Der Umzügler
- Wie sind Sie nach Moskau gekommen?
- Schon als Jugendlicher verstand ich, dass ich nicht in Frankreich arbeiten wollen würde. Mir erschien das irgendwie langweilig. Russland besuchen wollte ich schon 1989, mit 18. Doch, wie Sie verstehen werden, war zu dieser Zeit Moskau nicht der Ort, an den Eltern ihren Nachwuchs reisen lassen wollten. Ich studierte an der Universität, in den Ferien arbeitete ich in England und den USA. Besonders aber wollte ich nach Russland. Bei uns zu Hause hing in der Küche eine Weltkarte. Ich liebte es, sie mir anzuschauen. Es war unmöglich, Russland dabei außer Acht zu lassen. Ich habe mich immer dafür interessiert, wie die Menschen so viel von diesem Land besiedeln und insbesondere halten konnten. Doch ich wusste so gut wie nichts darüber, was hier passiert.
Über Nicolas Shavrey
Geboren und aufgewachsen in Frankreich. 1995 kam er nach Moskau. Hat sich mit verschiedenen Business-Projekten beschäftigt. 2000 gründete er Ascott Deco Rus, einen Hersteller von Klebstoff und Hilfsmitteln beim Ausbau und der Renovierung von Wohnungen. Die Produktion umfasst Kleister für Tapeten und Wandverkleidungen, Dichtmaterialien, Montagekleber („flüssige Nägel“), Montageschaum und anderes und wird unter den Marken Kleo, Kleo Pro und Kleo HD vertrieben. 2010 hat er zusammen mit einem Partner die Lebensmittelfirma Le Bon Gout gegründet.
- Welche Vorstellungen hatten Sie denn von hier?
- Fast gar keine. Es gingen viele Legenden herum. So sei es möglich gewesen, mit einem Koffer voller Jeans und Kosmetik nach Moskau zu reisen und damit reich zu werden. Es wurde auch gesagt, dass hier alles voll von Banditen sei. Ein Freund von mir hat ein halbes Jahr in Moskau verbracht. Er erzählte mir, dass diese Legenden mit der Realität nichts gemein hätten. Letzen Endes bin ich dann selbst für drei Monate nach Moskau gefahren. Und lebe nun hier bis heute.
- Ihre Eltern waren sicher schockiert...
- Ja. Anfangs haben sie meine Entscheidung nicht verstehen können. Doch nach und nach haben sie sich damit abgefunden und jetzt genießen sie es sehr, hier zu sein. Jedes Jahr verbringen sie etwa einen Monat in Russland und reisen umher. So waren sie zum Beispiel am Baikalsee und am Goldenen Ring.
Mit Mittelmäßigkeit wird man nicht viel verdienen
- Wussten Sie bereits, was Sie hier machen würden?
- Ich habe diese Frage lange mit meinem Freund diskutiert. Doch was können zwei junge Männer ohne Berufserfahrung ohne jedes Geld schon machen? Nur bei anderen Leuten vorstellig werden. Und damit haben wir uns dann beschäftigt. Wir richteten ein kleines Büro in einer Wohnung ein und begannen französische Firmen zu suchen, die sich für den russischen Markt interessierten. Wir setzten uns dann auch mit russischen Händlern in Verbindung. Selbst erhielten wir eine Provision.
- Wie stark wären solche Dienste heute gefragt?
- In Zeiten des Internet, ist als Intermediär zu fungieren schwierig. Doch auch damals war es fast unmöglich, mit dieser Tätigkeit Geld zu verdienen. Man erträgt Sie, solange Ihre Provision nicht zu hoch ist. Doch wenn der Umsatz wächst, versuchen Ihre Partner immer nachdrücklicher, Sie aus der Kette herauszubekommen. Ich habe einige Jahre als Intermediär gearbeitet. Wir haben viel mit Lacken und Farben zu tun gehabt und so den Markt sehr gut kennen gelernt. Doch dann brach 1998 die Krise aus. Der Rubel brach ein, und Importfarben wurden einfach zu teuer. Weder von Handel noch von Vermittlung konnte nun noch die Rede sein. Und mein Freund ich beschlossen, nun jeder seiner eigenen Wege zu gehen.
- Warum sind Sie nicht zurück nach Hause gegangen?
- Wozu? Hier eröffneten sich andere Möglichkeiten. Ich beschloss, die Branche zu wechseln. Nun, da der Rubel niedrig war, lohnte es sich andersherum russische Waren im Westen zu verkaufen. Ja, russische Produktionen, die in der Lage waren, mit der westlichen zu konkurrieren, gab es nur wenige. Doch es gab sie. Feuerwerksartikel zum Beispiel werden in Russland von sehr guter Qualität hergestellt. Klar, es stellte sich heraus, dass man eine Unmenge an Genehmigungen brauchte, um russisches Feuerwerk nach Europa zu importieren. Das ist fast wie beim Export von Waffen. Danach beschloss ich, schwarzen Kaviar nach Frankreich zu liefern. Als ich mich mit diesem Thema beschäftigte, stellt sich jedoch heraus, dass es in Frankreich eine Vereinigung der Kaviarimporteure gab, von der ich zuerst eine Genehmigung brauchte. Das hieß, ich musste bei meinen Konkurrenten selbst um Erlaubnis fragen, ob ich dieses Geschäft betreiben durfte.
In Zeiten des Internet, ist als Intermediär zu fungieren schwierig.
Jetzt, nebenbei gesagt, produziert Frankreich selbst Kaviar, doch er ist nicht der schmackhafteste. Gut lief der Export von synthetischen Diamanten, Pasten und Pulver für abrasive Werkzeuge. In Russland weiß man diese herzustellen, und ich trieb fast zwei Jahre Handel damit. Danach reichte es mir einfach. Es solches Business ist sehr mit technischen Details verbunden. Die ständigen Gespräche mit den Ingenieuren... Zudem gibt es in Russland einen anderen Standard für Diamantpulver als in Europa. Doch als ich die russischen Ingenieure fragte, ob Sie Ihr Produkt nicht nach europäischem Standard herstellen könnten (was, wie ich betonen möchte, so gut wie keine Änderung für die Kosten und im Produktionsprozess bedeutet hätte), haben sie sofort den Abgabepreis erhöht. „Oh, wir wissen, dass Sie die im Ausland verkaufen werden.“ An wen, wussten sie nicht. Man muss den potenziellen Kunden locken, am besten mit einem attraktiven Preis. Das aber hatten hier noch nicht alle verstanden. Im Großen und Ganzen verstand ich aber, dass es das beste war, in die Branche zurückzukehren, in der ich mich am besten auskannte. Doch der Farbenmarkt war schon sehr eng besetzt. Deshalb beschloss ich, mich mit dem Nächstgelegenen zu beschäftigen: Tapetenkleister. Ich habe mir die Marke Kleo ausgedacht und mich für den Umsatz in ganz Russland gerüstet.
Svetlana Prjachina, Managing Director von „Progress-D“:
— In der Region der Hauptstadt ist, insbesondere nachdem die Entscheidung über die territoriale Erweiterung Moskaus um einen großen Teil des Moskauer Gebietes gefällt war, ein wahrer Bau-Boom im Bereich des Individualbaus zu beobachten. Ebenso wächst die Nachfrage nach Bau- und Renovationsmaterialien ständig. Was Klebstoffe angeht, darunter auch solchen für Tapeten, ist der Konzern Henkel mit seiner Marke „Moment“ Marktführer.
Doch genießt in der Nische für Tapetenkleister und andere Materialien für Ausbauarbeiten auch die Marke „Kleo“ einen hohen Bekanntheitsgrad. „Progress-D“ ist ein Einzelhandelsnetz, das in der Hauptstadtregion tätig ist. Wir wissen, dass der russische Kunde anspruchsvoll ist, auch was Ausbaumaterialien angeht, und sich in keiner Weise vom westlichen unterscheidet. Ein Produkt, dass seine Erwartungen nicht erfüllt, wird nicht gekauft. Wir erwarten und bemerken bereits ein signifikantes Wachstum im Markt für Ausbaumaterialien, auf dem auch für neue Hersteller und Retailer noch Platz ist.
Man braucht nicht viel Geld für ein Start-up
- Sie begannen mit der Produktion und dem Vertrieb von Kleister?
- Ja.
- Das heißt, sie hatten ein signifikantes Starkapital, das es Ihnen erlaubte, die Produktion zu beginnen?
- Gar nicht. Ich hatte mein Geld aus den vorausgegangenen Projekten, was aber nicht viel war. Wissen Sie, für den Beginn eines Business braucht man gar nicht so viel Geld. Ich habe in Europa Unternehmen aufgetan, die Klebstoff herstellen konnten, und habe bei Ihnen unter meiner Marke produzieren lassen. Meine Partner saßen in Frankreich, Deutschland und Polen. Heute haben wir unsere eigene Produktion.
Der Farbenmarkt war schon sehr eng besetzt. Deshalb beschloss ich, mich mit dem Nächstgelegenen zu beschäftigen: Tapetenkleister.
- Warum der Name Kleo?
- Es klingt gut, ausländisch irgendwie, und damals war das wichtig. Und es wird mit dem russischen Wort für Klebstoff, klej, assoziiert, als wäre es eine Abkürzung aus KLEj und Oboi, dem russischen Wort für Tapeten.
- Das heißt, die Muse Klio hat hier Ihre Finger nicht mit im Spiel gehabt. Und hat alles gut geklappt?
- Sicher gab es Schwierigkeiten. Insbesondere beim Wachstum. In Russland läuft das so: Riesige Importfirmen führen die Waren ein, Großhändler verkaufen sie dann weiter an die großen regionalen Einzelhändler. Wir haben versucht, mit diesen regionalen Distributoren zusammenzuarbeiten und haben ihnen unser Produkt angeboten... Doch die zeigten keinerlei Interesse. Dann haben wir uns direkt an die Geschäfte gewendet, das heißt wir übernahmen direkt die Aufgabe der Distributoren. So etwas hatte es davor noch nicht gegeben, dass ein Importeur und Produzent in einer Person seine Waren direkt dem Einzelhandel anbot. Aber es lief. Und innerhalb von zwei Jahren eröffneten wir Filialen in sieben Regionen und dann noch mehr. Innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit gelang es uns, einen ziemlichen Großen Marktanteil zu bekommen.
- Sind Sie mit der Kriminalität in Berührung gekommen? Man spricht doch in Russland von Mafia und Korruption...
- Nein, das ist an mir vorübergegangen. Und ich habe von keinem meiner Freunde gehört, dass er Probleme gehabt hätte. Mir haben meine russischen Freunde immer gesagt: „Wenn Dir jemand Schutz (hier heißt das: Kryshu, ein Dach) anbietet - mach’s nicht.“ Das war mal Anfang der 90er so, aber jetzt nicht mehr. Korruption beginnt dort, wo wir selbst etwas überschreiten. Und ich habe für mich beschlossen, dass bei mir alles, wie man sagt, „im Weißen“ sein soll. Das Höchstmaß an Korruption, das ich zulasse, ist eine Tafel Schokolade für die Sekretärin.
So etwas hatte es davor noch nicht gegeben, dass ein Importeur und Produzent in einer Person seine Waren direkt dem Einzelhandel anbot.
- Es herrscht die verbreitete Meinung, dass man, wenn man „weiß“ arbeitet, schlichtweg nichts verdienen kann...
- Es ist nicht leicht, aber möglich, Geld zu verdienen. Am schwierigsten ist das für die kleinen Unternehmen. Eine große Unternehmung kann auf Basis großer Umsätze konkurrieren. Doch für ein kleines Unternehmen ist es schwierig, die Preise klein zu halten und zur gleichen Zeit aber auch Steuern und Sozialabgaben zu zahlen. In den letzten fünf Jahren aber ist der Großteil der Firmen „aus dem Schatten“ getreten, zumindest der Firmen in den Bereichen Handel und Bankwesen. Dort überwachen die Kontrollorgane alles. Und wenn man im Schatten arbeitet, kann man nicht mit ihnen kooperieren.
Ein Büro findet sich leicht. Schwieriger ist die Nische.
- Außer für den Klebstoff- haben Sie sich auch für den Fleischmarkt entschieden. Warum?
- Ich habe bemerkt, dass es auf dem russischen Lebensmittelmarkt viele Fakes gibt. Nicht in dem Sinne, dass unter einer fremden Marke produziert wird. Vielmehr in Bezug darauf, woraus das Essen gemacht wird. Deshalb haben wir uns entschlossen, einen Supermarkt im Internet zu schaffen mit echtem Essen und Lebensmitteln, die nicht aus, sagen wir, der High-Tech-Produktion stammen. Wir begannen damit, Produkte zu verkaufen, die nach Rezepten von in Russland lebenden Franzosen hergestellt wurden. Diese Nische war komplett frei. Dann erweiterten wir unser Sortiment um Würstchen, Bratwürste und so weiter. Heute haben wir viele russische Kunden. Doch unsere Firmenphilosophie ist dieselbe: Wir bieten nur echte Produkte aus Fleisch und Gewürzen an. Die Produktion findet hier in Moskau statt.
Najla Mandshijeva, Senior Consultant bei „Tschaika-Audit“:
— Der russische Markt für Ausbaumaterialien wächst, insbesondere in der Hauptstadtregion, was ihn attraktiv macht für neue Player, auch für ausländische. Auch wenn der Markt aus Herstellersicht bereits weitgehend aufgeteilt ist und ein recht harter Wettbewerb herrscht, ist ein Eintritt oder auch die Schaffung neuer (sowohl russischer als auch ausländischer) Marken in diesem Segment nicht ausgeschlossen, wenn auch der Start eines Business im Bereich Vertrieb von Ausbaumaterialen aussichtsreicher scheint. Für die Eröffnung eines entsprechenden Geschäftes (oder, perspektivisch, einer Kette) fallen Kosten für Miete und Gerät an (1 Mio. Rubel aufwärts), zudem Löhne (1,3 Mio. Rubel aufwärts) und Kosten für Werbung (1 Mio. Rubel aufwärts). Es versteht sich, dass auch der Aufbau von Lieferantenbeziehungen und der Logistik notwendig sind. Gesamtbedarf also: 3,5 Mio. Rubel aufwärts. Bei der Auswahl des Investitionsobjektes muss man eine Strategie bezüglich seiner Konkurrenten haben, da der Markt voll ist von großen Playern (wie Leroy Merlin). Für den Kunden ist es am angenehmsten, in ein großes Geschäft zu gehen, und alles an einem Ort zu kaufen, wenn auch einige den traditionellen Markt bevorzugen (in der Regel Menschen mit unterdurchschnittlichem Vermögen).
Die richtige Auswahl von Nische und Produkt sind Hauptaufgabe und Unterpfand eines erfolgreichen Business!
- Die Lebensmittelindustrie unterliegt genauen staatlichen Kontrollen. Hatten Sie da irgendwelche Schwierigkeiten?
- Ja. In dieser Industrie ist es schwierig, die Freigabe eines Projektes zu bekommen. Immer ist irgendein Schrank nicht da, wo er zu stehen hat. Da gibt es Firmen, die ein Projekt unter Verschluss erarbeiten und garantieren, dass alle notwendigen Genehmigungen eingeholt werden. Wie die das hinbekommen, weiß ich nicht. Mein Erfolg ist gänzlich via Projekte geschafft.
- Welche Qualifikationen haben Ihre russischen Spezialisten?
- Als ich anfing, gab es noch nicht genug ausgebildete Manager. Ein Marketing Director, der zumindest irgendwas von Marketing verstand, war einfach nicht zu finden. Heute sind die Probleme bezüglich marktkundigen und anderen Spezialisten gelöst. Auf dem Markt gibt es eine Vielzahl von Spezialisten, die im Ausland gearbeitet oder studiert haben. Und auch die russischen Lehranstalten bringen konkurrenzfähigere Eliten hervor. Ein Defizit von gut ausgebildeten Spezialisten besteht in den Bereichen Internet und Web Technology, einfach weil sich dieser Bereich sehr stark entwickelt und verändert. Wir haben ein Team, das seinen Platz schätzt. Dabei zahlen wir ihnen gar nicht so viel, eben so viel, wie es uns unsere finanzielle Situation erlaubt.
- Was würden Sie einem Ausländer raten, der in Moskau ein Business eröffnen möchte? Ihre Firma ist Mitglied in der Französisch-russischen Industrie- und Handelskammer. Wie unterstützen Sie Neueinsteiger auf dem Markt? Helfen Sie beim Anmieten der Büros oder beim Finden von Personal?
- Ja, die Kammer kann bei vielem helfen. Doch, wissen Sie, in Moskau ein Büro zu mieten, ist so ziemlich das Einfachste, es gibt Räume wohin man tritt. Früher gab es Schwierigkeiten bei den Räumlichkeiten, wohingegen es leicht war, eine freie Nische für sein Business zu finden. Heute ist es andersherum schwerer, seine Nische zu finden als sein Büro.
Früher gab es Schwierigkeiten bei den Räumlichkeiten, wohingegen es leicht war, eine freie Nische für sein Business zu finden. Heute ist es andersherum.
- Welche Business-Richtungen sind aus Ihrer Sicht die aussichtsreichsten?
- Ich glaube, es gibt noch viel Platz auf den Märkten für Design, Dekor und Interieur. Es gibt auch andere Nischen, wo man individuelle und einzigartige Produkte und Lösungen anbieten kann. Man muss für sich auch nicht unbedingt eine neue Nische finden. Man kann auch auf einen sich langsam füllenden Markt treten. Man muss sich nur anstrengen, der beste von allen zu werden. Insgesamt sollte man sich nur hinter eine Sache stellen, die einem selbst gefällt. Wenn Sie in Ihrer Sache ein Enthusiast sind, so werden Sie noch weitere Enthusiasten finden. Und da ist es nicht wichtig, ob eine Nische eventuell schon besetzt sind. Wenn man seine Sache gut und mit Herz macht, wird man immer seine Kunden haben.