- Ich habe schon immer nur Dinge verkauft, die mir selbst gefallen, in denen ich eine Seele erkannte. Ich glaube, dass Erfindergeist im Handel sehr wichtig ist. Bei Montblanc haben wir für die unterschiedlichen Kataloge und ungewöhnlichen Warendesigns einen außergewöhnlich hohen Teil des Marketingbudgets aufgewendet. Montblanc stellt originelle Schreibinstrumente her. Für einen erfolgreichen Handel ist es wichtig, die Individualität des Produktes hervorzuheben. Man muss eine ganze romantische Geschichte erzählen und nicht nur ein Preisschild draufkleben.
Für einen erfolgreichen Handel ist es wichtig, die Individualität des Produktes hervorzuheben. Man muss eine ganze romantische Geschichte erzählen und nicht nur ein Preisschild draufkleben.
- Soweit ich weiß, sind Sie auch im Bereich Catering unterwegs?
- Ja. Wir importieren einige Produkte aus Deutschland. Unser bayrischer Partner Ponnath vertreibt für uns in Moskau frische bayrische Würste nach deutschem Herstellungsverfahren.
- Wer sind Ihre Kunden?
- Zum Beispiel Lamoda.ru, im Übrigen auch eine deutsche Firma.
Über Matthias Wintzer
Geboren in Hamburg und Abschluss der dortigen Universität. Arbeitete in Peru und Polen. Kam 2003 nach Moskau, um die Position des regionalen Brand Managers für Montblanc zu bekleiden. 2006 gründete er die Firma „Plus Ultra Luxury Products & Solutions”, tätig im Handel mit originellen Geschenken (im Sortiment befinden sich Computer aus Holz, goldene Zigarren und ähnliches). 2013 gründete er zusammen mit seinem Partner Sharif Carmeau das Tech-Start-up GetShopApp, das sich mit der automatischen Erstellung von Mobile Sites (für Android und iOS) und Apps mit Anschluss an entsprechende Zahlungsabwicklungssysteme für den mobilen Handel beschäftigt.
- Gibt es große Unterschiede bei der Logistik zwischen dem Westen und Russland?
- Durchaus. Insbesondere was die Einstellung angeht. Gerade gestern ist etwas Beispielhaftes passiert: Ein Fahrer, der für uns eine Bestellung von Bierfässer zu einer Abendveranstaltung bringen sollte, hat es abgelehnt, uns beim Rauftragen in den Nachtklub zu helfen. Er verwies darauf, dass das nicht sein Job sei, warf die Fässer auf die Straße und fuhr davon, vermutlich zu sich nach Hause auf die Datscha. Ich durfte dann im Anzug die Fässer selbst nach oben schleppen.
Catering ist ein Geschäft, wo man sich unbedingt um alles kümmern, alles kontrollieren muss. Um erfolgreich zu sein, muss man ein Stück seiner Seele und seiner Nerven an den Kunden verkaufen. Das ist überall so, aber speziell in Russland. Ich mag dieses Business nicht besonders, es wirft aber stabile Gewinne ab. Nicht wie viele Tech-Start-ups, wo man investiert und investiert, und in 90% der Fälle die Firma noch nicht einmal an den Markt tritt. Ich bin froh, dass GetShopApp in die anderen 10% fällt.
- Wie kamen Sie zu einem Start-up im Bereich E-Commerce?
- Eines Tages war ich im Business-Zentrum Digital October und lernte dort Sharif Carmeau kennen, einen 19-jährigen Unternehmer aus Syrien (er ist Halbrusse). Sharif beschäftigte sich mit Warenlieferungen aus China, und er hatte ein Entwicklungsstudio für mobile Apps. Er stellte mir eine seiner Business-Ideen vor. Dazu muss man sagen, dass ich im Bereich E-Commerce auch kein Neuling war. Meine erste WAP-App habe ich bereits 1999 programmieren lassen, als ich noch Marketing-Chef der deutschen Niederlassung des kubanischen Zigarrenherstellers Habanos war. Diese App nannte einem nach Eingabe der Postleitzahl den nächstgelegenen Zigarrenhändler. Also ein Geolocator. Es gibt Hunderttausende Internetshops auf der Welt. Laut Statistik sind 80% davon für den Gebrauch von mobilen Geräten nicht optimal programmiert und haben keine guten Conversion Rates, also dass aus einem Seitenbesucher auch ein Käufer wird. In der Regel nutzen die Web-Designer nicht alle Möglichkeiten in Bezug auf eine mobile Nutzung. Es kann durchaus möglich sein, dass man beim Seitendesign noch einmal komplett von null anfangen muss, wenn man auf die Bedürfnisse eines Smartphone-Nutzers eingehen möchte, wie er zum Beispiel mit einem Finger und zwei bis drei Klicks auf die gewünschte Seite gelangen kann. Zusammen mit Sharif Carmeau haben wir einen Dienst geschaffen, der automatisch für Internetshops Seiten und Apps für eine mobile Verwendung erstellt, inklusive Zahlungsabwicklung und der Möglichkeit von Push-Benachrichtigungen sowie mobilem Marketing. Sie benötigen keinen Spezialisten mehr für mobiles Marketing und niemanden für ihren Onlineshop.
Es gibt Hunderttausende Internetshops auf der Welt. Laut Statistik aber sind 80% davon für den Gebrauch von mobilen Geräten nicht optimal programmiert.
Über mobile Werbung sprechen heutzutage alle, noch aber hat kaum jemand eine wirkliche Vorstellung davon, wie das funktionieren kann. Wenn Sie für ein Produkt, das Sie brauchen, eine mobile Werbung gesehen haben, die Seite, die Sie dann für einen Kauf ansteuern müssten, aber nicht für eine bequeme Verwendung von mobilen Geräten vorgesehen ist, war die Werbung umsonst. Werbung und Shop müssen Teil ein und derselben Plattform sein.
Werbung und Shop müssen Teil ein und derselben Plattform sein.
- Haben Sie direkte Konkurrenz?
- Da ist eine Firma in Deutschland, die sich bereits seit 2011 mit derselben Thematik auseinander setzt. Doch ich würde nicht sagen, dass diese Firma uns weit voraus ist. Sie haben eine Investitionssumme von 9.8 Mio. US Dollar zusammen gebracht, wovon ein großer Teil bereits ausgegeben ist. Unsere Firma erlebt zurzeit ihr zweites Jahr, mit erheblich geringeren Investitionen.
- Sie sind in Russland im Handel tätig. Hat das komparative Vorteile?
- Einer der Hauptvorteile sind die russischen Programmierer. Man kann sie nicht genug loben. Daneben arbeiten noch Programmierer aus anderen Ländern bei uns wie aus Weißrussland und der Ukraine. Was Sharif Carmeau, unseren CEO, selbst angeht: Er ist ein wahres Wunderkind. Seine erste Unternehmung stellte er mit 14 auf die Beine. Heute gibt er neben seiner Arbeit bei GetShopApp Kurse an der Russischen Wirtschaftsuniversität G. W. Plechanow.
- Wie viele Menschen arbeiten bei Ihnen?
- Zehn plus einige im Outsourcing. Bei uns werden inzwischen elf verschiedene Sprachen gesprochen.
- Wenn man in Moskau eine IT-Firma im Bereich E-Commerce aufmacht, muss man da die Feinheiten der Handels-Usancen und ihre russischen Besonderheiten kennen?
- Sicher. Um mit russischen Kunden wie dem Portal electrovenik.ru arbeiten zu können, muss man die Business-Prozesse kennen, sonst kann man keine effektiven Apps herstellen. Der Hilfe-Dienst ist wichtig, auf den der Kunde mit einer Fingerbewegung kommen soll. Da gibt es eine Vielzahl von Nachrichten, die man sinnvoll zurouten muss.
- Worin unterscheidet sich aus Sicht des Managements das E-Commerce vom herkömmlichen?
- Im „realen“ Catering zum Beispiel muss man allem hinterher sein, jeden Schritt seiner Mitarbeiter verfolgen, dass nicht irgendetwas vergessen wird. In der IT geht das so nicht, es ist schier unmöglich. Man muss vielmehr darauf achten, die richtigen Ziele zu definieren und die Ergebnisse zu kontrollieren.
- Gehören Venture Fonds zu Ihren Investoren?
- In unser Projekt sind bereits einige Geldmittel eingebracht worden, und es steht eine neue Investitionsrunde an. Wir führen Gespräche mit einer der größten russischen Banken. Einer der größten deutschen Venture Fonds hat sein Interesse bekundet. Das nächste Jahr verspricht ein sehr interessantes zu werden. Wir werden GetShopApp internationalisieren. Zudem werden wir das in Russland wenig bekannte Konzept des T-Commerce vorantreiben.
Das nächste Jahr verspricht ein sehr interessantes zu werden. Wir werden GetShopApp internationalisieren.
- Was ist das für ein Konzept?
- T-Commerce (Smart TV Shopping) ist die Synthese aus E-Commerce und M-Commerce. Stellen Sie ich vor, Sie schauen einen Film. In irgendeiner Einstellung sieht man eine Pizza. Ein Fenster auf dem Bildschirm öffnet sich, und ein Signal erklingt, etwa so wie beim Eingang einer Chat-Nachricht. Wenn Sie nicht darauf achten, passiert nichts, und Sie können ungestört Ihren Film weiterschauen. Wenn aber Ihr Interesse geweckt ist, drücken Sie einen Knopf auf der Fernbedienung, und Sie aktivieren eine korrespondierende App auf Ihrem Smartphone. Dort erscheint dann ein Anbot für den Kauf einer Pizza aus der unmittelbaren Umgebung ihres Aufenthaltsortes. Oder Sie interessieren sich für die Handtasche der Hauptheldin des Films, dann können Sie diese per simplem Knopfdruck einfach kaufen. Es ist noch nicht einmal notwendig, seine Kreditkarteninformationen einzugeben: Die App hat sich diese aus Ihren vorausgehenden Transaktionen gemerkt. Oder Sie bezahlen per Kurier - eine in Russland noch durchaus gebräuchliche Zahlungsweise. Am nächsten Tag ist das Geld da, innerhalb von Moskau sogar noch am selben Tag - das ist schneller als alles andere.
- Wie wird die Werbung mit den Kameraeinstellungen im Film verbunden?
- Es gibt da spezielle Techniken. Wir beispielsweise nutzen eine japanische Technologie, die eigenständig bestimmte Warenobjekte im Film identifiziert, wie zum Beispiel ein iPhone. Wenn das Programm dann eine passende Kameraeinstellung gefunden hat, ist es bereits ein leichtes hier anzusetzen und automatisch ein Fenster hochkommen zu lassen mit konkreten Warenvorschlägen. Oder wenn eine Handtasche der Firma MEXX identifiziert wurde, startet die Software automatisch eine App von MEXX. In den nächsten Tagen beginnen wir die Tests dieser Software. Es gibt auch noch eine abgespeckte Variante: An Ihr Handy wird eine SMS verschickt mit einem Link auf die Seite, die Sie als User interessiert hat.
- Sie sind viel gereist, kennen viele Sprachen. Warum haben Sie sich in Moskau niedergelassen?
- Ich liebe meine Geburtsstadt Hamburg sehr, doch ist es für mich langweilig, in Deutschland zu leben. In Russland ist es um vieles interessanter. In Deutschland ist alles irgendwie vorhersagbar. In Russland ist dagegen kein Tag wie der andere. Es ist, als säße man die gesamte Zeit in einer speziellen, der russischen Version einer Achterbahn. Das gefällt mir sehr!