– Kendrick, wie schwer ist es für einen Ausländer, ein Kleinunternehmen oder ein mittelständisches Unternehmen in Russland zu gründen? Mit welchen Schwierigkeiten sollte er rechnen?
– Das erste Problem wird er nicht in Russland, sondern im Westen haben. Dieses Problem ist das negative Image Russlands. Im Westen ist man überzeugt davon, dass in Russland überall Mafia und Korruption verbreitet sind. Ich persönlich arbeite in Russland bereits seit mehr als 18 Jahren, und hatte in dieser Zeit keinen Kontakt mit der Mafia, ich hatte keine Probleme damit. Sie können mir glauben oder nicht, aber ich hatte auch keine großen Probleme mit der Verwaltung, obwohl ich mich natürlich an die lokalen Gegebenheiten auch anpassen musste.
Ich persönlich arbeite in Russland bereits seit mehr als 18 Jahren, und hatte in dieser Zeit keinen Kontakt mit der Mafia.
– Was war für Sie das Schwierigste überhaupt?
– Die Steuern und das Verhältnis zu meinen Mitarbeitern im Rahmen des russischen Arbeitsrechts. Es ist ein ganz anderes Verhältnis in Amerika. In Russland muss ich bei der Kündigung eines Mitarbeiters, der meinen Vorstellungen nicht entspricht oder den ich nicht mehr benötige, diesem Mitarbeiter eine Entschädigung in der Größe von einem Zweimonatslohn zahlen… Für ein mittelständisches Unternehmen, und insbesondere für ein Kleinunternehmen ist es ganz schön viel. Das Arbeitsrecht ist nicht flexibel und die Sozialabgaben sind sehr hoch. Um einem Mitarbeiter einen Dollar Arbeitslohn zu zahlen, muss man gleichzeitig auch noch 47 Cent für die Sozialabgaben bereit halten. Die Umsatzsteuer ist sehr niedrig, aber die Sozialabgaben sind dagegen unglaublich hoch…
„Ich habe tatsächlich Erfahrungen auf dem russischen Markt gesammelt und bin ein Venture Capital-Unternehmer. Ich habe die Firma für 125 Mio. US Dollar verkauft, sind Sie interessiert?“
– Weswegen gründen dann westliche Unternehmen eine Betriebsstätte nach der anderen in Russland und öffnen Filialen? Und warum bezeichnen westliche Geschäftsleute den russischen Markt häufig als einen Basis-Entwicklungsmarkt?
– Weil der russische Markt nicht nur riesig, sondern auch noch nicht gesättigt ist. Die Rentabilität ist hoch.
– D. h. die Probleme stellen eine Art Hürde dar, die die Unentschlossenen einfach draußen hält? Aber wenn man es bereits geschafft hat…
– Russland stellt einen Markt mit einem riesigen Wachstumspotential dar. Aber es fehlt an einem Fundament: einfachen und verständlichen Business-Regeln. Dies stört auch die Entwicklung der Firmen. Und in der Rolle der Hürde, das die Unentschlossenen zurückhält, fungiert wohl das negative Imagebild Russlands. Das ist hier aber nicht eindeutig.
Am Anfang meines Fußfassens in Russland habe ich auch Geld verloren. Doch das waren meine Mängel und Fehler…
Vor 20 Jahren hat Russland einen wichtigen Moment verpasst. Es reicht eben noch nicht zu sagen: Wir sind offen. Man sollte sich ständig weiter entwickeln. Ich könnte folgendes Beispiel hierzu anführen: Vor fünf Jahren nahm ich beim Forum BRICS in New York teil. Das Auditorium bestand aus 500 sehr großen Investoren. Sie waren absolut offen für Investitionen in Brasilien, Russland, Indien und China. Sie suchten nach Informationen und nach aussichtsreichen Projekten. Die Geldgeber der Konferenz waren chinesische und indische Firmen. Die brasilianischen und russischen Firmen fehlten. Dementsprechend wurden die Sessions auch von Chinesen und Indern moderiert. Die Moderatoren gaben ihren Landsleuten genügend Redezeit und unterbrachen ziemlich hart alle anderen Redner. Ich musste mit meiner Präsentation über die Venture Capital-Investitionen in der zweiten Tageshälfte auftreten, direkt nach einem Redner aus England, der auch über ein russisches Projekt berichtete. Der chinesische Moderator ließ ihn nicht zu Ende sprechen und unterbrach ihn in seiner Präsentation mit einem Witz: „Hören Sie doch auf, von Russland zu erzählen. Sie mögen dieses Land eventuell nur deshalb, weil Sie eine russische Frau haben!“. Der Engländer wurde verlegen und brach seine Rede ab. Danach bekam ich das Wort. Meine Präsentation handelte um die Firma NizhFarm. Sie wurde von einem meiner Studenten gekauft. Ich erzählte über die Investitionen in den Pharma-Markt Russlands. Der chinesische Moderator versuchte dann, mich mit dem gleichen Satz wie bereits den Engländer zu unterbrechen: „Der Amerikaner erzählt uns über die Perspektiven des russischen Marktes, weil er anscheinend auch eine russische Frau hat.“ Da hab ich es nicht mehr aushalten können und wandte mich direkt an das Publikum: „Ich habe tatsächlich Erfahrungen auf dem russischen Markt gesammelt und bin ein Venture Capital-Unternehmer. Ich habe die Firma für 125 Mio. US Dollar verkauft, sind Sie interessiert?“ Ich erhielt daraufhin Applaus, das Auditorium nahm mich in Schutz und ich wurde angehört… Aber die weniger entschlossenen Redner kamen nicht zu Wort.
MÖCHTEN SIE EIN UNTERNEHMEN IN RUSSLAND GRÜNDEN?Fünf Ratschläge von Kendrick W. White1. Russischer Partner.Es ist nicht notwendig, dass dieser auch Mitgründer der Firma ist. Aber er sollte ein guter russischer Berater sein, dem Sie vertrauen können, am besten ein Jurist.2. Haben Sie keine Angst, persönliche Beziehungen zu den Business-Partnern aufzubauen.In Amerika hatte ich sowohl Beziehungen zu den Business-Partnern, die auch gleichzeitig meine Freunde waren, als auch Familien- und Studienfreunde. Es waren damals drei unterschiedliche Kommunikationskreise, die miteinander nichts zu tun hatten. In Russland gehören sie alle zusammen, sie sind bei Ihren Geburtstagsfeiern und bei anderen Feiern dabei und kommen in Notsituationen alle zu Hilfe. Hier gilt die folgende Regel: „Der Freund meines Freundes ist auch mein Freund.“ Mein Ratschlag für Ausländer lautet: Vermeiden Sie überflüssige Barrieren.3. Man sollte seine Konkurrenten sehr gut kennen und die Nische, die sie anpeilen.Und merken Sie sich Folgendes: Wenn sie einen staatlichen Business-Partner haben, werden Sie immer gewinnen.4. Investieren Sie in langfristige Projekte und geben Sie Acht auf Ihre Reputation.Dabei rechnen Sie lieben nicht mit dem schnellen Gewinn. Und geben Sie auf keinen Fall auf beim Anblick der Schwierigkeiten. Ich wurde von vielen Russen zu einem von Ihnen gezählt, nachdem ich mit ihnen zusammen die Wirtschaftskrise von 1998 erlebt habe. Man sagte mir damals: „Du bist zwar ein Amerikaner, aber du bist auch unser Mann!“. Gute Reputation in Russland ist Gold wert. Manchmal kann sie ihnen auch in solchen Fällen helfen, in denen sie mit Geld nicht weiterkämen.5. Russland ist besteht nicht nur aus Moskau, sondern auch aus 82 weiteren Regionen.Bei der Unternehmensgründung in den Regionen Russlands gibt es eigene Besonderheiten und Schwierigkeiten, aber auch das Wachstumspotential ist enorm! Zu den aussichtsreichsten Regionen zählen (sie sind nach den zentralen Städten benannt): Nischni Nowgorod, Kaluga, Tomsk, Jekaterinburg, Astrachan… In Russland gibt es viele Regionen mit fortschrittlichen Selbstverwaltungen, einem gutem Markt und tollen Geschäftspartnern. Man kann das Unternehmen zuerst in einer der Regionen gründen und dann über eine Expansion in Richtung Moskau nachdenken.
Daher ist das negative Image Russlands durch Informationsmangel bedingt. Es stimmt überhaupt nicht, was alles über Russland erzählt wird. Es ist tatsächlich alles gar nicht so schlimm und hoffnungslos. Man sollte an dieser Stelle nicht übertreiben. Man sollte lediglich zu verstehen versuchen, wie man es richtig machen soll. Am Anfang meines Fußfassens in Russland habe ich auch Geld verloren. Doch das waren meine Mängel und Fehler… Ich hatte einen inkompetenten Juristen und keinen russischen Business-Partner, der mich vor falschen Entscheidungen warnen hätte können.
– Der Anteil des Klein– und mittelständischen Unternehmertums beläuft sich in Russland nicht einmal auf 20% des Bruttoinlandsprodukts.
– Vor 20 Jahren betrug der Anteil des Klein– und mittelständischen Unternehmertums innerhalb des russischen BIP weniger als 1%. Eine Verzwanzigfachung in zwei Jahrzehnten ist daher ein sehr gutes Ergebnis.
– Ja, aber in Europa und den USA stellt das Klein– und mittelständische Unternehmertum die Wirtschaftsgrundlage dar und nimmt zwischen 60% und 80% vom BIP ein. Kann man denn behaupten, dass Russland in den nächsten 20-30 Jahren mit einer weiteren Verdreifachung in diesem Bereich rechnen kann?
– Ich bin Ökonom und bin mir sicher, dass es so kommen wird. In den nächsten fünf Jahren sollte Russland von großen Veränderungen in diesem Bereich ausgehen. Die Machtstrukturen sind heutzutage gegenüber den Problemen des Klein– und mittelständischen Unternehmertums offen. Ich kenne viele Staatsbeamte und Abgeordnete, die eine sehr kritische Meinung gegenüber der russischen Gesetzgebung vertreten. Sie verstehen wohl, dass diese das russische Klein– und mittelständische Unternehmertum stört. So wie z.B. in Nischni Nowgorod, wo ich eine beträchtliche Anzahl junger Leute kenne, die in den letzten 10-15 Jahre erfolgreiche Unternehmen aufgebaut haben, deren Wachstum aber stagnierte. Sie haben genug Geld, um in Europa ihren Urlaub zu verbringen und alle 3-4 Jahre ein neues Auto zu kaufen, aber die lokalen Gegebenheiten lassen eine Weiterentwicklung ihrer Unternehmen nicht zu. Wenn man sich Auftritte der russischen Machtvertreter auf unseren Foren anschaut, wird einem klar, dass Russland in den nächsten fünf Jahren mit großen Veränderungen in diesem Bereich zu rechnen hat.
Der russische Geschäftspartner bedeutet Netzwerke, Erfahrungen und Kenntnisse lokaler Besonderheiten. Der ausländische Geschäftspartner bedeutet perfekte Kenntnisse der Geschäftsprozesse.
– Aber diejenigen, die bereits da sind oder in den nächsten Jahren in den russischen Markt eintreten, haben doch die Möglichkeit, sich auf dieses Wachstum vorzubereiten und sich in den interessantesten Bereichen zu etablieren. Oder sollten sie lieber doch warten?
– Ich verstehe die Hintergründe dieser Frage. Vor kurzem habe ich folgendes Sprichwort gehört: „Wo der Klügere noch zielt, schießt der Reiche bereits.“ Derjenige, der früher anfängt, hat insgesamt auch mehr Chancen und Möglichkeiten. Ich wiederhole: Der Markt ist nicht nur riesig, sondern auch noch nicht gesättigt.
Aber jeder gute westliche Unternehmer denkt über seine Geschäftsprozesse nach… Dies bedeutet nicht nur Produktion, sondern auch Vertrieb und Markenentwicklung… Und ein Unternehmer sucht einen breiten Pfad für seine Geschäftsprozesse… Daher denke ich, dass der Erfolg möglich ist, aber nur mit einem guten Geschäftspartner. Der russische Geschäftspartner bedeutet Netzwerke, Erfahrungen und Kenntnisse lokaler Besonderheiten. Der ausländische Geschäftspartner bedeutet perfekte Kenntnisse der Geschäftsprozesse. Eine Kombination aus beidem stellt die beste Voraussetzung für Erfolg dar.
Russland legt heutzutage einen guten Grundstein für eine innovative Wirtschaft. Skolkowo ist ein Beispiel dafür.
– Welcher Sektor ist Ihrer Meinung nach der aussichtsreichste?
– Ich kann leider nicht objektiv sein, da ich mich gerade mit der Förderung der Geschäftsinnovationen auseinandersetze. Ich denke, dass Russland die besten Technologien des ganzen Planeten hat. Aber in Russland können die Leute sie absolut nicht vermarkten. Ich denke daher, dass die Vermarktung von russischen Technologien und ihre Einführung auf dem globalen Markt zurzeit die aussichtsreichste Marktlücke darstellt. Dies bedeutet auf Englisch commercialization strategy services. Deswegen sollten diejenigen, die sich mit der Vermarktung von Technologien, Software, IT-Technologien und Innovationen im Bereich der Medizin und Pharmazie beschäftigen, einige Erfahrungen mitbringen sowie Karriere in diesem Bereich anstreben, über ihre Möglichkeiten in Russland nachdenken. Hier herrscht zurzeit ein großer Mangel an Spezialisten, die sich professionell mit dem strategischen und globalen Marketing und dem globalen Vertrieb auseinandersetzen könnten. Ich glaube, dies ist zurzeit der aussichtsreichste Marktbereich.
Und ich glaube außerdem, dass Russland heutzutage einen sehr guten Grundstein für die innovative Wirtschaft legt. Skolkowo ist nicht nur ein Potemkinsches Dorf, sondern auch eine wirkliche Entwicklung. In Skolkowo sind viele der großen Firmen vertreten. Und ich glaube, dass es dort sehr viele Marktnischen für junge amerikanische und europäische Unternehmer gibt, speziell für diejenigen, die sich mit der Dienstleistung im Bereich der Technologienvermarktung befassen.
Und noch etwas. Viele der russischen Firmen sind unfähig, ihre Erzeugnisse zu verkaufen. Sie denken nicht daran, wie sie sich die Technologien für das Anziehen von Investitionen in ihre Geschäftsprozesse zu Nutze machen können. Deswegen stellt dies auch eine Marktlücke für die westlichen Berater und Spezialisten dar.
– Und welcher Unternehmensbereich in Russland regt Sie am meisten auf?
– Hotels. In Russland, und insbesondere in seinen weitgelegenen Regionen, gibt es nur wenige gute Hotels. Dieser Markt ist hier faktisch nicht existent. Obwohl aus Sicht potentieller Investoren oder von Geschäftsleuten diese Tatsache eher etwas Positives bedeuten sollte.
– Lässt sich denn ein Unternehmen in Russland aus der Ferne führen?
– Das würde ich nicht empfehlen. Sie müssen mindestens fünf Jahre hier verbringen, um ihre Geschäftsprozesse in Gang zu setzen. Erst dann, wenn sie gute Geschäftspartner haben, können sie heim kehren. Aber Sie brauchen unbedingt einen guten Geschäftspartner, keinen Manager. Sie müssen das Gefühl haben, sie sitzen mit Ihrem Geschäftspartner in einem Boot; erst dann können Sie nach London, Berlin oder New York zurückkehren.