– Aus welchem Grund haben Sie sich entschieden, in Russland zu investieren? Hatten Sie dabei keine Zweifel? Immerhin glaubt man im Westen, dass es ziemlich schwierig ist, hier sein Business zu etablieren.
– Ja, ich gebe zu, dass es nicht ganz einfach ist, ein Business in Russland zu haben. Die russische Business-Atmosphäre ist schwierig, und die Russen haben ihre eigene Mentalität, die für die westlichen Unternehmer nicht immer leicht nachvollziehbar ist. Doch wir haben uns getraut und sind dann doch nach Russland gekommen. Zum einen fanden wir es sehr spannend, einen Markt mit solch riesigem Potential zu erschließen, vor allem was den E-Commerce-Bereich betrifft. Zum anderen fanden wir hier Geschäftspartner, denen wir voll und ganz vertrauen konnten.
– Sie haben bereits die Besonderheiten in der Mentalität der Russen angesprochen. Wie zeigen sich diese konkret?
– Russland hat innerhalb kürzester Zeit globale Umwälzungen erfahren müssen, es entwickelte sich von einem vollkommen verschlossenen Staat zu einem maximal offenem. Die russischen Unternehmer streben in ihren Wirtschaftsbereichen Monopolstellungen an, welche sie zum Teil äußerst aggressiv verteidigen, um keinen mehr hineinzulassen und so Konkurrenz zu verhindern. Doch im Internet-Bereich geht so etwas nicht, hier läuft alles auf eine andere Art und Weise ab. Im Internet trifft man vor allem auf junge, offene und kommunikative Unternehmer. Sie kennen sich sowohl mit den Realien des heutigen Lebens in Russland als auch mit der westlichen Mentalität gut aus. Daher ist es einfach, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Das Unternehmen Serendipity Investments wurde 2007 in Paris gegründet. Heute hat sich das Unternehmen auf Anfangsstadien von verschiedenen Start-up-Projekten spezialisiert. Bis heute hat Serendipity Investments bereits in mehr als 100 Start-ups investiert und hat einen Capital Turnover von 200%. Luis Garay wurde in Madrid geboren und lebt heute in London. Er hat einen MIT-Abschluss mit Ausrichtung Maschinenbau und Business. Er arbeitete eine Zeit lang für die Citigroup in London und war im Bereich Investmentbanking tätig. Zurzeit ist er für Serendipity Investments als leitender Analytiker tätig. Im Rahmen seiner Tätigkeit setzt er sich mit verschiedenen neuen globalen Investitionsmöglichkeiten auseinander.
– Welcher Business-Bereich hat heute Ihrer Meinung nach die meisten Erfolgschancen in Russland?
– Der russische Markt ist sehr groß, und es gibt darin sehr viele erfolgreiche Bereiche. Wenn ich die Projektvarianten analysiere, die man hier realisieren könnte, komme ich auf eine ziemlich große Zahl. Daher ist es sehr schwer, irgendeinen einzelnen konkreten Bereich zu nennen. Die Start-ups in Russland können verschiedene Businessrichtungen haben, und diese müssen nicht unbedingt davor im Westen auf ihre Tauglichkeit getestet sein. Es können auch ganz spezifische, innovative Business-Modelle sein, die exakt den Bedürfnissen russischer Verbraucher entsprechen. Doch unsere Philosophie lautet, nur solche Business-Modelle anzuwenden, die bereits im Westen erfolgreich erprobt wurden. Wenn es um ein Start-up-Projekt außerhalb der USA geht, nehmen wir nur die üblichen Marktrisiken auf uns und vermeiden alle Risiken, die mit der Wahl eines Business-Modells zusammenhängen.
– Wie werden Sie von den Start-up-Unternehmern überhaupt ausfindig gemacht? Und wie kam das Start-up aus Novosibirsk Martmania.ru auf Sie?
– Die Arbeit mit Menschen, menschliche Beziehungen und das gegenseitige Vertrauen sind das A und O in unserem Business. Deswegen bekommt ein Investor sehr schnell viele Kontakte, von welchen viele aus bereits abgeschlossenen Projekten stammen. Durch die Kontakte, die wir in den vergangenen Projekten geknüpft haben (zum Beispiel Wikimart), kamen wir auf einige herausragende Unternehmer unserer Zeit. Jose Marin und Fabrice Grinda, mit denen wir zusammenarbeiten, kennen Andrej Kessel von TexDrive bereits ziemlich lange. Er unterstützte uns bei dem Projekt Martmania.ru: Wie haben vor einiger Zeit über die Businessentwicklung in Russland diskutiert und haben beschlossen, ein Start-up in Sibirien finanziell zu unterstützen. Andrej kannte bereits einen passenden Kandidaten, mit welchem er uns dann bekannt machte. Wir haben uns über das potentielle Projekt mit Ewgenij Iwanow unterhalten und beschlossen, in dieses Projekt zu investieren.
– Welche Bedingungen muss ein Start-up erfüllen, um erfolgreich zu werden?
– Zum einen ist das Team sehr wichtig. Ewgenij hat es geschafft, ein sehr starkes und hoch qualifiziertes Team um sich zu scharen. Es ist nicht besonders verwunderlich, da Novosibirsk für seine Universität und seine hochqualitative Bildungslandschaft allgemein bekannt ist. Zum anderen birgt ein neuer Markt immer Schwierigkeiten in sich, welche berücksichtigt werden müssen. Auch das angebotene Produkt sollte für den Markt und für die Verbraucher interessant sein, sonst hat es einfach keine Zukunft. Zudem sollte die Größe des Unternehmens den Marktanforderungen entsprechen: Das Unternehmen sollte nicht zu klein und nicht zu groß sein. Im Falle von „Martmania“ wurden alle diese Bedingungen erfüllt.
– Martmania ist nicht Ihr einziges Projekt in Russland. Lässt sich eine bestimmte Spezifik der Unternehmensführung in den russischen Regionen beobachten?
– Wir haben einige Unternehmen in Moskau, in Novosibirsk und in Sankt Petersburg. Sankt Petersburg ist im Stil seiner Unternehmen gut mit Moskau vergleichbar. Marina Kolesnik, unsere Geschäftspartnerin sowie Gründerin und CEO von Oktogo.ru, bekam eine exzellente Ausbildung in Harvard und arbeitete eine Zeit lang für McKinsey. Sie hat erstklassige Erfahrungen und eine westlich orientierte Mentalität vorzuweisen. Es fällt daher leicht, mit ihr zusammenzuarbeiten. Und obwohl Ewgenij nicht auf einen solchen westlich gerichteten Erfahrungsschatz blicken kann, hat er sich gut an unsere Arbeitsweise angepasst und einen großen Sprung im Rahmen der Beziehungspflege mit den Investoren gemacht. Er ist sehr offen und wissbegierig, daher gestaltet sich unsere Zusammenarbeit sehr produktiv.
– Wie kommunizieren Sie mit Ihren russischen Geschäftspartnern üblicherweise? Per Skype?
– Ganz unterschiedlich. Unsere Kommunikation hängt von den laufenden Businessbedürfnissen ab. Wir kontrollieren nicht das operative Handeln der Unternehmen, sondern reagieren auf ihre konkreten Probleme und Anfragen. Wenn sie irgendwelche Fragen haben, sind wir bereit, diese jederzeit zu klären. Mit Ewgenij treffen wir uns persönlich, tauschen E-Mails aus und kommunizieren per Skype oder Telefon.
– Martmania.ru ist ein ziemlich ungewöhnliches Business-Projekt. Was hat Sie daran interessiert?
– Wir fanden Ewgenij sehr sympathisch, und unsere Geschäftsbeziehung verläuft sehr gut. Er hat die Handelsoberfläche entwickelt, und diese fanden wir sehr gut. Außerdem wurde er uns von Andrej Kassel empfohlen, auf den wir uns verlassen können. Zudem stand Andrej Ewgenij als Berater bei den Fragen der Zusammenarbeit mit westlichen Investoren und in manchen anderen Details zur Seite. Das Projekt fanden wir auch im Hinblick auf das Nachfrage-Angebot-Verhältnis sehr interessant. In unserer Wahl haben wir uns nicht getäuscht.
– Wann rechnen Sie mit einer Amortisation des Investments?
– Wenn Sie einen gut entwickelten Markt betreten, kommen Ihre Investitionen in der Regel auch schneller zurück. Bei solchen Entwicklungsmärkten wie dem russischen dauert es länger, und ein Investor sollte sich schon einmal in Geduld üben. In der Regel dauert es zwischen fünf und zehn Jahren. Im Fall Martmania.ru lässt sich ein kontinuierliches Gewinnwachstum beobachten.
– Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie bei Ihrer Businessführung in Russland zu kämpfen?
– In erster Linie fällt mir der hohe Bürokratie-Aufwand ein, der allen täglich das Leben schwer macht. Im Westen kennt man so etwas nicht. Im Bereich des E-Commerce spielten die Online-Zahlungen eine große Rolle. Und hier ist die Situation mehr oder minder entspannt. Im Online-Bereich existieren verschiedene Zahlungssysteme, zum Beispiel auch solche wie Qiwi. Allerdings lässt der Entwicklungsstand der Logistik und der Paketlieferung in Russland immer noch zu wünschen übrig. Dieser Wirtschaftsbereich befindet sich meiner Meinung nach immer noch im Embryonenzustand. In Moskau und in Sankt Petersburg gibt es zwar bereits solche Service-Angebote, doch sie sind nicht ganz so zuverlässig wie im Westen. Unser Business basiert auf einem Handel, wobei die Waren an den Verbraucher gehen sollen. Daher hängt in unserem Bereich alles von den bestehenden Logistik-Verhältnissen ab. Wir müssen die zusätzlichen Aufwendungen für die Gewährleistung der Sicherheit unserer Dienstleitungen in unserem Kostenplan mitberücksichtigen. Der russische Markt ist auf solche Investitionen dringend angewiesen; andere Märkte, wo solche Services besser funktionieren, brauchen so etwas nicht unbedingt. Es bestehen auch einige Probleme mit dem Währungswechsel und mit den Geldüberweisungen. Ich habe eine ganze Liste zur Lösung solcher Problemfälle zusammengestellt, doch sie würde den Rahmen unseres heutigen Gesprächs sprengen.
– Und wie sieht es mit den Investitionen in andere russische Projekte aus? Welche Projekte fänden Sie da interessant?
– Natürlich verfolgen wir die Entwicklung des russischen Marktes seht intensiv. Jedes Projekt sollte Geld bringen, man darf sich keine Fehler bei der Wahl einer Strategie für die Businessentwicklung leisten. Wir bevorzugen daher, wie bereits erwähnt, solche Business-Modelle, die ihr Erfolgspotenzial bereits im Westen bewiesen haben. Der größte Teil der Projekte, in welche wir außerhalb der USA investieren, fallen in diese Kategorie. Am häufigsten geht es dabei um den Bereich des E-Commerce, denn das ist unsere Spezialität.
Man sollte seine Geschäftspartner sowie sein Investitions- und Businessumfeld sehr gut kennen.
– Was würden Sie ausländischen Investoren raten, die den russischen Markt erobern möchten?
– Als erstes sollte man nach zuverlässigen Geschäftspartnern suchen. Man sollte seine Geschäftspartner sowie sein Investitions- und Businessumfeld sehr gut kennen. Man sollte sich mit den Besonderheiten der russischen Mentalität auskennen und die Unterschiede zwischen dem russischen und dem westlichen Businessstil kennen: Die Russen denken und betreiben ihre Business-Projekte anders als die westlichen Unternehmer. Um wirklich zu verstehen, wie der russische Markt funktioniert, sollte man sich in ihn vollkommen hineinversetzen und ihn von innen heraus zu verstehen versuchen. Das Business in Russland ist nichts für Investoren, die auf das schnelle Geld aus sind. Andererseits bietet der russische Markt auch eine Vielzahl von unerschlossenen Terrains. Man darf vor ihm keine Angst haben, sondern schnell handeln, bevor es die Anderen tun.