Laufen auf der Stelle
Laut Marketingforschungen ist das Angebot auf dem Moskauer Dienstleistungsmarkt im Vergleich zu den westlichen Märkten noch ziemlich begrenzt. Zu den Hauptgründen gehören hierbei die Unterentwicklung der entsprechenden Business-Richtungen, eine unzureichende Anzahl von russischen Unternehmern sowie die spezifische sozial-demografische Nachfragestruktur in der russischen Hauptstadt.
Laut Wirtschaftsstatistik betragen die Verbraucherausgaben der Moskauer bis zu vier Bil. Rubel im Jahr (ca. 120 Mrd. US Dollar). Die Verbraucherausgaben der Moskauer für Marktleistungen liegen bei 31%, was nur die Hälfte der äquivalenten Verbraucherausgaben in den Industrieländern ausmacht. Im Jahre 2000 sah das Gesamtbild noch schlimmer aus: Die Moskauer gaben nur 17% von ihrem Verbrauchsbudget für Dienstleistungen aus. Der heutige Ausgabenstatus wurde aber im Jahre 2005 erreicht. Seitdem veränderte sich dieses Bild nur minimal.
Die Verbraucherausgaben der Moskauer für Marktleistungen liegen bei 31%, was nur die Hälfte der äquivalenten Verbraucherausgaben in den Industrieländern ausmacht.
Man beobachtet einen Zustand echter Stagnation. Die Wirtschaftskrise von 2008 spielte dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Doch das Problem liegt sowohl im Fehlen einer stabilen Tradition der Dienstleistungsnutzung, die sich im Westen längst etabliert hat, als auch in der Spezifik der russischen Verbraucherkultur. Diese Situation ändert sich nur ziemlich langsam, weil auf dem Markt kommerziell attraktive Angebote fehlen, die eine Nachfragesteigerung stimulieren könnten. Solche Angebote wären vonseiten der westlichen Unternehmer gut möglich; sie liegen dabei im Vergleich zu ihren russischen Konkurrenten klar im Vorteil, schon weil sie in einer fortschrittlichen Business-Umgebung aufgewachsen sind.
Die Falle Moskauer Mittelschicht
Die Haupttendenz der letzten Jahre in Moskau ist die Formierung der sogenannten Mittelschicht. Diese Schicht ist durch ein bestimmtes Einkommensniveau gekennzeichnet. Die Einkommen sind faktisch gestiegen. Daher vermutete man, dass dieses automatisch zur Steigerung der Nachfrage nach qualitativen Dienstleistungen im Rahmen der gesamten Wirtschaft der russischen Hauptstadt führen würde. Doch in der Realität wurden solche Erwartungen nur teilweise erfüllt.
Die Mittelschicht bildete sich in Moskau also zwar heraus, doch dies führte nicht zu einer explosionsartigen Steigerung der Nachfrage nach Qualitätsdienstleistungen wie im Westen. Der Hauptgrund hierfür ist die Nichtberücksichtigung anderer relevanter Faktoren bei der Vorhersage. Solche Faktoren, die den Charakter der Nachfrage nach Dienstleistungen bestimmen, sind hier primär von Bedeutung. Die Nachfrage wird ja nicht nur durch das Einkommensniveau, sondern auch durch die soziale Funktionalität der Dienstleistungen und somit auch durch die Verbraucherkultur bestimmt. Und diese Kultur unterscheidet sich sogar in der russischen Hauptstadt (ganz zu schweigen von den russischen Regionen) ganz stark von der westlichen.
Und Moskau hat außerdem seine ganz eigene Spezifik. Die neue Moskauer Mittelschicht bildete sich aus den Vertretern der sogenannten „new economy“ heraus. Seine Hauptvertreter sind Teilnehmer im Handel (Verkäufer und Sales Manager), Immobilienmakler, Security-Personal, Fahrer und andere Dienstleister im Moskauer „Big Business“ und von reichen Kunden. Diese Dienstleister verdienen im Vergleich zu anderen Kategorien zahlungsfähiger Einwohner Russlands deutlich mehr.
Den Charakter der Moskauer Nachfrage nach Dienstleistungen bestimmt auch der Faktor „Gender“. In den grundlegenden sozial-aktiven Gruppen der Moskauer Bevölkerung, bei denen man die Nachfrager nach Dienstleistungen in erster Linie auf dem Markt trifft, dominieren die Männer. Dies hat mit der Lebens- und Beschäftigungsstruktur in der russischen Hauptstadt zu tun.
Sergej Kapkow, Leiter des Moskauer Departments für Kultur, beschrieb mit Verweis auf die durchgeführten soziologischen Untersuchungen in einem Interview der russischen Zeitung „Kommersant“ im Dezember 2012 die „Kulturmatrix“ des typischen Moskauer Verbrauchers: Die wichtigsten Formen der Freizeitgestaltung der Moskauer Mittelschicht sind Banjas, Shisha- und Karaoke-Bars.
Was sind Shisha-Bars?
Shisha-Bars (russ.: Kalljanye) sind Räumlichkeiten, in welchen Shisha (Wasserpfeife) – einem Gerät, das den Tabakrauch filtert und in Wasser kühlt – geraucht wird. Diese Wasserpfeifenart wurde in Indien erfunden, aber die stärkste Verbreitung hat sie im arabischen Orient erfahren. In den Moskauer Restaurants, oft auch mit europäischer Küche, werden den Gästen häufig Shishas angeboten, welche direkt auf den Tisch gestellt werden.
Die „Banja“ als eine Form der Freizeitgestaltung ist aber auch ziemlich speziell. Die Moskauer Banjas und Banjas im näheren Umland sind keine einfachen Spa-Bereiche wie im Westen, sondern Spa-Zonen mit einem Restaurant; nach einem Banja-Besuch wird in der Regel kräftig gegessen.
Im Rahmen einer soziologischen Befragung zu ihrem Kulturleben behaupteten fast zwei Drittel der Moskauer Bevölkerung, dass sie sich stark für Kultur interessieren würden. Dabei waren 40% von ihnen noch nie in einem Theater und mehr als die Hälfte noch nie in einem Museum gewesen. Diese „Kulturmatrix“ erklärt auch die bestehende Stagnation auf dem Dienstleistungsmarkt: Qualitative Dienstleistungen nach dem westlichen Muster sind nicht gefragt und fehlen deshalb auf der Prioritätenliste bei vielen gut verdienenden Moskauern.
Der Wachstumstreiber auf dem Moskauer Dienstleistungsmarkt ist der Gastronomie-Sektor. Soziologische Untersuchungen der Moskauer Haushalte zeigten, dass sich der Kostenanteil für das „Essen daheim“ zwischen 2000 und 2012 halbiert hat (von 40% auf 20%). Die Ausgaben im Bereich Gastronomie sind dagegen in der gleichen Zeitperiode von 1% auf 5,5% des Familienbudgets gestiegen. Bei jeder Entwicklungstendenz bleibt der Gastronomie-Bereich der aussichtsreichste Sektor im Hinblick auf Investitionen und unternehmerische – auch ausländische – Initiativen. In Moskau gibt es praktisch gar keine gemütlichen Restaurants mit einer guten Küche und hochqualifizierten Mitarbeitern. Der größte Teil der Moskauer Gastronomie entfällt auf Ketten- und Franchise-Unternehmen
Wirtschaftlicher Umbau und die Aussichten des Dienstleistungssektors
Die Moskauer Behörden bezeichnen die bestehende Verbrauchermatrix als eine „Mutation“ und haben ernsthafte Absichten, diese Situation zu ändern. Allerdings ist die Situationsänderung nur möglich, wenn in Bezug auf den Arbeitsmarkt eine aktive Politik betrieben wird: Es sollten neue wirtschaftliche Bereiche entwickelt und das System der Arbeitsbezahlung in der Budgetierung verändert werden.
Die Kulturmatrix muss verändert werden. Wie? Mithilfe von ausländischen Kleinunternehmern und Trägern anderer Verbrauchskulturen. Diese sollten den Moskauer Markt mit kommerziellen Angeboten versorgen, die die Nachfrage stimulieren und die Entwicklung der Moskauer Verbraucherkultur in die richtige Richtung lenken.
Die Kulturmatrix muss geändert werden. Wie? Mithilfe von ausländischen Kleinunternehmern.
Der Moskauer Dienstleistungsmarkt steht an der Schwelle einer radikalen Restrukturierung. In Moskau breiten sich immer mehr neue und individuelle Dienstleistungsformen aus, die auf relativ kleine, aber loyale Verbrauchergruppen mit ähnlichen beruflichen und demografischen Faktoren ausgerichtet sind. Das Anforderungsniveau in Bezug auf die Qualität der angebotenen Dienstleistungen wird beträchtlich steigen und somit die Bedeutung der Kleinunternehmer für den Dienstleistungsmarkt stärken, denn nur ein Kleinunternehmer kann eine individuelle Kundenbehandlung bieten. Realisiert sich das beschriebene Szenario, kann man mit einem explosionsartigen Wachstumstempo der neuen Marktsektoren in der russischen Hauptstadt rechnen. Auf dem Markt eröffnet sich eine riesige Spielfläche für neue Player; westliche Unternehmer werden zu diesem Markt leicht Zugang finden, um ihre unstrittigen Wettbewerbsvorteile auszuschöpfen.