– Sie haben in den US, im Nahen und dem Mittleren Osten gearbeitet, ein Europa, in China... Sie haben sich mit Finanzen beschäftigt, mit Corporate Governance, mit internationalen Projekten der Modeindustrie und der Lebensmittelproduktion, Design und Architektur, Engineering, Kommunikation... Wie haben Sie das alles unter einen Hut bringen können?
– Professionalität, Kompetenz und Verbindlichkeit. Das sind die für mich wichtigsten drei Begriffe. Und was die geografische Breite angeht...nun, hier ein aktuelles Beispiel. Eine europäische Schuhfirma bat mich, sie beim Eintritt in den russischen Markt zu unterstützen. Als die Firma jedoch erfuhr, dass ich mich auch mit dem amerikanischen auskenne, bat sie mich, dasselbe auch für Florida zu tun. Hier in Moskau führen wir gerade eine Voranalyse dafür durch, und im Mai machen wir uns dann an die Feldstudie direkt vor Ort in Miami.
Über Massimiliano Ballotta
Geboren 1964 in Bologna. Absolvierte die Universität von Bologna, Auslandssemester als Erasmus-Student an der University of Hull in Großbritannien. Master in Wirtschaft und internationalem Recht an der Universität John Hopkins in Washington. Arbeitete zwei Jahre im Rahmen eines Entwicklungsprojektes der UNO in Jerusalem. Danach in einem der führenden italienischen Forschungszentren auf dem Gebiet realwirtschaftlicher Herausforderungen, Nomisma. 1998 Gründung seiner eigenen Beratungsfirma, Progeco, für Projekte mit der Weltbank und der Europäischen Kommission. Führte die italienische Internetfirma eXtrapola. War Mitglied im Verwaltungsrat der Luxusbekleidungsfirma Hettabretz SpA und bekleidete die Position des Direktors für internationale Projekte bei der führenden europäischen Beratungsfirma Ambrosetti. Lebt seit 2000 in Moskau.
Massimiliano ist von Kindheit an an ferne Länder gewöhnt. Sein Vater arbeitete seiner Zeit für die damals größte italienische staatliche Finanz- und Industrie-Holding „Institut für industrielle Rekonstruktion (IRI)“. Er arbeitete oft im Ausland und nahm seinen Sohn mit. So lebte Massimiliano als Junge in Nigeria und im Iran. Dann in England, den USA, Israel. Auch nachdem er sich 2000 in Moskau niedergelassen hatte, reise er weiter viel umher. Erst in den letzten sechs-sieben Jahren kam er ein wenig zur Ruhe und konzentrierte sich auf die Hauptstoßrichtung seiner Tätigkeit: die Entwicklung der russisch-italienischen Geschäftsbeziehungen.
Nach Moskau, gesteht er, ist er eher zufällig gekommen. Russland lag lange Zeit außerhalb seines geschäftlichen Interesses. Eines Tages jedoch lernte er eine Russin kennen, die in Italien ihren Urlaub verbrachte. Die Spezialistin im Bereich Unternehmens- und Handelsrecht hat in Saratow und in den USA studiert. Sie arbeitete einige Jahre in der Moskauer Niederlassung von White&Case, einer amerikanischen Kanzlei mit Filialen in vielen Ländern, und gründete dann in Moskau ihre eigene Firma, LegaLife.
Massimiliano interessierte sich für dieses Projekt und wurde 2000 Teilhaber dieser Unternehmung. 2007 begann er dann auch dort zu arbeiten, gründete und leitete ein für LegaLife neues Tätigkeitsfeld: die Beratung. Auf der Unternehmensseite, wo das Team von 20 Mitarbeitern vorgestellt wird, erfährt man, dass in dem Beratungszweig der Firma bei Massimiliano lediglich zwei Russen arbeiten. Wie kommt man bei der Arbeitsbelastung zu Dritt zurecht?
– Drei, das ist nur die Festbelegschaft, - erklärt Massimiliano. In den jeweiligen Projekten jedoch nehmen wir noch zusätzlich Leute hinzu. Größtenteils rekrutieren wir diese direkt hier in Moskau. Wenn jedoch in den Regionen schiedsgerichtliche Verfahren zu bestreiten sind, unterstützen uns ansässige Anwälte.
Ulf Schneider, Gründer und Managing Partner der RUSSIA CONSULTING Group:
— In Russland benötigt ein ausländischer Investor erheblich häufiger gute Beratung als ein ausländisches Unternehmen in seinem Heimatland. Der Consulting-Markt in Russland war lange Zeit streng zwischen lokalen und ausländischen Beratungsfirmen aufgeteilt. Viele Ausländer zogen es klar vor, von Unternehmen aus ihrem eigenen Land beraten zu werden. Eine Ausnahme bildet dabei die Strategieberatung. Westliche Firmen machen in Russland hervorragende Geschäfte mit ihren russischen Kunden. Der Beratungsmarkt für russische Investoren in Deutschland ist bis heute nur schwach ausgeprägt und zeigt keine klare Tendenz. Moskau ist sehr dynamisch. Wenn man mal ein Jahr nicht in der Stadt ist, erkennt man bereits vieles nicht mehr wieder. Daher muss man als Berater in Moskau um einiges mehr an intellektueller Flexibilität mitbringen, um hier seinen Beruf mit Erfolg ausüben zu können.
Moskau ist eine der größten Städte der Welt. Sie werden überrascht sein, wenn ich Ihnen sage, dass zu dem Zeitpunkt, als ich RUSSIA CONSULTING 2003 gegründet habe, das Startkapital 50.000 EUR betragen hat. Ich habe auf ein Gehalt verzichtet. Anfangs war alles ziemlich eng. Doch letzten Endes hatte ich Erfolg. Heute hat RUSSIA CONSULTING acht Büros in sechs Ländern der Welt und mehr als 400 Mitarbeiter, davon 300 in Moskau. Was die Arten von Aufwand angeht, so sind für das Beratungsgewerbe insbesondere die Gehälter zu nennen. Die reinen Gehälter sind hier zum Teil höher als in Deutschland. Die Büroflächen in guter Lage kosten in Moskau häufig das Fünffache oder noch mehr als entsprechende Flächen in Deutschland.
Nachdem mein Gesprächspartner über die Jahre bereits viele Interviews geführt hat, ist er zu dem Schluss gekommen, dass auf seinem Gebiet qualifizierte Spezialisten zu finden, nicht leicht ist. Das Ausbildungsniveau in Russland hinkt seiner Meinung nach dem europäischen hinterher. Heute helfen ihm natürlich bei seiner Suche seine persönlichen Kontakte, die er nach 14 Jahren im Moskauer Business hat aufbauen können. Jedoch ist die Konkurrenz auf dem örtlichen Markt bereits sehr stark. Auf die Frage nach den Wettbewerbsvorteilen von LegaLife antwortet Massimiliano ohne zu zögern:
– Unser Wettbewerbsvorteil liegt in unserer besonderen Marktpositionierung. Wir sind eine russische Kanzlei mit internationaler Erfahrung und entsprechender professioneller Kompetenz. Im Vergleich zu den großen internationalen Kanzleien sind wir schneller, aufmerksamer dem Klienten gegenüber und - warum verschweigen - günstiger.
Im Vergleich zu den großen internationalen Kanzleien sind wir schneller, aufmerksamer dem Klienten gegenüber und - warum verschweigen - günstiger.
Man hatte Glück: Die Firma wurde in einer Periode schnellen Wachstums der russischen Wirtschaft gegründet. Und sie ist, so kann man sagen, proportional mitgewachsen. Während zu Beginn, im Jahre 2000, das Team nur wenige Mitarbeiter zählte, arbeiteten 2007 schon 20 Menschen für die Firma. Massimiliano ist sich felsenfest sicher: Moskau bietet dem Business Möglichkeiten, wie es sie in Europa schon lange nicht mehr gibt.
– Wenn wir 2000 eine ähnliche Firma in, sagen wir, Mailand gegründet hätten, der Wirtschafts- und Finanzhauptstadt Italiens, hätten wir 2014 mit Gewissheit nicht eine so lange Liste von Klienten aus dem Kreis der internationalen Größen gehabt, wie wir sie heute haben. Aus dem Kreis der russischen im Übrigen auch: Wir haben bereits mit „Gasprombank“, „Alfabank“ und „Mosinshstrojem“ zusammen gearbeitet. In Europa ist der Markt längst aufgeteilt. Der Moskauer Markt ist auch schon ziemlich gesättigt, doch sind die Möglichkeiten für Start-ups hier nach wie vor besser als im Westen.
Unter den Klienten von Massimiliano befinden sich jedoch nicht nur große Unternehmen. LegaLife arbeitet auch mit mittleren und kleinen zusammen. Die Zahl der russischen Auftraggeber wächst, wenn sie zurzeit auch noch nicht 30% der Gesamtklientel übersteigen.
Die Suche nach neuen Kunden ist die Hauptaufgabe eines jeden Business im Bereich der Dienstleistung. Massimiliano nimmt diese Aufgabe persönlich wahr. Er organisiert Seminare für verschiedene Business-Vereinigungen. Er bereites und verteilt Informationsmaterialien. In diesem Jahr hält er sogar Vorlesungen über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Italien an seiner Heimatuniversität in Bologna.
Alexander Petcherski, Managing Partner und Generaldirektor von ALT R&C:
— Der Anteil der Beratungsleistungen am russischen BIP ist nur etwa halb bis zwei Drittel so groß wie im Westen, weshalb er weiter wächst, wenn auch nicht mehr so schnell wie früher. IT-Beratung und -Implementierung bleibt das Segment mit der höchsten Dynamik. Die Konsolidierung der großen Auditoren mit internationalen Unternehmen wird sich fortsetzen. In der Management- und Strategieberatung dominieren die westlichen Player. Sie haben den lokalen Firmen eher Nischen gelassen. Die Qualifikationen der Auftraggeber von Beratungsdienstleistungen steigt stetig an, was den aktuellen Trend noch verstärkt. Im Vergleich mit Europa und den USA ist der russische Markt merklich weniger dicht und umkämpft. In Russland ist es heute fast unmöglich, eine Unternehmung zu finden, die sich ausschließlich zum Beispiel mit Logistik- oder Pharmazieberatung beschäftigen würde, was im Westen durchaus der Fall ist. Das Gros der Kunden stammt aus den Sektoren Groß- und Staatsunternehmen, Historisch sind, im Gegensatz zum Westen, die mittelgroßen Unternehmen am schnellsten gewachsen, was heute dazu führt, dass, erstens, eine niedrige Kundenqualifikation vorherrscht, zweitens, gegen ein Negativimage der Beratungsbranche angekämpft werden muss (in den 90er Jahren hat der Kunde mit Scharlatanen zusammengearbeitet), und drittens, man erwartet vom Berater wahre Wunder: die augenblickliche Lösung des Problems und sofortige Auswirkungen, häufig aber auch noch gepaart mit einem Widerwillen, die empfohlenen Maßnahmen umzusetzen. Abgesehen von diesen Schwierigkeiten bleibt die Beratungsbranche eine mit hohen Umsätzen, wobei eine gesamte Unternehmung auch nur aus einer einzigen Person mit Laptop bestehen kann.
In Moskau hilft die Teilnahme an Aktivitäten von Berufsverbänden wie der Italienisch-Russischen Handelskammer, der Association of European Businesses, dem internationalen Netzwerk LAWorld, das über 50 Kanzleien mit Niederlassungen in mehr als 90 Städten der Welt vereint. Unsere Kollegen im LAWorld vermitteln beispielsweise Klienten in London bei Bedarf für Aufträge in Moskau immer an LegaLife.
– Die Klienten sind das A und O, - unterstreicht Massimiliano. Umso mehr in Moskau. Mit ein paar Leuten eine Kanzlei in Moskau aufmachen, das ist keine besonders aufwändige Sache. Jedoch hier einen Bankkredit zu kommen als Firma, die keine Industriewerkstoffe oder sonstige Aktiva hat, ist ziemlich schwierig. Eine solche Firma kann nur wachsen, wenn sie neue Klienten findet. Glücklicherweise bietet Moskau die Möglichkeit, nicht schlecht zu verdienen. Auch wenn die Büromieten im Zentrum der Stadt merklich höher sind als in Europa und die Gehälter von Juristen um 30 bis 40 Prozent höher als in Mailand. Der Moskauer Markt ist für uns sehr interessant: Viele Firmen haben Bedarf an seriösem juristischem Beistand.
Moskau bietet die Möglichkeiten, nicht schlecht zu verdienen.
– Was sagen Sie zu den russischen Klienten? Ist es schwer, mit ihnen zu arbeiten? Gibt es eine russische Spezifik?
– Was die Arbeit mit den Klienten angeht, ist es am einfachsten in den USA, - antwortet Massimiliano. Dort wird am meisten Wert auf die professionelle Kompetenz, weniger auf die persönlichen Beziehungen gelegt. Russland ist da näher an Italien, wo die zwischenmenschlichen Beziehungen sehr wichtig sind. In beiden Ländern reicht Kompetenz allein, wenn sie nicht gepaart ist mit guten persönlichen Beziehungen, nicht aus. Gut, in Russland ist das noch etwas schlimmer: Beziehungen sind häufiger als Professionalität. Russen ziehen es vor, mit Freunden zu arbeiten. Sie vertrauen eher ihnen, selbst wenn ihre Kompetenzen nicht ausreichen. Momentan ändert sich die Situation, aber noch vor etwa zehn Jahren war es genau so.
Massimiliano Ballotta fühlt sich schon lange in Moskau zu Hause. In puncto Komfort, da ist er sich sicher, hat die russische Hauptstadt genauso viel zu bieten, wie andere Großstädte der Welt. Um sein Leben hat er beispielsweise in den 14 Jahren nicht einmal Angst gehabt.
Russen ziehen es vor, mit Freunden zu arbeiten. Sie vertrauen eher ihnen, selbst wenn ihre Kompetenzen nicht ausreichen.
– Das kann natürlich daran liegen, dass ich direkt im Stadtzentrum arbeite. Es ist hier sauber, es herrscht Ordnung, man spürt die Präsenz der Staatsorgane.
Dass er, wie er selbst sagt, nicht so gut Russisch spricht, empfindet er nicht als störend: die Mehrzahl seiner zahlreichen russischen Freunde spricht mindestens Englisch.
– Verstehen Sie, in meinem Beruf, wo es in den Gesprächen mit den Klienten um wichtige Details geht, muss man die Sprache äußerst gut beherrschen. Doch fehlt mir dafür die Zeit. Deshalb haben wir eine Zuständigkeitsteilung: Ich kümmere mich größtenteils im die ausländische Klientel, während die russischen Kollegen sich um ihre Landsleute kümmern. Nun bin ich aber ein Sonderfall. Allgemein ist es für einen ausländischen Unternehmer in Moskau notwendig, sich mit der russischen Sprache auszukennen. Sprachkenntnisse helfen sehr.
Als das Gespräch auf Risiken kommt, die auf einen ausländischen Geschäftsmann lauern können, der sich gerade in Moskau einrichtet, ist Massimiliano kategorisch:
– Das größte Risiko ist die Leichtsinnigkeit. Zu glauben, in Moskau liefe alles ganz leicht. Es würde reichen, einfach ein gutes Produkt zu haben, und es zu verkaufen. Nichts da. Es gibt mannigfaltige bürokratische Schwierigkeiten, mindestens mit dem Zoll. Die russische Gesetzgebung hat ihre Eigenarten: Man sollte nicht denken, dass hier alles genau so ist wie in Europa. Die Gesetzgebung in Russland ist noch sehr jung, sie entwickelt sich erst noch. Ein Beispiel: Im Westen gibt es schon seit geraumer Zeit Normen zum Schutze von Minderheitsaktionären, und sie sind sehr gut ausgearbeitet. In Russland wurde die Arbeit in Bezug auf diesen Punkt aus juristischer Sicht erst vor vier oder fünf Jahren aufgenommen. Daher hat, wenn eine Angelegenheit bis vor Gericht kommt, der Richter bisweilen noch keine klare und detaillierte Indikation aus dem Gesetz.
Die russische Gesetzgebung hat ihre Eigenarten: Man sollte nicht denken, dass hier alles genauso ist wie in Europa.
Da gibt es noch eine Sache, die mich bis heute überrascht, - schmunzelt Massimiliano. - Wir Europäer sind es gewohnt, unsere Angelegenheiten zu planen: Für zwei italienische Unternehmer ist es vollkommen in Ordnung, einen Termin zwei bis drei Monate im Voraus anzusetzen. In Russland ist so etwas unmöglich. Hier zieht man es vor, sich hastig im letzten Moment zu verabreden. Der Markt wird ohne Frage professioneller, doch die Tendenz, die Dinge auf russische Art zu erledigen, bleibt.
Die Frage, die ich mir bis ganz zum Schluss aufgehoben habe, fiel ein wenig aus dem bisherigen, eher Business-bezogenen Rahmen: Auf der Seite von LegaLife hatte ich gelesen, dass die Firma sozial Schwachen und Kindersportvereinen kostenlosen Rechtsbeistand anbietet.
– Ja, von Zeit zu Zeit möchten wir etwas für die Gesellschaft tun. - Massimiliano wirkt fast beschämt. - Meiner Meinung nach gehört das zu einer Kanzlei dazu. Jemanden aus den Reihen der Pensionäre, Veteranen oder Invaliden zu unterstützen... Oder junge Sportler. Wir mögen sehr gerne Tennis und haben einer jungen Mannschaft dabei geholfen, ihren ersten Profi-Vertrag abzuschließen. Das sind alles keine großen Sachen. Für uns sind sie aber wichtig.