– Wie sollte ein Ausländer vorgehen, wenn er ein mittelständisches oder kleines Unternehmen in Russland gründen möchte?
– Was meinen Sie genau? Die geltenden Regeln, die Liste der notwendigen Dokumente oder etwas anderes?
– Ist es leicht oder eher schwer, ein eigenes Unternehmen zu gründen?
– Ohne eine gewisse Vorbereitung ist es sehr schwer.
– Und wo können dabei Probleme entstehen?
– Russland ist ein sehr „teures“ Land für Unternehmensgründer. Die Ausgaben für alles und jedes sind sehr hoch. In meiner Praxis als Anwalt habe ich meine Mandanten, die ein solches Unterfangen planten, stets gewarnt: Wenn Sie nur 25.000, 50.000 oder 100.000 Euro zur Verfügung haben, lassen Sie’s besser gleich – sparen Sie lieber ihr Geld und unternehmen Sie nichts.
– Ist das etwa zu wenig?
– Es ist nicht so wichtig, wie viel Geld Sie am Anfang haben, sondern wie viel Sie außerdem erübrigen können. Und da wird meiner Meinung nach der größte Fehler gemacht: Man berücksichtigt nicht alle potentiellen Risiken. Und das Schlimmste dabei ist, wenn man bestimmte Investitionen tätigt und erst später merkt, dass noch weitere Investitionen notwendig sind, für welche aber kein Geld mehr zur Verfügung steht. Daher sollte man immer eine Art finanziellen „Airbag“ haben – eine Geldreserve, die zur Deckung von noch nicht berücksichtigten Ausgaben eingesetzt werden kann. Leider kenne ich viele Geschäftsleute, die so einen „Airbag“ nicht hatten.
– Rechtfertigen die zukünftigen Einnahmen diese Ausgaben?
– Ja, auf jeden Fall. Erfolgreiche Unternehmer erzielen in Russland häufig höhere Einnahmen als in Europa. Mitunter sogar deutlich höhere. Einerseits entwickelt sich der russische Markt noch. Er hat hier ein ganz anderes Potential als in Westeuropa: Es gibt viele freie Nischen, die bei einem cleveren Business-Konzept ein gutes Einkommen garantieren. Und andererseits ist Russland ein sehr reiches Land; das Kapital wird häufig einfach nur falsch eingesetzt.
Erfolgreiche Unternehmer erzielen in Russland häufig höhere Einnahmen als in Europa. Mitunter sogar deutlich höhere.
– Was weiß ein Europäer, der zum Beispiel aus Deutschland kommt, hierüber?
– Meinen Sie damit mich oder einen „normalen“ Deutschen? (lacht)
– Ich meine einen Deutschen, der in Deutschland lebt.
– Er weiß leider so gut wie gar nichts darüber. Und versteht diese Problematik auch gar nicht. Ein ernstes Hindernis ist die Unkenntnis der russischen Sprache und damit die Abhängigkeit von den Geschäftspartnern, die einem die russische Besonderheiten der Geschäftsführung erklären. Nur gut, wenn es sich dabei um ehrliche Menschen handelt…
– Und wie sollte man bei der Auswahl eines Geschäftspartners in Russland vorgehen?
– Jemand, der ein mittelständisches oder ein kleines Unternehmen hat, wird es ohne russischen Geschäftspartner schwer haben. Allerdings sollte dieser Geschäftspartner sehr sorgfältig ausgewählt werden, was in den meisten Fällen – meiner Erfahrung als Anwalt nach – nicht geschieht. Unsere Leute meinen, dass das gemeinsame Wodka-Trinken mit dem potentiellen Geschäftspartner diesen bereits zu einem echten Freund macht. Aber selbst wenn im Gespräch das Wort „Freund“ gefallen sein sollte, so bedeutet dies juristisch noch gar nichts. Sehr wichtig ist der Ruf des potentiellen Geschäftspartners – sei es eine natürliche oder eine juristische Person. Man sollte seine Vorgeschichte genau studieren und versuchen, Empfehlungen für ihn zu erhalten. Das ist ganz normal, denn bei der Suche nach dem geeigneten Geschäftspartner im eigenen Land versucht man ja auch, möglichst viel über ihn zu erfahren, und holt ihn nicht von der Straße.
Sehr wichtig ist der Ruf des potentiellen Geschäftspartners – sei es eine natürliche oder eine juristische Person.
– An wen können sich die Geschäftsleute, die ein mittelständisches oder kleines Unternehmen in Russland gründen wollen, wenden?
– An den deutschen Verein zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den mittel– und osteuropäischen Staaten oder kurz: Ost– und Mitteleuropaverein e.V. (OMV), dem ich vorsitze, an die Russisch-Deutsche Außenhandelskammer oder an die russische Handels– und Industriekammer.
Es ist völlig in Ordnung, wenn Sie danach beschließen, getrennte Wege zu gehen. Es gibt viele Mädchen um einen herum, aber man nimmt nur eine zur Frau.
Auch die Möglichkeit eines Erfahrungsaustauschs sollte nicht vergessen werden. Finden Sie andere, die bereits ein Unternehmen in Russland führen, und fragen Sie sie einfach: Wie haben sie mit ihrem Business in Russland angefangen, was haben sie dafür getan, was empfehlen sie Neulingen, wer kann helfen oder beraten? Und wo sollte man lieber auf gar keinen Fall hingehen? Dies sind ja alles Themen Ihres Magazins, nicht wahr?
– Ja, genau, das sind die Fragen, die wir unseren Interviewpartnern stellen. Und natürlich auch Ihnen. Unsere nächste Frage lautet: Wie kann ein ausländischer Unternehmer, der den russischen Markt kaum kennt und fast kein Russisch spricht, sein finanzielles Risiko minimieren?
– Man sollte mit dem Geschäftspartner ganz genau die Regeln der Unternehmensführung festlegen sowie Zuständigkeiten und Vollmachten verteilen, beides am besten noch vor der rechtlichen Regelung der Geschäftsbeziehungen. Leider versäumen dies mittelständische und kleine Unternehmen oft: Sie unterschreiben sofort einen Standardvertrag, dessen Vorlage sie im Internet gefunden haben, und fangen an zu arbeiten … Allerdings stellt so ein Standardvertrag keine normalen Geschäftsbeziehungen sicher.
Denn das Wichtigste ist, dass man mit dem potentiellen Geschäftspartner alle Einzelheiten der Zusammenarbeit regelt. Sie sollten miteinander ganz offen über alle möglichen Situationen und potentielle Meinungsverschiedenheiten sprechen und einander klar machen, was man von der Zusammenarbeit erwartet und erreichen will, welche Wünsche und Möglichkeiten man hat. Dabei ist es völlig in Ordnung, wenn Sie danach beschließen, getrennte Wege zu gehen. Daran ist nichts Schlimmes. So ist es auch im Leben: Um einen herum gibt es viele Mädchen, aber zur Ehefrau nimmt man nur eine.
– Ab wann sollte ein Anwalt hinzugezogen werden?
– Erst dann, wenn man sich bereits geeinigt hat. Die Aufgabe des Juristen besteht lediglich darin, ihre getroffenen Vereinbarungen in ein rechtlich bindendes Dokument zu übertragen. Wenn es noch keinen Inhalt gibt, was sollte dann übertragen werden?
– Wie steht Ihrer Meinung nach der russische Staat zu ausländischen Investoren und Geschäftsleuten, die in Russland tätig sind?
– In russischen Investitionsforen ist sehr häufig die Rede davon, wie ein ausländischer Investor ins Land geholt werden kann, aber sehr selten davon, mit welchen Problemen diese Investoren oder Geschäftsleute nach der Gründung ihrer Unternehmen in Russland konfrontiert werden. Damit meine ich übrigens in Russland ansässige Unternehmen, die zwar nach russischem Recht, aber mit ausländischem Kapital und von ausländischen Gründern eröffnet und registriert wurden.
Wenn man clever und fleißig ist, kann man in Russland immer eine Nische für eine eigene Geschäftsidee finden.
– Unser Magazin widmet sich genau diesem Thema.
– Das ist auch ein sehr wichtiges und ernstes Thema. Politisch und wirtschaftlich hat Russland großes Interesse an Investitionen. Aber in der Praxis geht es dabei hauptsächlich um große Investoren. Auf den Wirtschaftsforen wird dann Rapport erstattet: 1,5 Mrd. gewonnen, 2 Mrd. … Glauben Sie, dass es dabei um Investitionen aus dem Mittelstand oder von kleinen Unternehmen geht? Nein. In den allermeisten Fällen um sehr große.
– Und wie sieht es mit den mittelständischen und kleinen ausländischen Unternehmen in Russland aus?
– Solche Unternehmen werden gegründet und entwickeln sich nur durch eigene Anstrengungen. Hierzu möchte ich ein Beispiel anführen. Meine Frau ist Deutsche und Übersetzerin für Russisch. Sie hat in Russland ihre eigene Firma – ein Übersetzungsbüro – registriert. Das hat sie ganz alleine geregelt, ohne jegliche juristische Unterstützung. Natürlich spricht meine Frau fließend Russisch, was ihr dabei enorm geholfen hat: Sie sprach selbst bei der Steuerbehörde und anderen Einrichtungen vor (ich hatte keine Zeit, sie dabei zu unterstützen). Und anschließend erzählte sie mir, wie sie dort behandelt wurde: ganz normal, freundlich und korrekt. Jetzt geht es mit ihrem Unternehmen bergauf, sie bekommt regelmäßig Aufträge und zahlt ihre Steuern gemäß den Vorschriften des russischen Rechts. Und sie hat mittlerweile ein sehr gutes Verhältnis zu Kontrollbehörden, wie z. B. der Steuerbehörde.
Wenn man clever und fleißig ist, kann man in Russland immer eine Nische für eine eigene Geschäftsidee finden. Meiner Frau ist das gelungen. Aber ich kann nicht sagen, dass dies die Regel ist und dass die Gründung eines eigenen Unternehmens bei jedem klappt.
– Unsere nächste Frage betrifft gerade die Regeln. Wie verhalten sich das Image und die Realität Russlands zueinander? Inwieweit entsprechen die Vorstellungen, die man in Europa oder Amerika von den Regeln des Geschäftslebens in Russland hat, der Wirklichkeit?
– In Wirklichkeit kennen die Ausländer weder Russland noch das, was dort geschieht. Ein sehr bekannter russischer Fernsehmoderator erzählte mir einmal, dass der Redakteur eines Nachrichtensenders, der von 7.000 Nachrichten höchstens 14 Berichte zeigen darf, wohl kaum auf den Bildschirm bringen wird, wie ein netter Polizist einer alten Dame über die Straße hilft. Dagegen hat ein Polizist, der jemanden niederschlägt, ein deutlich besseres Rating im Fernsehen und größere Chancen, gezeigt zu werden. So funktionieren die Massenmedien auf der ganzen Welt.
Ich habe in Russland lange Zeit als Anwalt gearbeitet und weiß, dass der Grund für die meisten Misserfolge ausländischer Unternehmen nicht in den lokalen Bedingungen, sondern in den Fehlern ihres Managements zu suchen ist.
Und noch etwas: Was wird ein ausländischer Geschäftsmann, der in Russland durch eigene Fehler bankrottgegangen ist, in seinem Heimatland erzählen? Er wird wohl kaum zugeben, dass es sein Fehler war. Er wird eher so etwas wie „Das ist eben Russland! Ihr wisst ja…“ sagen. Und alle Vorstandsmitglieder seines Unternehmens werden dem zustimmen, denn so lässt sich eine Niederlage ganz leicht begründen.
Bevor ich an die Spitze der KNAUF-Gruppe GUS kam, war ich in Russland als Anwalt tätig und weiß daher, dass der Grund für die meisten Misserfolge ausländischer Unternehmen nicht in den lokalen Bedingungen, sondern in den groben Fehlern des Managements zu suchen ist. Mir persönlich ist nur ein einziger Fall bekannt, dass der Geschäftsführer eines großen Unternehmens, der Investitionen in großer Höhe verlor, zugab, dass die Ursache hierfür im Unternehmen selbst und nicht in den russischen Gegebenheiten lag. Er erklärte ganz ehrlich: „Es war unser Fehler“, und fügte noch etwas Wichtiges hinzu: „Wir müssen unseren Fehler auf den Grund gehen, um sie für die Zukunft zu vermeiden“.