kalugaer Gebiets zu diesem Zeitpunkt für den Bau eines Werkes für Volkswagen eingesetzt wurden…
So sah eben die russische Realität aus. Eigentlich wollte sich Florence ursprünglich nur mit den organisatorischen Fragen beschäftigen. In Wirklichkeit aber musste sie als Bauleiter fungieren und den Arbeitern zeigen, an welcher Stelle man die Gruben für die Kläranlagen zu graben hat und wie man eine Drainage macht… Sogar für die Bewachung der Baumaterialien musste sie selbst sorgen.
– Der Bau dauerte fast anderthalb Jahre, und die Kostenplanung verdoppelte sich. Um sich für bestimmte Rosensorten zu entscheiden, fuhr Florence auf eine internationale Blumenmesse in der Nähe von Amsterdam. Dort stellte sie fest, dass es insgesamt gar nicht so viele Duftrosensorten gab. Und auch in Holland sagten ihr die Experten: „Die Stärke des Geruchs in Ihren Treibhäusern wird unvorstellbar sein. Die Menschen werden dort nicht arbeiten können.“ Aber in Wirklichkeit geben die Rosenblüten ihren Duft in der Regel erst ab, nachdem die Blütenknospen bereits abgeschnitten sind. Außerdem war unser Treibhaus 100 mal 100 Meter groß, mit einer Deckenhöhe von sechs Metern, und das ergibt ein sehr großes Raumvolumen!
Florence entschied sich für zwölf Rosensorten, die man in Russland bis dahin nicht kannte wie „Coffee Break“, „Angie Romantica“ oder „Pion Rose“. Zu den aromatischsten Sorten gehört die „Ekstase“. Die Französin achtete dabei auf den Duft, die Farbe, die Größe der Blütenknospen, auf die Stängel und die Blätter.
Zuerst rechnete Florence mit einer Projekt-Amortisationszeit von drei bis fünf Jahren, heute geht sie von sechs bis sieben Jahren aus.
– Im August 2008 haben wir 90.000 Rosenbüsche eingepflanzt. Es waren kleine, zehn Zentimeter lange Setzlinge. Jede Wurzel bekam einen Tropf. Wir haben dafür ein computergesteuertes High-Tech-Treibhaus gebaut: Wenn die Lufttemperatur eine bestimmte Marke erreicht, wird automatisch die Heizung ausgeschaltet; bei Lichtmangel gehen leistungsstarke Lampen an; spezielle Sensoren senden ein Signal, wenn die Rosen Wasser oder Dünger brauchen…
Leonid Gromow, Landwirtschaftsminister des Kalugaer Gebiets:
– Ich glaube, dass auf einem Schild an den Toren des Betriebs von Florence Gervais D’Arden als Devise die Worte „Gründlichkeit und Verantwortung“ stehen könnten. Denn genau diese Eigenschaften sind ihr Markenzeichen als Business-Lady und als Mensch. Leidenschaft und Kreativität, mit denen sie sich ihren Rosen und ihrem Unternehmen widmet, zeigen, dass sie noch lange nicht bereit ist, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Florence ist stolz auf ihre Arbeit und stellt ihre Produktion immer persönlich vor. Seit über drei Jahren ist die Nachfrage nach ihren wundervollen Blumen ungebrochen hoch, nicht nur in Kaluga, sondern auch in anderen Städten Russlands inklusive Moskau. Die Rosen von Florence dienen als Schmuck vieler regionaler und russlandweiter Landwirtschaftsmessen.
Die Politik des Kalugaer Gebiets im Bereich Agrarindustrie wirbt verstärkt um Investitionen. Mit deren Hilfe können wir unsere Fonds erneuern, technische Umrüstung vorantreiben und Modernisierung von Technologien vornehmen. Heute umfasst unser Investitionsportfolio 20,3 Mrd. Rubel. Ca. 80% der Produktion der regionalen landwirtschaftlichen Organisationen entfällt auf die Betriebe, die von unseren Investoren unterstützt werden. Es geht dabei nicht nur um eine erfolgreiche Entwicklung von Investitionsprojekten in den großen Betrieben, sondern auch innerhalb der Kleinunternehmen. Es wurden die notwendigen Bedingungen geschaffen, die jedem Teilnehmer der mehrschichtigen Agrarstruktur – den Anforderungen des Marktes entsprechend und gestützt auf die eigene unternehmerische Initiative sowie die staatliche Unterstützung – erlauben, seine Marktnische zu finden und effektiv zu arbeiten.
Unerwartete Schwierigkeiten haben wir aber mit der Personalzusammenstellung bekommen. Und dies in einem Land mit einer Arbeitslosenquote von 8%! Die Mitarbeiter haben im ersten Jahr 18.000 Rubel (d.h. ca. 600 US Dollar) pro Monat erhalten: jeweils 9.000 Rubel an Gehalt und Prämiengeldern – für die russische Provinz ein ziemlich guter Verdienst. Aber die Leute waren eher bereit, für weniger Geld weniger zu arbeiten, und gingen. So mussten wir streng auf unsere Disziplin achten.
Obwohl die Französin viel lieber ein Manager als ein Diktator in ihrem Betrieb wäre. Aber was blieb ihr auch übrig?
Bald war es doch gelungen, ein mehr oder minder leistungsfähiges Team zusammenzustellen. Zurzeit werden im Betrieb 40 Mitarbeiter beschäftigt, und ihr Durchschnittsgehalt beträgt 22.000 Rubel (d.h. ca. 700 US Dollar). Ihr Arbeitstag ist minutiös verplant, wobei sie drei Arbeitspausen haben: einmal eine Stunde und zweimal jeweils eine halbe Stunde.
Besonders schwierig gestaltete sich die Suche nach einem Diplom-Landwirt, der sich in den Technologien für die Rosenzüchtung auskennen würde. Zuerst hatte Florence ein Abkommen über die Zusammenarbeit mit einem französischen Agrar-Institut vereinbart, doch bereits sehr bald musste sie sich von ihrem inkompetenten Mitarbeiter trennen. Während der monatelangen Suche nach einem neuen Agrar-Berater musste sie sich im Alleingang mit technischen Systemen und der Elektronik auseinandersetzen. Dann kam endlich ein erfahrener Agronom, und sie haben den ganzen Sommer lang damit verbracht, Arbeitsanweisungen für die Blumenzüchter niederzuschreiben. Der Agrar-Berater zeigte den Mitarbeitern der Firma persönlich, wie man einen vitalen Rosenstiel aussucht und wie man die Rosen richtig hinbiegt. Dabei muss man auf viele Feinheiten achten: Die Schnittstelle bei einer Blume sollte zum Beispiel höchstens drei Finger breit über der Wurzel liegen, und keinen Deut höher.
„Womit parfümieren Sie Ihre Rosen?“
Unsere ersten Rosen wurden dreißig Tage später abgeschnitten. Über ihren Verkauf haben wir vorher eine Vereinbarung mit den Blumenläden getroffen.
– Unsere Rosen müssen spätestens zwei Tage nach dem Abschneiden zum Verkauf angeboten werden, – sagt Florence. Es war für uns wichtig, unsere Handelsmarke bekannt zu machen, und so haben wir sehr oft an verschiedenen Schauen und Messen teilgenommen. Dabei hörten wir oft den Satz: „Womit parfümieren Sie Ihre Rosen?“ Viele konnten einfach nicht glauben, dass das starke Aroma unserer Rosen natürlichen Ursprungs war…
Im Winter verkauft das Unternehmen „Die Rosenfee“ täglich 2.000 und im Sommer sogar 6.000 Rosen. An die Blumenläden werden sie für 95 Rubel pro Stück verkauft; dort wird aber häufig das Drei– oder Vierfache dieses Preises vom Kunden verlangt. „Ich bin der Meinung, dass im Einzelhandel unsere Rosen nicht mehr als 150 bis 200 Rubel pro Stück kosten sollten, aber in Wirklichkeit steigen die Stückpreise in den Geschäften bis auf 400 oder sogar – und das habe ich tatsächlich erlebt – 700 Rubel“, – erzählt uns Florence.
Dabei bestehen 70% der Selbstkosten der Rosen aus den Ausgaben für Strom und Gehälter der Mitarbeiter. Zuerst rechnete Florence mit einer Projekt-Amortisationszeit von drei bis fünf Jahren, heute geht sie von sechs bis sieben Jahren aus.
– Auf unser Produkt können wir stolz sein, – sagt sie. Deswegen haben wir offensichtlich auch einige VIP-Kunden. Unsere Blumen werden sogar von der Administration des Präsidenten der Russischen Föderation und vom Föderalen Wachdienst (FSO) gekauft.
Heute denkt man im Unternehmen „Die Rosenfee“ über eine geeignete Verwertung von Blumenabfallprodukten nach. Eine Variante wäre dabei das Trocknen der Rosenblätter. Aus den getrockneten Blüten könnte man dann exklusive Badewannen-Sets herstellen – eine Mischung aus Badewannensalz und Rosenblättern.
Das Leben hier ist hart. Es entstehen immer wieder Probleme, welche sich aber auf vielfältige Weise lösen lassen.
– Es ist nicht leicht, eine Business-Lady in Russland zu sein,– gibt Florence zu. Hier herrscht eine eigenartige Einstellung der Männer gegenüber den Geschäftsfrauen. Es kam schon vor, dass ich zu einem Geschäftstreffen erschien bin, und meine zukünftigen männlichen Geschäftspartner nur meinen männlichen Mitarbeiter beachtet und mich komplett vernachlässigt haben. Später waren sie dann sehr überrascht, als sie erfuhren, dass „Herr D`Aldin“ eine Frau ist…
Ein Qualitätsprodukt in Russland herzustellen ist nach Florence‘ Meinung nach auch nicht einfach, wobei das Risiko ziemlich hoch ist.
– Aber ich weiß genau: Ein so erfolgreiches Treibhaus könnte ich in Frankreich nie aufbauen, – fasst Florence zusammen. In meiner Heimat herrschen stabile Verhältnisse, alles ist längst aufgeteilt, und Familienunternehmen haben ihre Marktnischen besetzt. In Russland dagegen lässt sich noch ein neuartiges Produkt auf den Markt bringen. Das Leben hier ist hart, es entstehen immer wieder Probleme, welche sich aber auf vielfältige Weise lösen lassen...
Dabei fällt mir ein Beispiel ein. Einmal blieb unser Treibhaus wegen einer Pumpenstörung zwei Tage lang ohne Wasser. Für die Blumen ist das zu lang und bedeutet ihren sicheren Tod.
– Und was denken Sie, ist passiert? – fragt Florence und hebt ihre Augenbrauen. Wir wurden von den lokalen Feuerwehrleuten mit ihrem Feuerwehrauto gerettet. In Frankreich wäre das einfach undenkbar gewesen!