Afrika hat sie zusammengebracht
Der Deutsche Baron Tassilo von der Decken kam nach Afrika, um dort mit bei der Entwicklung der Landwirtschaft zu helfen. Die Russin Valentina unterrichtete dort bereits seit einigen Jahren technisches Bauzeichnen, Geometrie, Physik und Chemie an der örtlichen Schule.
– Unser Treffen war vermutlich vorherbestimmt, – sagt Valentina. Afrika hat uns zusammengebracht. Wir kamen dorthin, um einander zu finden und zusammen durchs Leben zu gehen. Wir sind bereits seit 24 Jahren zusammen und haben drei erwachsene Töchter. Mein Mann ist einfach perfekt: als Ehemann, als Vater und als Unternehmer. Das nenne ich Glück!
Anfang der 90er Jahre beschloss die GIZ, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Entwicklung der Landwirtschaft in Ost-Europa, Russland, Kasachstan, Aserbaidschan und Kirgisistan finanziell zu unterstützen. So kam Tassilo von der Decken nach Russland, ins Kaliningrader Gebiet, wo er ein russisch-deutsches Agrarprojekt koordinierte. Seine Aufgabe bestand in erster Linie darin, den örtlichen Landwirten zu zeigen, wie die Landwirtschaft gewinnbringend und man als Landwirt erfolgreich sein kann. Das Wichtigste dabei war die richtige Führung des Landwirtschaftsbetriebs.
Der Baron hat sein ganzes Leben lang davon geträumt, Landwirt zu sein, zu pflügen und zu säen.
Von der Decken erinnert sich, dass 1993 noch kein Mensch von einer Unternehmensgründung gesprochen hat. Und während ihrer Zeit im Kaliningrader Gebiet haben die Eheleute zuerst gar nicht vorgehabt, dort länger zu bleiben, denn die Hyperinflation, hohe Bankzinsen und Benzinpreise, Lebensmittelkarten und Schwierigkeiten mit der Heizung wirkten eher abschreckend…
– In den 90er Jahren zerfielen fast alle Kolchos-Betriebe, – erinnert sich Valentina. Viele konnten sich nur schwer an die neuen marktwirtschaftlichen Verhältnisse anpassen. Aber mein Mann sagte: „Man kauft die Aktien gerade dann, wenn die Aktienpreise fallen. Heute braucht sie niemand, aber in einigen Jahren wird eine andere Situation herrschen. Ich habe mein ganzes Leben lang davon geträumt, Landwirt zu werden. Lass uns ein Stück Land pachten, einen Traktor kaufen, pflügen und säen.“ So haben wir 1998 mit unserem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb angefangen. In Deutschland waren alle Grundstücke bereits aufgeteilt: Dort konnte man bei jemanden als Manager arbeiten, aber keinen eigenen Betrieb führen. Hier aber haben wie unsere Chance gesehen…
Ökonomischer Ansatz und menschliche Wärme
– Wir haben von Null angefangen: Wir kauften ein Bankrott gegangenes landwirtschaftliches Unternehmen auf, schufen auf dessen Grundlage unseren eigenen Landwirtschaftsbetrieb und mieteten 300 ha Land, – erzählen die Eheleute von der Decken.
Der Baron konzentrierte sich dabei auf die Produktionsprozesse und war für die Technologie des Agrikultur-Anbaus zuständig. Valentina widmete sich dagegen der Organisation: Sie war für die ganze Dokumentation und die Kreditabwicklungen, für den Einkauf und für den Vertrieb zuständig.
Wir haben stark in den heruntergewirtschafteten Hof investiert, und er bekam ein zweites Leben.
Die größten Schwierigkeiten hatten die Eheleute zuerst mit der Landwirtschaftstechnik. Anfangs hatten sie nur einen alten Traktor und einen genauso alten Pflug. Um aber effektiv arbeiten zu können, sollte man auch über neue und starke landwirtschaftliche Maschinen verfügen. Diese haben die Eheleute in Europa mithilfe von Krediten mit horrenden Zinsen von russischen Banken erwerben müssen.
Heute bearbeitet der deutsche Landwirt bereits 2.000 ha Land. Er baut sowohl Wintersaat – Raps und Weizen –, als auch Sommersaat – Mais als Silofutter – an. Einen großen Teil seines Landes nutzt er als Weideland und für die Heuernte.
Unser Großvieh-Gesamtbestand beträgt 600 Stück Vieh, davon sind 200 Milchkühe. Zuerst konnten wir von einer Kuh 2.300 l Milch pro Jahr bekommen, heute sind es bereits 5.000 l. Nach und nach bauten wir unsere alte Farm um und statteten sie neu aus. Um die Produktivität zu steigern, führten wir die künstliche Besamung ein. Seit mehreren Jahren halten die Eheleute auch Mastkälber. Der deutsche Landwirt sagt: Wir haben stark in den heruntergewirtschafteten Hof investiert, und er bekam ein zweites Leben.
– Eigentlich sollten damals alle Kühe zum Schlächter geschickt werden, – erzählt von der Decken. Aber wir hatten die Räumlichkeiten, Weiden und etwa 20 Mitarbeiter. Das alles aufzugeben wäre nicht wirtschaftlich gewesen. Wir dachten einfach, dass es viel besser ist, wenn wir zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, anstatt die Bauern arbeitslos zu lassen. Sie sollten doch als ein gutes Beispiel für ihre Kinder dienen! Und was kann man von hungrigen Menschen erwarten, außer dass sie irgendwann mal zu stehlen anfangen? Und mit der Zeit wurde uns klar, dass wir mit unserem Arbeitsansatz vollkommen Recht hatten.
– Als Chef ist er ziemlich streng mit seinen Mitarbeitern und verlangt viel von ihnen, – erzählt uns Valentina. Aber er hat auch ein Recht darauf, denn er stellt die hohen Ansprüche ebenso an sich selbst.
Der Herr Baron arbeitet selbst auch am Wochenende und verlangt dies auch von seinen Mitarbeitern. Aber er behandelt seine Mitarbeiter fair.
– Die Beziehung zwischen dem Vorgesetzten und seinen Mitarbeitern sollte auf einer gegenseitigen Vertrauensbasis ruhen, – meint von der Decken. So sind die Spezifika des Landlebens: Wenn ich z.B. meinem Mitarbeiter seinen Lohn nicht auszahle und ihm nicht bei der Kartoffel– oder Heuernte helfe, wie kann ich denn mit einer guten Einstellung mir gegenüber und einer guten Arbeitsmoral seinerseits rechnen? Wenn ich um Hilfe gebeten werde, versuche ich zu helfen. Aber wenn ich dann beklaut werde, ergreife ich die notwendigen Maßnahmen.
Wenn ich um Hilfe gebeten werde, versuche ich zu helfen, aber wenn ich dann beklaut werde, ergreife ich die notwendigen Maßnahmen.
– Wir sind in einer besonderen Lage, denn wir leben unter diesen Menschen, – erklärt uns Valentina. Mein Mann wurde so erzogen: Er denkt, dass er nicht nur die Verantwortung für sich selbst, seine Familie und sein Unternehmen tragen muss, sondern auch für die Menschen, die für ihn arbeiten. Das bedeutet, dass man den Menschen helfen und ihnen rechtzeitig ihren Arbeitslohn auszahlen muss …
Die Phrase „rechtzeitig den Arbeitslohn auszahlen“ wurde hier nicht zufällig akzentuiert. In der postsowjetischen Zeit und in den späteren Krisenzeiten schoben die Vorgesetzten ihre Fehler häufig auf ihre Mitarbeiter, und es kam damals (und manchmal auch heute) zu Arbeitslohnaufschüben nicht nur an der Peripherie, sondern auch in den großen Unternehmen in den Großstädten.
Neben der Führung seines landwirtschaftlichen Betriebs widmet sich von der Decken auch der Beratertätigkeit. Jährlich empfängt sein Bauernhof zwischen zehn und zwölf Gruppen, die aus unterschiedlichen Regionen Russlands kommen. Auf der Basis eines hier von BASF geschaffenen Agrar-Kompetenzzentrums werden zweimal im Jahr theoretische und praktische Lehrseminare zum Thema „Pflanzenschutz“ abgehalten. Hier kann man praktische Ratschläge bezüglich des Anbaus von Getreidekulturen und Raps bekommen, die Wirkung von Pflanzenschutzmitteln von BASF auf die Pflanzen direkt beobachten sowie Elitesaatgut von Weizen, Gerste und Raps erwerben. Der Bauernhof des Barons und von Valentina gehört zu den Saatzucht-Betrieben. Die Eheleute waren die ersten, die ins Kaliningrader Gebiet Samen brachten, die sie nicht nur für eine, sondern auch für eine zweite Ernte einsetzten.
Ein Unternehmer, der für eine Woche kommt, um Befehle zu geben, verschwendet sein Geld, denn er wird irgendwann scheitern.
Hier lässt sich leben und arbeiten
– Es funktioniert nicht, wenn man hier nur sein Geld investiert und die ganze Betriebsleitung aus dem Ausland erfolgt, – erzählt uns von der Decken überzeugt. Um ein erfolgreiches Unternehmen in Russland zu führen, muss man hier leben und arbeiten sowie die Produktionsprozesse direkt vor Ort kontrollieren. Die Unternehmensführung an jemanden abzugeben bringt keinen Erfolg. Ein Unternehmer, der für eine Woche kommt, um Befehle zu geben, verschwendet sein Geld, denn er wird irgendwann scheitern. In der russischen Landwirtschaft haben heute alle mit Schwierigkeiten zu kämpfen – sowohl die Heimischen, als auch die Ausländer. Wir leben unter denselben Bedingungen wie alle anderen Kaliningrader Landwirte auch. Und die Tatsache, dass ich ein Ausländer bin, ist eher störend als hilfreich. Manche denken nämlich, dass wenn ich ein Deutscher bin, muss ich wohl Geld wie Heu haben, ich bade in Luxus und besitze viele Immobilien. In Wirklichkeit ist das aber nicht so. Wir haben unseren Hof von Null aufgebaut und stecken fast unser gesamtes verdientes Geld dort hinein. Dass die Bedingungen in der russischen Agrarproduktion einfacher geworden sind, kann man so nicht sagen. Jedes Jahr haben wir mit neuen Schwierigkeiten zu kämpfen. So ist es eben, und man sollte damit einfach rechnen. Man sollte einen genauen Business-Plan aufstellen.
– Um konkurrenzfähig zu sein, – schaltet sich seine Ehefrau in das Gespräch ein, – muss man seinen Betrieb unbedingt mit leistungsstarker Technik ausstatten, wie wir sie nach dem aktuellen Stand der Anbautechnologie angeschafft haben. Die Mähdrescher, Traktoren und Anhänger haben wir meist in Europa gekauft. Wir haben dafür Kredite aufgenommen, deren Zinsen staatlich subventioniert waren. Während der weltweiten Finanzkrise 2009 hat der Staat dann nur noch den Erwerb von im Inland hergestelltem technischem Gerät finanziert. Seitdem haben wir, obwohl wir schon einige Maschinen bräuchten, nichts mehr angeschafft.
– Es ist schwer, ohne langlaufende Kredite zu arbeiten, – resümiert von der Decken. – Es obliegt dem Landwirt, den Kredit innerhalb eines Jahres zurückzuzahlen. Sicher, wir bekommen das hin, aber wir benötigen Geld für die Entwicklung unseres Unternehmens. Sehr viel realistischer wäre eine Rückzahlung des Investitionskredites innerhalb von fünf Jahren. Das würde es dem Landwirt erlauben, vorwärts zu kommen. Natürlich verschulden wir uns, nehmen Betriebs– und zweckgebundene Kredite auf. Wir erhalten, wie alle Agrarproduzenten, subventionierte Zinssätze. Was uns bei unserer Arbeit stört, ist die Instabilität, die uns nicht einmal für die nächsten fünf Jahre erlaubt, die Entwicklung unseres Unternehmens zu prognostizieren. Dazu tragen auch die jährlichen Steigerungen in den Energie– und Brennstoffpreisen bei, wohingegen die Erzeugerpreise für Milch entweder stagnieren oder sogar fallen!
Oder noch ein Fall. Alle Kaliningrader Agrarproduzenten stellen jedes Jahr ungefähr 250.000 Tonnen Getreide her und 80.000-100.000 Tonnen davon verkaufen sie ins Ausland. Aber in 2010 hat die Regierung der Russischen Föderation wegen des starken Ernteeinbruchs im Land vorübergehend ein Embargo in Bezug auf den Export von Weizen verhängt. Man hätte den Weizen nur noch zum doppelten Preis ins Ausland verkaufen können. Das Embargo zwang von der Decken genauso wie die anderen Kaliningrader Bauern das Getreide zum Spottpreis auf den lokalen Märkten anzubieten. Sie Eheleute reduzierten jedoch nicht die Aussaat, denn ungenutztes Land wuchert schnell zu, und das Embargo war ja nur vorübergehend.
Eines aus fünf Jahren ist gewinnbringend, eines ist absolut gar nichts, und drei sind mittelmäßig.
– Nicht wenige Probleme hatten wir auch mit den Witterungsverhältnissen, – fährt der Baron fort. Nach unseren Beobachtungen ist nur eines aus fünf Jahren gewinnbringend, eines ist absolut gar nichts, so dass wir Verluste erleiden, und drei sind mittelmäßig, so dass wir ein bisschen was bekommen, ein bisschen was verlieren, aber dennoch mit den Schwierigkeiten zurechtkommen. Diese Besonderheiten der Region, die zur landwirtschaftlichen Risikozone zählt, muss ich berücksichtigen, wenn ich alles plane und eine Strategie ausarbeite. Das bedeutet, wenn der Winterraps erfriert, muss ich ihn mit Sommerraps übersäen. Letzten Endes müssen in der Fruchtfolge auch Kulturen sein, die die Verluste kompensieren.
Ausländer, die planen, in Russland ein Business zu organisieren, insbesondere in der Landwirtschaft, müssen all diese vielzähligen Feinheiten kennen oder einen russischen Partner finden.
– Im Alleingang klappt das nicht -, ist sich Tassilo von der Decken sicher. – Ich hatte es leichter, weil meine Frau Russin ist. Valentina versteht die Besonderheiten des russischen Lebens besser, sie kennt die Mentalität, die Gewohnheiten, sie hat den ganzen Papierkram übernommen. Meiner Frau sei Dank konnten wir nicht nur das Land pachten, sondern auch erwerben. Und dann würde auch keine deutsche Ehefrau so einfach hierher kommen. Für diese wäre ein Leben in irgendeinem kleinen russischen Städtchen ohne die gewohnten Attribute der Zivilisation undenkbar. Das komfortable Leben eintauschen gegen die ländliche Ungeregeltheit? Letzten Endes muss sich ein Geschäftsmann entscheiden: Familie oder Business. Wir kennen solche Fälle von Ausländern, die hierher in der Hoffnung kamen, ihr Geld rentabel in der Landwirtschaft anzulegen und schnell Gewinne zu machen. Aber dann sind sie sehr bald ohne alles wieder weggefahren.
– Viele von ihnen haben nicht verstanden, warum wir blieben, nicht – wie sie meinten – unsere Koffer gepackt haben und weggefahren sind, – sagt Valentina. – Aber wir haben keinen Koffer, sondern eine laufende Produktion. Es gibt bereits den notwendigen Park an Agrartechnik und Gerät. Wir haben hier unser Geld investiert und werden fortfahren, uns zu entwickeln.
Heute sind sich die Eheleute sicher, dass die Entscheidung, den landwirtschaftlichen Betrieb zu eröffnen, richtig gewesen ist. Business ohne Arbeit gibt es nicht. Bei der Vielzahl von Schwierigkeiten gibt es durchaus die Möglichkeit, in Russland sein Unternehmen zu führen. „Davon sind wir überzeugt“, – sagt das Ehepaar von der Decken.