— Ich stamme aus dem Süden. Meine Eltern sind Sizilianer und vor 40 Jahren in den Norden umgezogen, in die Region Friuli Venezia Giulia. Dort bin ich auch geboren, in dem Städtchen Grado. Ich hatte immer und habe auch heute eine starke Bindung mit Sizilien: 20 Jahre lang habe ich dort jedes Jahr vier Monate verbracht. Und heute, wenn mal nicht geschäftlich nach Italien reise, fahre ich entweder zu meinen Eltern nach Friuli oder nach Sizilien.
In Moskau bieten sich viel mehr Möglichkeiten: Die Konkurrenzsituation hat europäische Maßstäbe noch nicht erreicht und das Steuersystem ist vorteilhafter.
— In Moskau bieten sich viel mehr Möglichkeiten: Die Konkurrenzsituation hat europäische Maßstäbe noch nicht erreicht, das Steuersystem ist vorteilhafter und Investitionen bieten weit größere Renditen, - zählt er auf.
Aber wie soll man als junger Absolvent auf den einem unbekannten russischen Markt kommen und sich dort etablieren? Deshalb hat Giovanni entschieden, erst einmal einfach weiter zu studieren. In Moskau.
— 2008 bin ich hierhergekommen und lernte Russisch an der MGU. Zu dieser Zeit sprach ich bereits Englisch und Deutsch.
Dann versuchte ich, eine interessante Arbeit zu finden, zuerst in Moskau, dann in Italien. Im darauffolgenden Jahr, 2009, bin ich wieder in die russische Hauptstadt zurückgekommen und bildete mich noch weiter in der Sprache fort. Wieder erprobte ich meine Fähigkeiten in verschiedenen Tätigkeitsbereichen.
2010 arbeitete ich in Italien in einer Zulieferfirma von Bau- und Ersatzteilen für Verkaufsautomaten. Ich war dort für den Vertrieb in Osteuropa zuständig. Dort lernte ich den Chef der russischen Firma „SIBA-Wending“ kennen. Er war einer unserer Kunden.
2012 bin ich dann endgültig nach Moskau gezogen. Auf einer Messe habe ich ihn dann gesehen, bin zu ihm hingegangen und habe ihn an unsere Bekanntschaft erinnert... Letztendlich hat er mir dann vorgeschlagen, für sein Unternehmen zu arbeiten, eine Importfirma für Verkaufsautomaten. Ich war dort der erste Italiener.
— Wurden die Maschinen gut gekauft?
— Die Maschinen werden in der Regel nicht gekauft, sondern gemietet. Wir unterzeichnen einen Vertrag mit der jeweiligen Firma, liefern die Kaffeemaschine und stellen sie auf. Kostenlos.
— Kostenlos?
— Ja, kostenlos. Die Maschine bleibt unser Eigentum, wir übernehmen das Servicing und die Reparatur. Unser Geschäft besteht darin, dass unsere Kunden sich verpflichten, bei uns jeden Monat eine bestimmte Mindestmenge von Kapseln abzunehmen. Diese Mindestmenge hängt in erster Linie von der Größe und der Leistung der Maschine ab und reicht von 50 bis zu 800 Kapseln im Monat, das sind dann Großmaschinen in Restaurants. Der Kunde selbst kann dann entweder seinen Mitarbeitern erlauben, die Maschinen kostenlos zu nutzen, oder er legt einen entsprechenden Preis fest: Dafür statten wir die Maschinen mit speziellen Apparaten zum Bezahlen mit Münzen oder Scheinen aus.
— Und wie lange dauert es, bis sich so eine Maschine amortisiert hat?
— Nicht sehr lange. Fünf Monate, manchmal auch weniger. Das ist aber schwer genau vorherzusagen.
— Kennt man Sie in Russland?
— Verkaufsautomaten sind hier noch nicht besonders weit verbreitet. Aber echter italienischer Kaffee - das hat Markenstatus. Und man bekommt ihn an Ort und Stelle, man muss nicht ins Café oder in eine Bar gehen. So stellen wir denn stetig neue Maschinen auf. Der Markt für Verkaufsautomaten wächst in Russland um etwa 20% pro Jahr.
— Ich habe sogar gehört, dass das Geschäftsmodell, über das wir gerade sprechen, keine wirtschaftlichen Krisen kennt, Einbrüche betreffen es nicht.
— Ich gehe noch weiter: Unser Geschäftsmodell ist antizyklisch. Dasselbe, was man über McDonald’s sagt: die Verkaufszahlen für Fastfood stiegen in Krisenzeiten noch an, was aber vollkommen erklärbar ist. Die Leute müssen den Gürtel enger schnallen. Essen und trinken jedoch müssen sie. Eventuell gehen sie dann abends nicht mehr in die Pizzeria, sondern essen zu Hause.
Oder nehmen wir Kaffee... In Italien kostet ein Tässchen Espresso am Tresen einer Bar im Mittel etwa einen Euro. Am Büroautomaten gerade einmal 25-30 Cent. Deshalb ist das Business so aussichtsreich. Im Vertrieb der Produkte, als Beispiel der bekannten italienischen Firma Lavazza, die verschiedene Sorten Kaffee herstellt, sind nicht wenige russische Firmen tätig.
— Wie behält man die Oberhand gegenüber der Konkurrenz? Durch Dumping?
— Nein, das will man eigentlich gerade nicht. Dumping führt unweigerlich zu Verlusten und letztendlich dazu, dass man vom Markt verschwindet. Nein, der Markt ist noch so gut wie nicht aufgeteilt. Es ist im Prinzip für jeden Platz.
Deshalb ziehen es die Vertreter der verschiedenen Firmen, die in diesem Geschäftsfeld tätig sind, vor, sich zu treffen und sich irgendwie über die Prinzipien ihrer Arbeit zu einigen, zum Beispiel den Preis nicht unter eine bestimmte Grenze fallen zu lassen oder sich gegenseitig nicht aktiv die Kunden abzuwerben.
Eine Kaffee-Kapsel beinhaltet eine Portion (6 bis 9 Gramm) natürlichen gemahlenen Kaffees zum Aufbrühen in speziellen Kaffeemaschinen. So kann der natürliche Geschmack des Kaffees für lange Zeit konserviert werden, von 9 bis 16 Monaten, abhängig von der Sorte. Die Kapseln werden aus Aluminium, aus Polymeren oder aus Kombimaterialien hergestellt. Das Patent wurde Ende der 70er Jahre vergeben. Das System hat sich insbesondere in den 90er Jahren weit verbreitet.
Es gewinnt im Konkurrenzkampf aber der, der den Service besser organisiert bekommt, ebenso wie die Lieferung der Kapseln und anderer Zutaten. Logistik, das ist mit der größte Kostenpunkt in diesem Business. Ein großer Fuhrpark ist notwendig. Doch war es das bei solchen Staus, wie wir sie heute in Moskau haben, in puncto Kosten noch nicht. Es kommt vor, dass man für die Lieferung von 50 Kapseln zwei Stunden im Stau steht. Ein sehr teures Vergnügen.
— Ich weiß, dass Sie sich von „SIBA-Wending“ trennen werden. Was sind ihre kommenden Business-Pläne?
— Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich nach Moskau gekommen bin, um Geld zu verdienen. Bevor ich zu „SIBA-Wending“ kam, habe ich mich als Agent betätigt für italienische Firmen, die Lebensmittel wie Gemüse nach Russland exportieren. Ich halte das für eine sehr aussichtsreiche Richtung.
Es kommt vor, dass man für die Lieferung von 50 Kapseln zwei Stunden im Stau steht.
Heute schaue ich mir einige Kooperationsmöglichkeiten, zurzeit noch als Agent, mit solchen italienischen Firmen an. Noch wird über Großverkäufe an die großen Handelsketten nicht gesprochen. Dafür braucht man eine starke Organisation, Kapazitäten und letztendlich auch Geld. Mit meiner Hilfe sind aber schon verschiedene Lieferverträge mit Moskauer Restaurants zustande gekommen. Vor kurzem habe ich auch meine eigene Firma gegründet, mit der ich dann nicht mehr nur als Agent, sondern als Importeur auftreten werde.
— Dafür aber, wie Sie selbst eben sagten, bedarf es einiger Kapazitäten, Spezialausstattung, Lagerplatz. Und dafür braucht man entsprechende Mittel. Über wie viel sprechen wir da?
— Einige Hunderttausend Euro.
— Woher kommen die?
— Man braucht Partner. Italienische oder russische, das ist egal: Ich bin davon überzeugt, dass man mit einem russischen Partner genauso viel Geld verdienen kann wie mit einem Landsmann.
Ich möchte hinzufügen: Ich glaube, dass man in Russland Immobilien nicht mieten, sondern kaufen sollte, als Eigentum. Sowohl die Wohnung, das Büro, aber auch das Lager.
— Ist das nicht ein wenig kategorisch?
— Mieten in Moskau ist unbequem. Zudem steigen sie Mieten ständig und unvorhersehbar, der Mieter ist in keiner Weise geschützt. Nehmen wir mich, ein Junggeselle, ich wohne zur Miete in einer Zweizimmerwohnung in der Nähe der Metrostation „Belorusskaja“ mit 54 Quadratmetern. Ich zahle dafür jeden Monat etwa 1.000 Rubel pro Quadratmeter (etwa 25 Euro). Das ist in Ordnung, nur weiß ich, dass man mich nach Belieben jeden Augenblick vor die Tür setzen kann.
Das ist in Italien anders. Wenn man in einer Mietwohnung hinreichend lange gewohnt hat, kann man einen nicht so einfach rauswerfen, selbst gerichtlich. Und es bleibt genügend Zeit, sich etwas Neues zu suchen.
Ich bin davon überzeugt, dass man mit einem russischen Partner genauso viel Geld verdienen kann wie mit einem Landsmann.
Doch bei einer Wohnung mag das noch gehen. Aber stellen Sie sich vor, Sie setzt jemand mit samt Ihrem Warenbestand vor die Tür!
— Nun sind Immobilien in Moskau aber nicht gerade billig...
— Ich weiß. Dafür erzeugen sie einen Profit, den es in Italien so nicht gibt. In jedem Falle plane ich in ein bis zwei Jahren in Moskau einen Laden zu eröffnen, wo man italienische Lebensmittel kaufen kann. Wenn ich mit meinen Partnern einig werde, so werde ich sicherlich mit der Zeit den Mini-Supermarkt dann in eine Kette umwandeln können.
— Dafür viel Erfolg!