Weshalb entschloss sich James Skinner, erfolgreicher Finanzfachmann, der 110 Länder der Welt gesehen hat, sein Glück in Russland zu versuchen?
– Im Jahre 2002 kam ich nach Moskau als Tourist, – erzählt James Skinner. Ich habe eine Wohnung gemietet, welche ich aber bald räumen musste. Der Grund hierfür war ganz komisch: Meine Mieterin mochte es nicht, dass so viele Wassermelonen auf meinem Speiseplan standen. Sie meinte, dass dies Kakerlaken in ihre Wohnung anlocken würde, obwohl diese bereits vor mir dort gehaust hatten. Na ja, ich musste mir trotzdem eine neue Bleibe suchen…
James suchte nach einem günstigen Hotelzimmer und musste zu seiner Überraschung feststellen, dass es in der russischen Hauptstadt kaum Hostels gab.
– Damals gab es in ganz Moskau nur drei Hostels, – erinnert sich der Engländer. Und in den Augen der Russen galten diese als so etwas wie Obdachlosenheime. Später kamen immer mehr junge Touristen aus dem Ausland nach Moskau, die sich teure Hotelsuiten in den neuen Moskauer „Luxus-Hotels“ einfach nicht leisten konnten. Die jungen Touristen wären stattdessen mit günstigeren Zimmern in den Hotels der „Economy-Kategorie“ zufrieden. So beschloss ich, in Moskau ein „Mini-Hotel“ zu eröffnen.
Viele hielten seine Idee, ein Business in der russischen Hauptstadt zu starten, für verrückt. Aber James wollte sehen, was aus seiner Idee werden konnte. Sowohl Russland als auch Moskau stellten für James eine Art „terra incognita“ dar. Die ganze Sache wurde auch wegen seiner mangelnden Kenntnisse der russischen Sprache und seiner Ablehnung gegenüber der Zusammenarbeit mit einem russischen Geschäftspartner noch komplizierter.
– Ich bin es gewohnt, mein Business selbst zu kontrollieren, – gibt James zu. Daher suchte ich keinen Geschäftspartner, sondern einen Assistenten. Ich habe einen russischen Manager eingestellt, der mir bei der Suche nach einer Immobilie für mein Hostel helfen sollte. Wir haben in den Anzeigen in den Zeitungen und im Internet nach passenden Objekten gesucht. Schließlich stießen wir auf eine Anzeige über den Verkauf von ehemaligen WG-Wohnungen im Zentrum Moskaus, in der Bolschoj Karetnyj Gasse. Die Immobilienpreise in Moskau sind sehr hoch, aber ich konnte den Immobilienanbieter auf 2.000 US Dollar pro m2 herunterhandeln.
James brauchte insgesamt ca. zwei Jahre, um passende Wohnungen so günstig zu erwerben (der Preis lag etwa die Hälfte unter dem Marktpreis). Aber auch in diesem Fall stellte sich für James die Frage nach der Finanzierung.
– In Russland wendet man sich lieber nicht an eine Bank, denn die Kreditzinsen sind sehr hoch. Ich konnte einfach keine Zinsen von 30-40% pro Jahr bezahlen, – meint James. Ich hatte einige eigene Ersparnisse und habe den Rest von meinen Freunden aus England geliehen. Für dieses Geld habe ich drei Wohnungen gekauft. Sie befanden sich in einem alten, aber noch gut erhaltenen Haus; dort musste nur eine Außensanierung vorgenommen und einige Sanitätsanlagen erneuert werden. Eine Renovierung kostet in Moskau übrigens viel weniger als in England, es ist jedoch komplizierter, sie durchzuführen. Die Bauerbeiter kosten dabei am wenigsten, denn viele von ihnen sind Gastarbeiter aus anderen Regionen oder Ländern. Ich hatte nicht weniger als 20 Bauarbeiter-Teams beschäftigt, von vielen von ihnen musste ich mich vorzeitig trennen. Einmal haben die angeheuerten Bauerbeiter sogar mein Hostel ausgeraubt! Einer von ihnen wurde gefasst und sitzt jetzt seine Strafe ab. Mein Tipp: Bezahlen Sie Ihre Bauarbeiter nie im Voraus; wenn Sie sie noch sehen möchten, geben Sie ihnen nur einen kleinen Vorschuss.
Die restlichen Räume im selben Haus waren als Büroräume vermietet, aber gleich nach der Hosteleröffnung wurden zwei weitere Wohnungen frei, und James kaufte noch ca. 250 m2 dazu.
– Ich werde keine Gesamtsumme nennen, – sagt James. Aber unter der Berücksichtigung aller Kredite und der relativ günstigen Zimmerpreise im Hostel beträgt die Amortisationszeit für meine Ausgaben ca. neun Jahre.
Als weiteres Problem für James erwies sich die polizeiliche Anmeldung seiner Gäste.
– Für eine Online-Registrierung der Gäste hätten wir uns ein sehr teures Anmeldeprogramm des Migrationsdienstes zulegen müssen, – erzählt der Hostelbesitzer. So haben wir uns für eine andere, günstigere Variante entschieden: Unsere Mitarbeiterin besucht jeden Tag die Meldestelle des Migrationsdienstes und lässt dort unsere Gäste „per Hand“ registrieren.
Das dritte Problem für James stellte die Suche nach geeignetem Personal dar.
– Die Suche nach qualifizierten Hostelmitarbeitern gestaltet sich in Moskau viel schwieriger als in Litauen, auf Zypern oder in Sankt-Petersburg, wo das Hostelsystem gut entwickelt ist, – meint James. Die Menschen hier wollen vor allem in großen Luxus-Hotels beschäftigt werden. Meine Anforderungen an die Mitarbeiter sind ganz normal: Sie sollen anständig, kommunikativ, verlässlich und professionell sein. Ich trenne mich von streitsüchtigen, faulen und diebischen Angestellten. Heute beschäftige ich zwanzig Mitarbeiter. Wir suchen sie im Internet, und mit jedem passenden Kandidaten führe ich vorher ein Bewerbungsgespräch durch. Die Mitarbeiter bleiben bei mir in der Regel ca. zwei Jahre lang, aber es gibt auch Ausnahmen: Unsere Putzkraft ist bei uns seit über sechs Jahren beschäftigt. Ich werde keine konkreten Gehaltszahlen nennen, aber ich kann nur sagen, dass unsere Gehälter höher als die Moskauer Durchschnittsgehälter sind. Und als viertes Problem können die bürokratischen Hürden genannt werden, die unsere Unternehmensentwicklung beeinträchtigen.
– In England sind die Steuern im Vergleich zu Russland sehr hoch – man zahlt dort bis zu 30% statt der russischen sechs, – sagt James. Er ist in Russland als Einzelunternehmer registriert und bezahlt die Steuern nach einem vereinfachten Steuersystem. Mit der Anmeldung unseres Unternehmens in Moskau hatten wir keine Schwierigkeiten. Ich bin mir sicher, dass das System des Einzelunternehmertums in Russland ganz wunderbar funktioniert. Aber man muss hier viel Papierkram erledigen, jeden Schritt dokumentieren, Kassenbelege und Rechnungen sammeln, was die Zusatzkosten in die Höhe treibt.
Während seiner jahrelangen Tätigkeit in Moskau konnte James viele Erfahrungen im Umgang mit den Behörden und den russischen Geschäftsleuten sammeln.
– Wenn Sie Ihr Business in Russland starten, müssen Sie handeln können, denn den Ausländern werden oft andere, viel höhere Preise genannt, – meint James. Vor den Verhandlungen sollte man sich daher im Voraus über die durchschnittlichen Preise für die gesuchten Waren oder Dienstleistungen informieren. Die wichtigste Regel dabei lautet: zuerst die Arbeit, dann die Bezahlung. Und die nächste wichtige Regel ist: Zeigen Sie keine Schwäche gegenüber Ihren Geschäftspartnern, Ihren Konkurrenten oder den Behörden. Man versucht hier oft, die Verhandlungen aus der Position des Stärkeren zu führen, und daher ist es besser sofort zu zeigen, dass Sie keine Angst haben. Die dritte Regel lautet: Verzweifeln Sie nicht, wenn Sie beim ersten Mal eine Absage bekommen. Das muss nicht zwangsläufig heißen, dass Sie auch beim nächsten Mal eine Absage kassieren. Seien Sie geduldig. Die vierte Regel ist: Setzen Sie in Russland auf den Ausbau persönlicher Beziehungen. Versuchen Sie, eine freundschaftliche Beziehung zu Ihren Geschäftspartnern und sogar zu den Behörden zu pflegen. Und die fünfte Regel lautet: Lernen Sie so schnell wie möglich die russische Sprache, wenigstens auf Konversationsniveau.
James ist überzeugt: In seinem Business gibt es keine Kleinigkeiten, sogar wenn es um geringfügige Renovierungsarbeiten geht.
Die letzten Jahre waren für Russland in Bezug auf die Entwicklung des Gaststättengewerbes, und speziell des Hotelgewerbes, relativ günstig. Dies zeigte sich in der Entstehung von internationalen Hotelketten, in der Sanierung alter Hotelgebäude und in der Eröffnung von vielen kleinen Hotels, u.a. auch einer Vielzahl von Hostels.
In Moskau gibt es momentan mehr als 70 Hostels. Sie befinden sich in der Regel im historischen Zentrum der Stadt (im Zentralen Verwaltungsgebiet Moskau konzentrieren sich über 80% aller Hauptstadt-Hostels). Allerdings ist ihre Anzahl in Moskau weitaus geringer als in den anderen Hauptstädten der Welt; dies bedeutet, dass dieser Businessbereich ein starkes Wachstumspotenzial aufweist. In Moskau herrscht ein Mangel an günstigen Hostels und an 2- bis 3-Sterne-Hotels. In diesen Einrichtungen lässt sich eine konstante Zimmerauslastung von 80% beobachten.
Für die Inbetriebnahme eines Hostels auf einer erworbenen Fläche von 500m2 (90 Unterbringungsmöglichkeiten) braucht man Investitionen von 103,6 Mio. Rubel (über 3,6 Mio. US Dollar). Davon entfallen 10,5 Mio. Rubel (337.847 US Dollar) auf den Erwerb von Räumlichkeiten, 86,1 Mio. Rubel (über 2,77 Mio. US Dollar) auf die Bau- und Sanierungsarbeiten und 1,8 Mio. Rubel (57.916 US Dollar) auf das notwendige Umlaufvermögen.
Bei einem Preis von 1.000 Rubel (32 US Dollar) für einen Schlafplatz in einem 4-Bett-Zimmer, von 600 Rubel (19 US Dollar) in einem 6-Bett-Zimmer und von 500 Rubel (16 US Dollar) in einem 10-Bett-Zimmer pro Nacht bei einer mittleren Auslastung von 80% betragt die Amortisationszeit des Hostels 3,8 Jahre. Der diskontierte Nettogewinn beträgt dabei 26,8 Mio. Rubel (862.315 US Dollar).
– Vor Kurzem mussten wir bei uns ein Rohr reparieren lassen, – erinnert sich der Engländer. Die Handwerker meinten, man müsse das ganze Rohrsystem austauschen, und verlangten dafür eine Riesensumme. Noch vor fünf Jahren hätte ich ihrer Analyse Glauben geschenkt und die geforderte Summe bezahlt. Aber heute habe ich mich an eine andere Firma gewandt, die nur ein Rohr austauschen musste. So sparte ich dank meinem Misstrauen eine große Summe Geld.
Das preiswerte Hotel der Ein-Stern-Kategorie „Godzillas“ ist Mitglied der Internationalen Hostelvereinigung und kann heute bis zu 90 Touristen gleichzeitig beherbergen. Die Gesamtfläche des Hostels beträgt über 500 m2. Es befindet sich im Untergeschoss einer dreistöckigen Villa. „Godzillas“ ist fast immer ausgebucht, denn die jungen Touristen aus dem Ausland können sich seine Preise ganz gut leisten.
– Unsere Preise hängen vom Zimmerkomfort ab, – erzählt James. Ein „Luxus-Zimmer“ für eine bis zwei Personen kostet 75 US Dollar pro Nacht, ein Zimmer für sechs Personen – 28 US Dollar pro Nacht. In unserem Hostel schenken wir keinen Alkohol aus, und wir erlauben auch keinen Alkoholgenuss in unseren Räumen. Aber manchmal kommt es auch anders. Einmal haben acht deutsche Fußballfans 500 leere Bierdosen in ihrem Zimmer liegen gelassen!
Die Stadt Moskau möchte bis zum Jahre 2017 ihren jährlichen Touristenzustrom von 4,4 Mio. auf 7,3 Mio. steigern und noch 100 zusätzliche 1- bis 3-Sterne-Hotels bauen lassen. Allerdings lagen in den letzten 20 Jahren die Berechnungen in Bezug auf die Anziehung von internationalen Investoren in das Hotelgewerbe falsch. Von den 45.000 Zimmern entfallen über ein Drittel auf die 4- und 5-Sterne-Hotels, obwohl der Massentourismus sich eher für die Hostels und die 2-und 3-Sterne-Hotels interessiert. Der lokale Markt erschwert durch seine Unvorhersehbarkeit und seine administrativen Barrieren die Arbeit der ausländischen Investoren.
Heute werden in Moskau einige Korrekturen im Klassifizierungssystem von Hotels vorgenommen, damit auch das Hostelsegment allen Rechtsnormen entspricht. Dies sollte sich positiv auf die Attraktivität dieses Segments des Hotelgewerbes für potentielle Investoren auswirken.
Auf der „Godzillas“-Website werden die potentiellen Gäste gewarnt: „Es tut uns leid, aber wir sprechen kein Russisch.“ Ist James denn nicht interessiert an russischen Gästen?
– Wir freuen uns natürlich über jeden Gast, – meint der Engländer. Aber ich möchte alle Bestellungen selbst kontrollieren können, und es ist für mich einfach bequemer, diese auf Englisch zu bekommen. Übrigens haben wir im Winter mehr russische und im Sommer mehr ausländische Gäste in unserem Hostel.
James expandiert mit seinem Businessprojekt in Russland.
– Vor einigen Jahren habe ich einen Bauunternehmer mit einer kleinen Firma aus Susdal kennengelernt, – berichtet James. Susdal ist eine wunderschöne historische Stadt, die viele Touristen anlockt. Und ich dachte mir, dass ein Hostel in einem solchen Ort sich ganz gut machen würde. Mein Bekannter fand für mich ein passendes Gebäude mit einer Fläche von 600 m2 inklusive Garten, das nur ein Drittel des Preises in Moskau kosten sollte. Er half mir auch mit der Renovierung des Gebäudes, mit dem Erledigen notwendiger Formalitäten und mir der Personalsuche. In die Entwicklung dieses Projekts habe ich anderthalb Jahre und über 300.000 US Dollar investiert. Heute kann unser Hostel in Susdal 40 Gäste gleichzeitig beherbergen. Allerdings bevorzugen die russischen Touristen eher bessere Hotels der Drei– und Vier-Sterne-Kategorie, und die ausländischen Gäste kommen eher im Sommer. So ist das Hostel in der Provinz nicht immer voll ausgelastet.
Im Laufe der Zeit lernte James Moskau lieben, obwohl er zugibt, dass er hier noch vieles nicht ganz versteht.
– Im Westen herrschen auch heute noch bestimmte Stereotypen über Russland, – meint der englische Besitzer von „Godzillas“. Einmal flog ich mit der Fluglinie „Aeroflot“. Mein Sitznachbar, ein englischer Tourist, fing an mich zu bemitleiden, nachdem er erfuhr, dass ich in Russland lebe und arbeite. Ich meinte aber, dass ich das Land und die Leute mag, Moskau sehr schön finde und mich an den Schnee gewöhnt habe. Allerdings glaube ich, dass der russische Winter doch etwas zu lang ist…