– Ich habe zwar mein Jurastudium absolviert, aber als Jurist zu arbeiten, erschien mir irgendwie langweilig. Werbung hat mich schon immer interessiert, glänzende und kreative Ideen. So kam es, dass ich innerhalb eines Augenblickes nicht nur meine Tätigkeit gewechselt habe, sondern auch gleich noch das Land. Das war ein echtes Neujahrsmärchen. Ich habe ein russisches Mädchen kennen gelernt, und am Neujahrsabend 2002 lud sie mich nach Russland ein. In Moskau angekommen, versuchte ich, die Weite dieses Landes zu begreifen, und ich spürte, dass es hier Möglichkeiten gab, die man in Europa nicht hatte. Für den Anfang nahm ich einen Job an bei „RIA-Novosti“, der staatlichen Informationsanalyse-Agentur der Russischen Föderation. Ich arbeitete in der Auslandsabteilung. Ich verständigte mich größtenteils auf Englisch und Französisch, dazu ich spreche auch noch Italienisch und Deutsch.
Über BuzzFactory
Die Moskauer Agentur für digitales Marketing, BuzzFactory, wurde 2009 von Thierry Cellerin gegründet. Sie ist spezialisiert auf die Promotion von Waren und Dienstleistungen im Internet, hilft Marken bei den Kunden bekannt zu machen. Dafür arbeiten Sie mit den populärsten Bloggern und anderen Internet-Autoritäten zusammen. Für die Umsetzung ihrer Marketingkampagnen hat die Firma ihre eigene Technologie entwickelt: die BuzzFactory Influencer Platform. Zudem bietet die Firma auch Dienstleistungen in den Bereichen SEO und PR an.
– Sie sind ja ein Polyglott! Nicht verwunderlich, dass man Sie sofort bei „RAI-Novosti“ angestellt hat...
– Russisch hingegen habe ich zu diesem Zeitpunkt noch überhaut gar nicht gesprochen. Ich habe die Sprache auch nicht speziell gelernt, sondern sie mir in Gesprächen mit meiner Liebsten, Kollegen und Freunden angeeignet. Ich begann schnell, meine Gesprächspartner zu verstehen. An Moskau hat mir besonders gefallen, dass ich hier eine Arbeit finden konnte, die nicht nur nah dran war, sondern mir auch gefiel. In Westeuropa machst du in der Regel das, was man dir anbietet, und nicht das, was du tun möchtest. In Moskau wusste ich, dass selbst wenn die Agentur, aus welchen Gründen auch immer, einmal schließen sollte, ich hier sofort eine andere Stelle finden würde. So ist der Markt hier.
In Moskau angekommen, versuchte ich, die Weite dieses Landes zu begreifen, und ich spürte, dass es hier Möglichkeiten gab, die man in Europa nicht hatte.
– Dann haben Sie jedoch Ihren Job aufgegeben und ihr eigenes Business angefangen. Erzählen Sie davon, wie es dazu kam.
– Bevor ich mein eigenes Business anfing, habe ich eine Zeit lang im Immobilienbereich gearbeitet. 2006 habe ich mich mit Werbung beschäftigt, und zwei Jahre später habe ich dann begonnen, über eine digitale Agentur nachzudenken, die Services im Bereich Promotion von Waren und Dienstleistungen im Internet anbietet. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits eine Firma, die sich mir juristischen Fragestellungen und Bilanzierung beschäftigte. Die Belegschaft sprach ausgezeichnet Französisch. So ergaben sich aus dem notwendigen Papierkram keinerlei Probleme. Russische Bekannte haben mich unterstützt. Und jedes Mal, wenn eine entsprechende Entscheidung ansteht, bespreche ich mich mit zwei oder drei Spezialisten und frage sie, wie sie sich in der jeweiligen Situation verhalten würden.
Gleb Shuklin, Russische Vereinigung für E-Communication:
— Der heutige Markt für SMM in Russland befindet sich in einem Stadium rasanten Wachstums verbunden mit der starken Verbreitung neuer Werbeformate, einer Mannigfaltigkeit in der Zusammenarbeit mit den Auftraggebern, Agenturen, sozialen Netzen und Hosts der populären Groups und Apps. Zu den SMM-Kunden gehören immer mehr mittlere und kleine Unternehmen, was den Markt dynamischer, flexibler und interessanter macht. Die neuen Möglichkeiten der sozialen Netze wie die immer umfangreicheren Suchfunktionen haben ebenfalls Einfluss auf die Entwicklung von SMM-Services. Zurzeit entwickelt sich der Terminus Social Media Optimization: Ein Business beginnt Promotion-Dienstleistungen sowohl bei Facebook als auch bei VK zu ordern.
Die Landschaft der Werbebranche ändert sich auch stark durch den immer wachsenden Zugang der Konsumenten zu Mobile Apps. Die Firmen müssen sich allzeit an die sich ändernden Einstellungsbedingungen für den Konsumenten-Content anpassen, denn hier sind Aktivsein, Spürsinn für die jeweilige Situation und Passioniertheit der Firma das Unterpfand ihres Erfolges.
In Russland muss man darüber hinaus auch noch berücksichtigen, dass die sozialen Netze sehr sensitiv sind gegenüber Gesetzesentwürfen, die ohne die Mitwirkung der Internet-Branche gefasst werden. Die ständigen Angriffe von Rechteinhabern und das Risiko von Ressourcen-Bindung aufgrund von Konsumentenaktivitäten erhöht merklich die Ausgaben.
– Wie viele Mitarbeiter haben Sie in Ihrer Agentur?
– Eine der Hauptbesonderheiten der digitalen Agentur ist die Arbeit in kleinen, autonomen Teams mit externen Mitarbeitern. Unser Hauptinstrument ist ein System zum Monitoring der Social Media. Ich habe in meinem Team fünf Mitarbeiter und noch zwei Freelancer als Buchhalter. Wir haben viel Zeit und Geld in die Entwicklung unserer eigenen Technologie gesteckt. Firmen, die mit Bloggern zusammenarbeiten, wissen in der Regel nicht, wie viele Menschen letzten Endes ihre Nachrichten gesehen haben. Unsere Technologie eröffnet die Möglichkeit, in Echtzeit eben das zu tracken, ohne Überraschungen und ohne Betrug. Das Ganze ist sehr transparent.
Wir haben viel Zeit und Geld in die Entwicklung unserer eigenen Technologie gesteckt.
– Wie haben sie die nötigen Spezialisten ausgesucht?
– Auf Empfehlung. Neben Professionalität, ist mir wichtig, dass ein Mitarbeiter verantwortungsbewusst ist und einen nicht im Stich lässt. Ich verlange von meinen Mitarbeitern nicht, dass Sie jeden Tag im Büro erscheinen. Für mich ist es wichtig, dass sie die Ihnen übertragenen Aufgaben mit hoher Qualität und in der geforderten Zeit erledigen. Wie sie dabei ihre Arbeit organisieren, ist ihre Sache.
– Was verdient ein Spezialist mit ihren Anforderungen in Moskau?
– Das ist unterschiedlich. Das können 30.000, aber auch mehr als 100.000 Rubel sein.
– Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie zu kämpfen?
– Da war ein Problem mit der Bank. In Europa ist eine Bank stets Business Partner. In Russland ist das nicht immer so. Nur sehr schwer ist der Kontakt mit der Administration der Bank in Gang gekommen. Glücklicherweise. habe ich für die Rechnungslegung gute Partner. Doch das Thema Bank kostet mich noch heute viel Zeit.
In Europa ist eine Bank stets Business Partner. In Russland ist das nicht immer so.
Ich habe noch nie irgendjemanden bestochen. Deshalb habe ich mit einigen Kunden einfach nicht zusammenarbeiten können. Ich verfolge die folgende Logik: Wenn jemand heute Schmiergeld nimmt, damit ich seinen Auftrag bekomme, kommt morgen vielleicht schon ein anderer, bietet eine größere Summe als ich und schon bin ich den Auftrag wieder los. Leider trifft man in unserem Markt durchaus unseriöse Anbieter: Sie betrügen die Kunden, indem Sie ihnen gefakte Klick-Zahlen präsentieren. Die Auftraggeber sind in unserem Bereich noch nicht besonders gut aufgestellt in puncto Monitoring-Systeme für soziale Netzwerke. Bei uns aber, ich sagte es schon, herrscht komplette Transparenz.
– Wie teuer ist es, ein kleines Büro im Zentrum Moskaus zu mieten, etwa so groß wie Ihres?
– Zwischen 50.000 und 100.000 Rubel im Monat.
– Ist es schwer, Kunden zu finden?
– Jetzt ist es einfach, da wir bereits eine gute Reputation haben aufbauen können. Darüber hinaus bin ich aktiv in der CCIFR tätig, der Französisch-Russischen Industrie- und Handelskammer. Ich leite dort das Komitee für Marketing und PR. Wir organisieren eine Reihe von Konferenzen. Unter den Teilnehmern fällt es mir nicht schwer, neue Kunden für uns zu finden.
Dmitri Tschistov, Medien-Direktor der Internet Media Holding:
— Das Social Media Marketing ist ein ziemlich eigenes Segment des Kommunikationsmarktes. Nach den Daten der Studie „Die Ökonomie des Runet“ betrug das Marktvolumen für Promotion in den Social Media 2012 um die 3 Mrd. Rubel und wird nach den Zahlen für 2013 noch um ein Drittel wachsen. Man muss sich jedoch vor Augen halten, das dieses Segment recht opak ist, die tatsächliche Effektivität von SMM lässt sich kaum messen. Die Netzwerke kämpfen mit automatisierten Werbe-Systemen und Accounts von nichtexistenten Personen. Auf der anderen Seite erzeugt der Kampf der Marken und Firmen um die Aufmerksamkeit der Konsumenten im Netz hohe Datenaufkommen in den sozialen Medien. Aus den Ergebnissen verschiedener Studien geht hervor, dass bereits mehr als 60% der User nicht mehr auf die Werbebotschaften in den Sozialen Netzen achtet. Nichtsdestotrotz funktioniert das Ganze: Millionen von Menschen, die jeden Tag die sozialen Netze nutzen, und der mit einer gewissen Zahlungsbereitschaft verbundene Wunsch der Firmen, mit ihnen in Kontakt zu treten. Die Entwicklung des entsprechenden Instrumentariums und eine Erhöhung der Transparenz erlauben es dem besagten Segment, sich weiter zu entwickeln und ein neues Niveau zu erreichen.
Die Kosten für ein Start-up im Bereich SMM belaufen sich auf 10 Mio. Rubel aufwärts. Dies schließt den Aufwand für das Aufsetzen der Organisation, die Büromiete und die Gehälter von qualifizierten SMM-Spezialisten ein, die zudem noch die Arbeit einiger billigerer Freelancer koordinieren. Zudem ist es auch sehr wünschenswert, professionelle Designer und Texter im Team zu haben.
– Worin unterscheiden sich westliche Kunden von den russischen?
– Da gibt es zwei Aspekte: die Unternehmen selbst und die Leute die dort arbeiten. Die Unternehmen variieren stark. Die einen sind vollkommen wie die westlichen es sind, andere sin sehr speziell. Was die Spezialisten angeht, so gibt es auf dem russischen Markt sowohl äußerst professionelle, aber auch eher Leihen.
– Was imponiert Ihnen, und was stört Sie an den Russen?
– Mit gefällt die Gutmütigkeit der Russen. Zu den Feiertagen werde ich oft eingeladen und wie ein Mitglied der Familie aufgenommen. Die Menschen öffnen sich vollkommen - wie es die Russen bezeichnen: Ihr Herz liegt bei ihnen auf der Zunge. So ein unglaubliches Maß an Vertrauen. In puncto Business stört es mich ein wenig, dass es die Russen nicht besonders mögen, in die Zukunft zu schauen. Wenn etwas heute so gemacht wird, wo wird erwartet, dass das auch morgen so sein wird. Das ist ein großer Unterschied zum westlichen Markt. Dort urteilen die Geschäftsleute so: „Gut, ich habe das jetzt so gemacht - aber wie geht es weiter? Kann man den Prozess nicht noch optimieren?“
– Woran, meinen Sie, liegt das?
– Ich vermute, dass dies das momentane Niveau der hiesigen Business-Kultur widerspiegelt. Die Russen machen keine langlaufenden Pläne. Ein nicht ganz abwegiger Ablauf, ist der folgende: Man eröffnet ein Business, wenn es nach ein bis anderthalb Jahren noch keinen Gewinn gebracht hat, macht man es eben wieder zu, entnimmt die Mittel und kauft sich davon ein dickes Auto. Alles richtig gemacht! Die Franzosen haben da eher das umgekehrte Problem: Sie schauen häufig zu sehr in die Zukunft. Es hat mich schon schockiert, als ich einmal einen 24-Jährigen Franzosen sagen hörte: „Und wenn ich dann ich in Rente gehe...“ Der hat noch 40 Jahre bis dahin!
– Was sagen Sie zu Ihren Konkurrenten?
– Da gibt es „Begun“, ein System zur Platzierung von Netzwerk-Werbung im Internet. Eine ziemlich große Plattform, die jedoch mehr auf Quantität als auf Qualität setzt. In der Blogger-Community arbeiten wir aber gerade mit denen zusammen, die nicht mit Begun arbeiten. Deshalb sind wir eigentlich keine echten Konkurrenten.
– Muss man die russische Sprache beherrschen, wenn man in Russland sein Business betreiben möchte?
– Ich spreche Russisch recht gut, habe aber so meine Schwierigkeiten mit dem Schreiben. Natürlich muss man die Sprache des Landes lernen, in dem man arbeitet. Das macht es leichter, alles zu verstehen und sich die örtliche Mentalität zu erschließen. Ich kenne einige Firmen, die in Moskau aufgemacht haben und dann plötzlich wieder geschlossen haben. Russland ist nicht Europa. Hier lauert nicht wenig Unerwartetes auf einen. Man muss lavieren - und Russisch zu können, hilft einem dabei sehr.
Russland ist nicht Europa. Hier lauert nicht wenig Unerwartetes auf einen. Man muss lavieren - und Russisch zu können, hilft einem dabei sehr.
– Lohnt es sich für jemanden aus dem Westen, nach Moskau zu kommen, um hier sein Business zu eröffnen?
– Das hängt von der Businessidee ab und in welcher Brache er arbeiten möchte. Doch gibt es viele erfolgreiche Exemplare. Zwei Franzosen zum Beispiel kamen hierher, ohne jede Unterstützung, mit nichts. Sie eröffneten einen Crêpe-Laden, und jetzt läuft es richtig gut. Ein Bekannter von mir hat einen Sockenladen im Internet aufgemacht. Auch bei ihm läuft es prächtig. Für solche Projekte geht das durchaus.
– Ändern sich die Stereotype über Russland im Westen langsam?
– Früher war man sich im Ausland sicher, dass Russland ein riesiges Land ist, wo viele Trinker leben. Heute ist das Land in der Vorstellung noch immer groß. Aber, so glaubt man, leben da jetzt eher viele Reiche.
– Haben Sie vor, lange in Moskau zu bleiben?
– Russland hat noch immer ein großes wirtschaftliches Potenzial. Ich habe hier eine Firma, und ich habe vor zu expandieren. Ich habe viele Kontakte, Freunde und Pläne. Nicht zuletzt wohnt hier meine russische Freundin. Was brauche ich denn noch mehr zu meinem Glück?