- Wann waren Sie zum ersten Mal in Moskau?
- Das ist lange her, 1979. Ich kam da hierher, um mein Russisch zu trainieren. Meine Kommilitonen an der Universität hatten es vorgezogen, Französisch oder Spanisch zu lernen, doch ich wollte etwas besonderes machen. Deshalb habe ich mich für Russisch und Chinesisch entschieden. Nach meinem Studium erhielt ich vom Britischen Rat eine finanzielle Unterstützung für das Erlernen des Russischen und verbrachte ein sehr schönes Jahr in der russischen Hauptstadt, wo ich die Sprache üben konnte und mich mit der russischen Kultur vertraut machte. Später habe ich dann auch noch eine Zeit lang in China gelebt.
Kam 1987 nach Moskau und arbeitete im Verlagshaus „Raduga“. 1989 gründete er die Medienfirma IntoRussia Ltd., die westliche Unternehmen beim Eintritt in den russischen Markt unterstützte. Seit 2006 ist er Chefredakteur und Leiter des Projekts CRE (Commercial Real Estate) Magazine, herausgegeben von der russischen ImpressMedia. Seit September 2008 ist er Chefredakteur des Moskauer Passport Magazine, einem Journal für Expats in Moskau. Seit 2012 ist er nun Chefredakteur von Moscow Expat Life. John Harrison ist Professor für Public Relations und Social Networks am American Institute of Business and Economics. Darüber hinaus ist er ein bekannter Künstler mit regelmäßigen Ausstellungen in Moskau (www.johnharrisonart.net)..
Dann kehrte ich zurück nach London und suchte dort Arbeit. Doch wen interessierte es, dass ich Russisch konnte? Der Kalte Krieg war im vollen Gange. Es kam so weit, dass ich als Taxifahrer arbeitete, um zumindest irgendwie über die Runden zu kommen.
Dann fand ich Arbeit - 1987 in Moskau, beim Raduga-Verlag. Ich übersetzte russische Kriminalgeschichten ins Englische und irgendwelche zweifelhafte Literatur. Der Verlag mietete für mich eine Wohnung an.
Dann gründete ich meine eigene Firma, IntoRussia Ltd. Wir halfen Geschäftsleuten dabei, Kontakte zu knüpfen, druckten Broschüren, verfassten Drehbücher, drehten Filme und produzierten Werbematerialien. Doch unsere Firma war klein, das Geld reichte einfach nicht. Russland ist auch heute nicht das wirtschaftlich stabilste Land der Welt, und damals erst recht nicht. Letzten Endes schmiss ich hin und kehrte nach London zurück. Ich studierte russische Literatur an der Universität und promovierte. Danach habe ich dann ein paar Jahre in Peking gearbeitet. 2006 ging ich dann wieder nach Moskau. Dort war ich Chefredakteur von einem Immobilien-Journal, dann vom Passport Magazine.
- Wie entstand das Journal Moscow Expat Life?
- Passport Magazine ist eine Zeitschrift für Expats. Vor ein paar Jahren geriet es in Schwierigkeiten und musste aus finanziellen Gründen schließen. Es hinterließ die Nische für englischsprachige Journale über das Leben von Ausländern in Russland unbesetzt. Ich wandte mich an den britischen Unternehmer Kim Waddoup, der seit weit über zehn Jahren erfolgreich Business in Russland macht. Ich kenne Kim schon sehr lange, und wir hatten schon einmal die Idee für ein gemeinsames Journal, doch war damals nicht der passende Zeitpunkt. Vor zwei Jahren dann, kam alles Passende zusammen: Kim und ich waren zur rechten Zeit am rechten Ort und brachten Moscow Expat Life heraus. Wir adaptierten einige Ideen von Passport und konzentrierten und auf das Leben von Expats in Moskau, darauf, ihre Probleme und Interessen zu verstehen.
- Was hat sich in den letzten Jahren für die Expats geändert?
- Bis zu den Ereignissen in der Ukraine hat sich Russland in Richtung Westen bewegt, und die Unterschiede zu Europa wurden immer kleiner. Einige Ausländer bedauerten dies sogar. Heute sind auch die Leute, die hierher kommen, nicht mehr die gleichen wie früher. In den 90er Jahren war Russland ein Magnet für Cowboys, die hierher aus Abenteuerlust kamen. Heute kommt man nach Moskau, auch wenn man im Ausland schon einen guten Job hat. Ausländische Unternehmen entsenden Expats nach Russland, oder laden welche aus Russland ein. Es war schon früher so, doch heute besonders: Nach Moskau kommen hochqualifizierte Professionals und Top-Manager, keine Abenteurer mehr. Russland stellt für sie lediglich ein möglicher Ort zum Arbeiten dar, wo gut bezahlt wird. Insbesondere hält man die Bedingungen hier für ganz besondere. Früher ist man allein des Geldes und der Karriere wegen nicht nach Moskau gekommen.
- Haben Sie auch das Abenteuer gesucht?
- Aber sicher! Dort an der Wand hängt ein Bild, dass ich damals in den 90ern nach einem realen Vorbild gemalt habe: Menschen, die nach Fleisch anstehen. Fleisch war Mangelware, erinnere ich mich, selbst Zucker war nicht zu kaufen. Büchsenfleisch, Pferd. Dosen mit Sprotten. Doch war das irgendwie spannend, mir hat das gefallen. In meiner Freizeit habe ich musiziert, ich war mit vielen Musikern befreundet, verkehrte im Underground. Ich tauchte voll in das kulturelle Leben ein.
- Haben Sie auch heute noch Kontakt zu Künstlern?
- Ja, bis heute. Doch in den letzten Jahren denken die Menschen, auch die Russen, immer mehr ans Geld. Die ganze Psychologie hat sich aufs Geldverdienen umgestellt. Da unterscheiden sich die Russen in nichts von, sagen wir, Deutschen oder Franzosen. Die romantischen Zeiten sind vorbei. Es triumphiert der raue materielle Alltag. Doch Russland ist nach wie vor nicht der Westen. Hier kann sich alles binnen eines Monats wieder ändern.
- Ist Ihnen heute nicht mehr nach Abenteuern?
- Seit 10 Jahren arbeite ich nun ausschließlich als Chefredakteur von Journalen. Es ging los mit einer Zeitschrift über Immobilien: Ich gründete und leitete das Magazin CRE Russia, herausgegeben von der ImpressMedia in Moskau. Dann kam das englischsprachige Journal Passport. Und dann Moscow Expat Life. Wir helfen unseren Lesern, eben Expats, besser zu verstehen, dass sie nun in Russland leben und nicht mehr im Westen oder im Osten. Hier sind die Menschen von besonderem Schlag. Slawische Kultur. Kaum einer begreift das wirklich.
- Was unterscheidet denn die Slawen so?
- Freundschaft bedeutet hier nicht dasselbe wie im Westen. Man nähert sich einander nur langsam, doch dann für lange Zeit, vielleicht sogar für das ganze Leben. Die Geschäftswelt hier hat etwas Cliquen-mäßiges. Man hat häufig Businesspartner aus dem Familien- und Freundeskreis. Werbung funktioniert hier fast nicht, Werbebroschüren landen in der Regel in der Mülltonne. Man sagt Russen nach, dass sie nicht lächeln würden, dass sie grimmig seien. Warum muss man denn immer fröhlich sein?, fragt der Russe. Die Russen sind schlichtweg ehrlich. Zur Eigenwerbung scheinen sie organisch nicht in der Lage zu sein. Das ist für den russischen Menschen etwas kulturell vollkommen Fremdartiges.
- Können sie die Anzahl der Expats in Moskau und in Russland beziffern?
- Das ist sehr schwierig, da die Statistiken darüber auseinanderlaufen, in welche Kategorie wer aus welchem Land einzuordnen ist. Einige Quellen nennen etwa 500.000 Spezialisten aus Westeuropa, den USA, Kanada, Australien und Neuseeland in Russland, darunter ca. 100.000 Top-Manager. Die einen zählen zu den Expats die gesamten 500.000, andere schließen nur die Top-Manager ein. Von allen mehr als die Hälfte sind in Moskau, nicht wenige in Sankt Petersburg. Auf die übrigen Städte entfallen eher wenige. Je weiter die Entfernung zu Moskau, desto geringer die Anzahl.
- In welchen Branchen der russischen Wirtschaft sind die Expats am meisten tätig?
- In allen großen Städten Russlands, wo es Industrie gibt, kann man auf Expats treffen. Ihre Verteilung insgesamt spiegelt die Strukturen der russischen Wirtschaft wieder. Viele Expats sind im Erdöl- und Gassektor tätig, überhaupt im Sektor Bodenschätze, im Bankenbereich, im IT-Business, in Personalfirmen und in Personalabteilungen von Unternehmen. Viele sind auch im Ausbildungsbereich tätig. Hier sind zahlenmäßig mehr Expats zu finden als im Bankensektor, geht man aber nach der Summe der Einkünfte, so liegt hier der Bankensektor vorne. Ausländer spielen in der russischen Wirtschaft eine große Rolle: Über die Firmen, für die sie arbeiten, fließen gewaltige Finanzströme ins Land.
- Wo kommen die Expats in der Regel her?
- Die Mehrzahl kommt aus dem näheren Westen. Viele aus Osteuropa, insbesondere aus Polen: Etwa 50.000 von ihnen leben in Moskau und Sankt Petersburg. Doch nicht alle sind Expats im engeren Sinne, manchmal ist es richtiger zu sagen, dass sie einfach in Russland leben. Viele Expats stammen auch aus den westeuropäischen Ländern wie Deutschland oder Großbritannien: etwa 5.000 Briten, Deutsche etwas mehr, jedoch weniger als 10.000.
- Welche Trends können Sie in Bezug auf die Expats in Moskau beobachten?
- Es lässt sich ein zahlenmäßiger Rückgang feststellen. Ich würde sagen, dass sich die Zahl der Expats in Moskau von etwa 1.000.000 um mindestens ein Drittel reduziert hat. Viele sind aufgrund der Krise gegangen. Den russischen Firmen fehlte einfach das Geld, um die Ausländer weiter zu bezahlen. Für das gleiche Geld konnte man zwei oder drei lokale Mitarbeiter mit den notwendigen Qualifikationen, die sie sich inzwischen angeeignet hatten, einstellen. Heute haben die Russen selbst bereits so viele Erfahrungen gesammelt, dass auch sie jene Stellen besetzen können, für die zurzeit noch Expats eingesetzt sind. Sicher werden diese in Schlüsselfunktionen bei ausländischen Unternehmen verbleiben, doch die allgemeine Tendenz, die eher in Richtung Substitution der Expats durch Inländer geht, wird sich fortsetzen.
- Äußern sich Expats, Ihre Leserschaft, dazu, dass ihnen hier in Moskau irgendetwas fehlt, das sie von zu Hause gewohnt sind?
- Diejenigen, die hierher kommen, bekommen von ihren Unternehmen Wohnungen und medizinische Versorgungsleistungen, das volle Paket westlicher Services. Natürlich spreche ich hier in erster Linie über Top-Manager und hochbezahlte Spezialisten, doch auch Lehrer und Ärzte.
- Kommen die Expats für längere Zeit nach Russland?
- Ihre Verträge laufen in der Regel drei bis fünf Jahre. Die Expats wollen sich in Moskau bewähren. In der Regel waren sie zuvor schon im Ausland. Russland ist da einfach eine weitere Stufe auf der Karriereleiter. Ist sie genommen, gehen sie wieder. Es herrscht hier ein großer Grad an Ungewissheit, deshalb verlassen die Expats in der Regel das Land wieder. Sie sind es leid, immer und immer wieder dieselben Probleme angehen zu müssen, nur weil sich mal wieder die Umstände geändert haben. Doch einige Expats bleiben hier auch für länger.
- Ist es schwer für einen Ausländer, in Russland sein Business zu starten?
- In den 90ern war es vermutlich einfacher. Doch auch jetzt geht das. Das Wichtigste ist, die Gesetze des Landes zu akzeptieren, in dem man lebt und arbeitet.
- Wir reden die ganze Zeit nur über die Arbeit. Wie entspannen Sie sich?
- Ich habe eine Datscha in der Nähe von Wereja, Häuschen und Garten. Ich habe mich jedoch gegen das Gärtnern entschieden. Ich lasse alles verwildern. Sehr zum Leidwesen meiner Nachbarn.
- Die russischen Winter schrecken Sie nicht?
- Ich finde sie großartig. Das Klima ist hart, aber der Winter soll ja auch kalt sein, sonst wäre es doch kein Winter. Wenn er auch durch den Klimawandel nicht mehr der ist, der er einmal war. Der russische Winter ist mitunter dem Londoner sehr ähnlich. Im Sommer ist es dann heiß, ich erinnere mich noch, wie die Torfbrüche brannten. Und noch ein Bild: Die Leute sitzen an der Metrostation WDNCh mit Masken und rauchen.
- Sind die Mitglied in von Ausländern frequentierten Klubs?
- Ja, doch eher der Arbeit wegen. Früher bin ich auch so dahin gegangen, einfach um mich dort mit Russen zu unterhalten. Dann habe ich verstanden, dass Klubs ein interessanter und nützlicher Ort sind, weil dort Leute mit den unterschiedlichsten Backgrounds ihre Erfahrungen miteinander teilen. Die Unterhaltungen dort helfen zu verstehen, was um einen herum passiert, was fürs Business immer wichtig ist.