– Herr Somers, bereits seit 13 Jahren stehen Sie an der Spitze der Amerikanischen Handelskammer in Russland. Welche Ergebnisse konnten Sie innerhalb dieser Zeit erzielen?
Jedes Jahr wenden sich mehrere Chefs großer amerikanischer und europäischer Unternehmen an uns. Und alle wollen ein Business in Russland starten.
– Den größte Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich damit, mich mit dem russischen Staatsapparat auseinander zu setzen. Dabei geht es in erster Linie um die rechtliche Regelung einzelner Fragen, damit Russland für ausländische Investitionen noch attraktiver wird. Die größte Errungenschaft auf diesem Gebiet ist dabei der Beitritt Russlands zur WHO. Aber trotz dieser Tatsache muss die Auseinandersetzung mit den Ministerien und Behörden, die die Tätigkeit ausländischer Investoren in Russland regulieren, unbedingt fortgesetzt werden. Dabei muss ich anmerken, dass die russischen Behörden einer solchen Zusammenarbeit gegenüber ziemlich positiv eingestellt sind.
Unsere Errungenschaften kann ich dabei leider nicht in Geldmengen ausdrücken, weil unsere Finanzseite grundsätzlich geheim bleiben soll. Ich kann nur folgendes sagen: Jedes Jahr wenden sich an uns Hunderte von Chefs der großen amerikanischen und europäischen Unternehmen. Alle von ihnen wollen ein Business in Russland starten.
Der russische Markt ist einerseits sehr attraktiv und andererseits ziemlich kompliziert. Die Unternehmen, die vorhaben, hier ihre Businessprojekte zu verfolgen, wenden sich an uns, um besser verstehen zu können, mit welchen Schwierigkeiten und mit welchen Gewinnen sie hier zu rechnen haben. Heute gehören zur Vereinigung AmCham 650 große amerikanische und europäische Unternehmen.
Über die Amerikanische Handelskammer in Russland
Die Amerikanische Handelskammer in Russland (American Chamber of Commerce in Russia, AmCham) ist die größte Vereinigung der ausländischen Geschäftskreise in der Russischen Föderation. Sie wurde 1994 gegründet und hat Head-Offices in Moskau und in Sankt Petersburg. Sie ist eine Nicht-Regierungs- und Non-Profit-Gesellschaft, die die Interessen von 650 Unternehmen vertritt. Ihre Tätigkeit wird von den Beiträgen ihrer Mitglieder ermöglicht. Zu den Mitgliedern der Amerikanischen Handelskammer in Russland zählen alle größeren amerikanischen Gesellschaften, die in Russland tätig sind, sowie größere europäische und russischen Unternehmen, die auf den internationalen Märkten ihre Geschäfte abwickeln.
Die AmCham kümmert sich in erster Linie um die Entwicklung der Geschäftsbeziehungen auf regionaler Ebene. Um die wirtschaftlichen Projekte und die Investitionsmöglichkeiten der einzelnen Regionen besser kennenzulernen, werden von der Amerikanischen Handelskammer regelmäßige Handelsmissionen in diese Regionen unternommen und in Moskau Präsentationen bezüglich der Ergebnisse organisiert. Die AmCham lädt die wichtigsten Vertreter der lokalen Regierungen sowie die bedeutenden lokalen Geschäftsleute zur Mitwirkung an ihren regionalen Programmen ein.
Die AmCham hat 17 Komitees, die nach speziellen thematischen und Branchenmerkmalen aufgeschlüsselt sind. Bei den monatlichen Sitzungen dieser Komitees erfahren die Vertreter verschiedener Unternehmen die letzten Neuigkeiten aus ihren Businessbereichen. Die Komitees bereiten Datenanalysen vor und organisieren verschiedene Veranstaltungen, bei welchen konkrete und dringende Probleme der Unternehmensführung in Russland besprochen werden.
– Können Sie uns die erfolgreichsten Beispiele für ausländische Investitionen in die russische Wirtschaft nennen, die mit Ihrer Hilfe zustande kamen?
– In der Regel spielen sich solche Beispiele in den russischen Regionen ab. Wir organisieren Treffen zwischen den Präsidenten verschiedener Republiken sowie führenden Persönlichkeiten in den russischen Regionen und Gebieten und potentiellen Investoren. Es ist eine Art Briefing im Rahmen eines gegenseitigen Informationsaustauschs. So fand vor etwa einem Jahr ein Treffen zwischen Alexej Gordeew, dem Gouverneur des Oblasts Woronesch, und Vertretern von Nokia Siemens statt. Bereits nach ein paar Monaten war diese Firma in Woronesch präsent. Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Zusammenarbeit zwischen Anatolij Artamonow, dem Gouverneur des Kalugaer Gebiets, und dem Unternehmen General Electrics. Sie trafen sich ebenfalls dank unserer Hilfe, und innerhalb eines Jahres startete General Electrics mit seiner Produktion in Kaluga.
– Besteht die Rolle von AmCham also vor allem darin, den ausländischen Investoren diejenigen russischen Regionen zu präsentieren, die sich für sie besonders interessieren?
– Ja, das ist unser primäres Ziel. Wie Sie sehen können, wurde die Decke in meinem Büro aus Baustoffen der amerikanischen Firma Armstrong hergestellt. Noch vor einigen Jahren wurden diese Materialien nach Russland importiert. Doch eines Tages habe ich mich mit Rustam Minnichanow, dem Präsidenten von Tatarstan, getroffen und machte ihn mit dem Präsidenten von Armstrong bekannt. Und bald darauf öffnete ein Werk der Firma Armstrong in Elabuga seine Tore, einer Stadt in Tatarstan. Und Russland braucht übrigens nicht nur amerikanische Decken…
– Was hat sich nach dem Beitritt Russlands zur WHO verändert?
– Das ist erst ein Jahr her, aber in dieser Zeit wandten sich bereits zehn Unternehmen mit ihren Ideen einer Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen an uns, die sich früher einfach nicht getraut haben. Heute beeinflussen westliche Stereotype über Russland auch dank dem Beitritt Russlands zur WHO immer weniger die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen. Daher bin ich überzeugt, dass die Zahl der Unternehmen, die hierher mit ihren Investitionen kommen, in der Zukunft noch stärker wachsen wird.
Bereits heute merke ich ein immer stärker werdendes Interesse gegenüber Russland. Dafür sind zwei Faktoren verantwortlich. Der erste Faktor: Eine signifikante Erleichterung der Zusammenarbeit mit den russischen Behörden. Denn die russischen Behörden haben sich im Vergleich zu vor fünf oder zehn Jahren geöffnet. Sie verstehen den Standpunkt der Investoren und wissen Bescheid, was diese für eine effektive Arbeit brauchen. Auch die russischen Regionen stehen einer Zusammenarbeit mit den Investoren offen gegenüber und sind bereit, einen konstruktiven Dialog zu führen.
Heute beeinflussen westliche Stereotype über Russland, auch dank dem Beitritt Russlands zur WHO, immer weniger die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen.
Und der zweite Faktor, der das Wachsen des Interesses an Russland vonseiten der amerikanischen Unternehmen beeinflusst, bezieht sich auf die allgemeinen Tendenzen der Weltwirtschaft. Insgesamt steht hier Russland in einem ziemlich guten Licht da, denn hier lassen sich gute Gewinne erzielen. Dagegen stecken die europäische und die amerikanische Wirtschaft in einer Krise, und allzu große Gewinne kann man da nicht erwarten. In Russland sind die Gewinnchancen einfach höher, und die russischen Staatsschulden sind vergleichsweise gering. Das Wachstum des russischen BIP ist mitunter höher als bei vielen anderen europäischen Ländern. Keine andere Region der Welt, Asien und Pazifik ausgenommen, bietet für amerikanische Unternehmen eine solche Wachstums- und Gewinnmöglichkeit wie Russland.
– Und trotz dieser Tatsache fürchten sich viele Investoren noch immer davor, mit Russland Geschäfte zu machen. Woran liegt das?
– Hier handelt es sich um eine Mischung aus einem psychologischen Aspekt und der realen Ungewissheit, die in Russland herrscht. Der psychologische Aspekt besteht darin, dass sich viele noch an die Zeiten des Bestehens der UdSSR erinnern können, als Russen und Amerikaner noch ideologische Feinde waren. Und diese Erinnerung beeinflusst immer noch die Entscheidung, mit Russland Geschäfte zu machen. Denn einige glauben immer noch, dass Russland ein „Imperium des Bösen“ ist, wo es sehr schwer ist, ein Businessprojekt zu managen. Wenn wir aber auf die echten Schwierigkeiten zu sprechen kommen, dann sind das in erster Linie die Unzulänglichkeiten des russischen Rechtssystems. Es gibt einen bedeutenden Fortschritt, aber das Niveau des Rechtssystems entspricht noch nicht den Erwartungen westlicher Unternehmer. Für sie sind das gesetzgebende System und das Rechtssystem ein fester Bestandteil ihrer Business-Mentalität. Sie zweifeln jedoch daran, dass das russische Rechtssystem und die russischen Gerichte bei einem Notfall bestimmte Konflikte mit den staatlichen Behörden oder zwischen Unternehmen lösen werden können. Diese Bedenken halten sie vom Handel mit Russland zurück.
Es gibt bedeutende Fortschritte, aber das Niveau des Rechtssystems entspricht noch nicht den Erwartungen westlicher Unternehmer.
– Und gibt es auch Beispiele, wo russische Gerichte die Interessen der westlichen Investoren erfolgreich verteidigt haben?
– Noch vor 13 Jahren, als ich zum ersten Mal nach Russland kam, war es für westliche Unternehmen unmöglich, Gerichtsverfahren, die etwas mit Besteuerungsfragen zu tun hatten, zu gewinnen. Denn das russische Steuersystem war damals noch ziemlich mangelhaft. Seitdem hat man auf diesem Gebiet grundlegende Reformen durchgeführt. Auch das Rechtssystem wurde viel transparenter und die Richter ehrlicher. Dieser Bereich ist heute fast korruptionsfrei. Die westlichen Unternehmen gewinnen zwischen 85% und 90% aller Gerichtsverfahren, die etwas mit Steuern zu tun haben.
Die westlichen Unternehmen gewinnen zwischen 85% und 90% aller Gerichtsverfahren, die etwas mit Steuern zu tun haben.
Doch noch ein anderes Problem hängt mit der allgemeinen Unzulänglichkeit des russischen Rechtssystems zusammen. Denn wenn die westlichen Unternehmen ein Gerichtsverfahren gewinnen und ihren Schadensersatzforderungen stattgegeben wird, bedeutet das nicht automatisch, dass sie sofort ihr Geld bekommen. Die Tätigkeit der Gerichtsdiener in Russland weist noch erhebliche Mängel auf. Das Hauptproblem dabei ist das regelmäßige Nicht-Erfüllen gerichtlicher Forderungen.
– Viele glauben, dass der sogenannte „Snowden-Faktor“ die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und den USA erheblich stören könnte. Was meinen Sie hinsichtlich dieses Problems? Und wie wirken sich bestimmte politische Ereignisse auf die Tätigkeit amerikanischer Unternehmer insgesamt aus?
– Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Aber ich glaube, dass der „Snowden-Faktor“ eher einen Einfluss auf bestimmte geopolitische Prozesse haben wird. In Bezug auf Business merke ich zurzeit noch keine Veränderungen. Natürlich achten die Unternehmen auf politische Tendenzen im Allgemeinen und verfolgen sehr aufmerksam im Speziellen, was auf der amerikanisch-russischen politischen Bühne geschieht. Doch das ist für sie nicht das entscheidende Kriterium: Die Politik wird von Politikern gemacht, und ein Unternehmer sollte auf seine Gewinne achten.
– Bislang haben wir uns hauptsächlich über große Firmen unterhalten. Und wie attraktiv ist die russische Business-Landschaft für amerikanische mittelständische und Kleinunternehmen?
– Den Großkonzernen fällt es grundsätzlich leichter, bestimmte Schwierigkeiten in Russland zu überwinden, vor allem wenn es sich um Probleme mit der russischen Gesetzgebung handelt. Es kommen nach Russland zwar auch mittlere und kleine Unternehmen aus den USA, doch die russische Business-Landschaft erweist sich für sie als nicht besonders komfortabel. Doch auch hier gibt es einige schöne Ausnahmen. So brachte man zum Beispiel eine Großrindherde aus Montana nach Woronesch. Die amerikanischen Kühe und Stiere haben sich in Woronesch gut eingelebt und vermehrt. Somit wächst dank neuester Technologien aus Amerika die Fleischproduktion in Russland. Es ist aber nicht der einzige Bereich, wo modernste Technologien zum Einsatz kommen. Mir fällt gerade ein, dass einige öffentliche Organisationen in Russland, solche wie „OPORA“ und „Delowaja Rossija“, sich für die Belange der mittelständischen und Kleinunternehmen intensiv einsetzen und vieles dafür tun, um auch ausländische Unternehmen zu unterstützen. Diese Richtung ist aber noch stark ausbaufähig.
Man sollte auch nicht vergessen, dass Russland für Italiener und Deutsche geografisch viel näher als für Amerikaner liegt. Europäer brauchen für ihre Start-ups geringere Investitionen als Amerikaner und nehmen somit auch ein geringeres Risiko auf sich. Daher ist es auch für amerikanische Unternehmen einfacher, nicht so weit zu reisen und ihr Business eher in Kanada oder Mexiko zu starten. Diese Regionen sind geografisch näher und befinden sich außerdem im Einflussbereich von Amerika. Russland dagegen ist weiter weg und teurer, und die Zeitinvestitionen sind höher. Doch Russland ist gleichzeitig auch viel verlockender.
Russland ist für Italiener und Deutsche geografisch viel näher als für Amerikaner. Europäer brauchen für ihre Start-ups geringere Investitionen als Amerikaner und nehmen somit auch ein geringeres Risiko auf sich.
– Wie oft besuchen Sie die russischen Regionen? Und welche von ihnen halten Sie für besonders attraktiv für Investitionen?
– Ich reise sehr oft dahin. Ca. 60% meiner Arbeitszeit verbringe ich in Moskau, und den Rest – außerhalb. Vor Kurzem besuchte ich Kasan, Jekaterinburg und Tjumen. Tjumen ist eine sehr alte, saubere und wunderschöne Stadt. Und bald fliege ich nach Wladiwostok. All diese Regionen sind für Businessprojekte äußerst interessant. Aber ich hänge auch an Moskau, denn sie erinnert mich sehr stark an New York mit seiner Energie und Dynamik.
– Vor Kurzem sagten Sie im Rahmen der Ausstellung „Innoprom-2013“ bei einem runden Tisch, welcher der Investitionsattraktivität Russlands gewidmet war, dass die Behörden von Swerdlowsk bereit wären, mit ausländischen Investoren zu verhandeln. Was meinten Sie dabei konkret?
– Das amerikanische Unternehmen Praxair, das sich auf die Produktion von technologischen Anlagen für verschiedene Chemiekonzerne spezialisiert hat, hat beschlossen, in russische Projekte zu investieren. Und ich habe erlebt, dass die Regierung von Swerdlowsk mit den Investoren sehr effektiv zusammenarbeitet und alle technischen Fragen, die mit Dokumenten zu tun haben, im Schnellverfahren löst.
– Sie haben den Vorstand der Handelskammer darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Jahr 2013 Ihr letztes als Präsident von AmCham sein wird. Man redet davon, Sie hätten vor, in die Selbstständigkeit zu gehen und sich auf den Aufbau der Moskauer Filiale der amerikanischen Consulting-Group Teneo Holdings zu konzentrieren.
– Ja, das stimmt. Ich gebe meinen Präsidentenposten am Ende dieses Jahres auf. Ich werde als Berater für eine große amerikanische Gesellschaft mit Vertretungen in vielen Ländern tätig sein. Allerdings hat sich dieses Unternehmen noch nicht auf dem russischen Markt etabliert. Diese Aufgabe werde ich übernehmen und erfreulicherweise so auch in Russland bleiben können.