– Was meinen Sie, Emmanuel, wie schwer ist es für einen Franzosen, sein eigenes Unternehmen in Russland zu gründen?
Ich denke, dass in Russland einerseits alles sehr schwierig ist, andererseits aber nichts unmöglich. Deswegen kann etwas, was auf den ersten Blick als unmöglich erscheint, letztendlich dann doch gut klappen. Und natürlich kann jeder Ausländer ein Unternehmen in Russland gründen. Man muss nur die russische Bürokratie überwinden können. Ich glaube, dass diese das größte Problem Russlands ist.
– Und wenn man die russische Realität mit der französischen vergleicht?
– Frankreich kann auf zwei Jahrhunderte der Marktwirtschaft, Russland nur auf 20 Jahre zurückblicken. Aber man muss sagen, dass sich Russland in dieser kurzen Zeit erstaunlicherweise sehr gut an die marktwirtschaftlichen Verhältnisse adoptiert hat. Allerdings steht Russland noch einiges bevor. Die wichtigste Aufgabe dabei ist es, rechtliche Business-Barrieren loszuwerden.
Frankreich kann auf zwei Jahrhunderte der Marktwirtschaft, Russland nur auf 20 Jahre zurückblicken.
– Zu unseren Hauptlesern gehören Europäer, Amerikaner etc…
– Die Einstellung einem Investor gegenüber hängt in Russland nicht von seiner Nationalität ab. Es gibt ein bestimmtes Prozedere für eine Unternehmensgründung, und dieses ist für alle gleich – für Russen, Franzosen oder andere ausländische Unternehmer. In Russland bin ich bereits seit 18 Jahren. In den 90er Jahren wurde tatsächlich zwischen russischen und ausländischen Unternehmern unterschieden, aber heute sieht es anders aus. Deswegen richtet sich dieser Artikel sowohl an die russischen, als auch an die ausländischen Unternehmer.
– Lassen Sie uns doch eher über Probleme sprechen…
– Das erste Problem, mit dem die Investoren zu tun bekommen, ist das Problem der russischen Bürokratie; für ein mittelständisches Unternehmen gestaltet es sich sogar besonders schwierig. Und wenn Sie ein Ausländer sind und ein eigenes Unternehmen gründen wollen, warten auf Sie noch viele weitere Schwierigkeiten; die größten davon sind mangelnde Kenntnisse der russischen Sprache und der russischen Formalitäten.
So bekam eine falsche Bankfiliale die Erlaubnis, und die Steuerbehörde durfte keine zweite Erlaubnis ausstellen. Ein Teufelskreis!
Wenn Sie es mit der russischen Administration zu tun bekommen, kann es sich als schwierig, wenn aber auch nicht unmöglich und doch machbar gestalten. Dazu könnte ich Ihnen – als Beispiel – von einem französischen Unternehmen berichten, das sich auf den Verkauf von Lebensmitteln in Russland spezialisiert hatte. Die Bankkonten des Unternehmens wurden für fast zwei Monate eingefroren, weil es nicht rechtzeitig bestimmte Buchungsbelege lieferte. Die Steueraufsicht schickte an das Unternehmen eine Mahnung, doch diese hat das Unternehmen nicht erhalten. Da es demzufolge keine Reaktion vonseiten des Unternehmens gab, dachte die Steueraufsicht, dass ihre Forderungen einfach ignoriert worden seien, und ließ die Konten des Unternehmens einfrieren. Das Unternehmen hat dann schnell reagiert und lieferte die erforderlichen Berichtsunterlagen, welche bestätigten, dass das Unternehmen keine Probleme mit den Steuern hatte. Die Steuerbehörde schickte an die Bank die Erlaubnis, die Konten des Unternehmens wieder frei zu setzen. Aber die Konten wurden nicht freigegeben, weil diese Erlaubnis an die falsche Bankfiliale geschickt wurde. Das Unternehmen bat die Bankangestellten, diese Erlaubnis an die zuständige Bankfiliale weiterzuleiten, und bekam zu hören, dass dies unmöglich sei, da die Erlaubnis direkt von der Steuerbehörde an die zuständige Filiale geschickt werden sollte, denn bankintern darf die Erlaubnis nicht von einer in die andere Filiale verschickt werden. Die Steuerbehörde meinte ihrerseits, dass sie keine zwei Originaldokumente herausschicken darf. So bekam eine falsche Bankfiliale die Erlaubnis, und die Steuerbehörde durfte keine zweite Erlaubnis ausstellen. Ein Teufelskreis! So konnten die Konten des Unternehmens noch immer nicht wieder freigegeben werden.
– Immer noch?
– Zur Klärung des Problems musste sich letztendlich an den Vorstand der Bank gewendet werden. Er ordnete dann an, dass die Erlaubnis von der falschen an die richtige Bankfiliale zu verschicken. Dabei handelte es sich um eine Privatbank. Man kann also administrative Probleme nicht nur in einem Staatsapparat, sondern auch in privaten Einrichtungen antreffen. Das primäre Problem in Russland ist seine Bürokratie. Eine einfache Frage wird hier manchmal künstlich verkompliziert.
Ich glaube an die Zukunft der russischen Wirtschaft, denn die Bedürfnisse der Bevölkerung an mittelständischen Unternehmen müssen befriedigt werden.
– Und wenn wir nicht über Schwierigkeiten, sondern über Perspektiven in Russland reden würden?
– In Russland gibt es 140 Mio. Einwohner, und ihre Bedürfnisse wachsen exponentiell. Es gibt daher viele Möglichkeiten für eine Business-Entwicklung. Die russische Wirtschaft hat bislang nur relativ wenige kleine und mittelständische Unternehmen vorzuweisen, der Bedarf an solchen Unternehmen ist aber sehr groß. Ich glaube fest an die Zukunft der russischen Wirtschaft, denn die Bedürfnisse der Bevölkerung müssen in jedem Falle befriedigt werden.
– Welche Bereiche sind am aussichtsreichsten für die Entwicklung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, auch ausländischen, in Russland?
– Solche Bereiche gibt es viele. In erster Linie würde ich die Automobilbranche und hier Vertrieb und Distribution nennen. Außerdem brauchen Autokonzerne Lieferanten, die bereit wären, Autos in Russland herzustellen. Es gibt eindeutig zu wenige moderne kleine und mittelständische Unternehmen in dieser Branche. Die Entwicklungspläne der Branche hingegen sind gewaltig.
Die nächste Branche ist der Handel. Nehmen wir hierzu als Beispiel ein großes französisches Unternehmen: „Auchan“. Auchan hat heute über 50 Supermärkte in Russland und belegt somit den dritten Platz auf dem Markt nach zwei russischen Unternehmen. Die Supermärkte von „Auchan“ sind immer voll; wenn etwas bei „Auchan“ auf den Ladentisch kommt, wird es auch garantiert verkauft.
Und wir dürfen auch das Business mit dem Erdöl nicht vergessen.
Für die Erdölgewinnung braucht man große Unternehmen, aber die Anlagen hierfür werden von kleinen und mittelständischen produziert.
– Können denn die kleinen und mittelständischen Unternehmen damit rechnen, im russischen Erdölsektor tätig zu werden?
– Wenn wir uns mal die französische Wirtschaft anschauen, sehen wir, dass sich eine große Zahl von kleinen und mittelständischen Unternehmen um den Erdölsektor konzentriert hat. Für die Erdölgewinnung braucht man große Unternehmen, aber die Anlagen hierfür werden von kleinen und mittelständischen Unternehmen produziert.
Das heutige Russland verabschiedet sich nach und nach von der Vorgehensweise des sowjetischen Systems, wo nur ein einzelnes Unternehmen alles produzierte, von einer kleinen Schraube bis zur kompletten Anlage. Die ganze Welt lebt bereits seit Jahren anders. Das leuchtende Beispiel hierfür ist Airbus. Das Unternehmen produziert fast gar nichts mehr selbst, sondern kauft alle Teile, die es braucht, ein und setzt diese zusammen. Und die halbe Welt fliegt mit dem Airbus! Es ist einfach viel günstiger so. Diese Vorgehensweise breitet sich auch in Russland allmählich aus – um die großen Unternehmen herum bilden sich kleine und mittelständische Unternehmen, die sich auf die Produktion von Ersatzteilen, auf die Wartung von Geräten usw. konzentrieren. Jedes größere Unternehmen ist im Erdölsektor auf die kleinen und mittelständischen Partnerunternehmen angewiesen.
– Ist denn ein Business, das sich auf die Gewinnung von Bodenschätzen stützt, immer noch am meisten gewinnbringend für die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Russland?
Der Automobilindustriesektor ist am attraktivsten. In höchstens drei Jahren wird der russische Markt europaweit den ersten Platz im Autoverkauf belegen.
– Der Automobilindustriesektor bleibt meiner Meinung nach potentiell am attraktivsten. In höchstens drei Jahren wird der russische Markt europaweit den ersten Platz im Autoverkauf belegen. Aber momentan mangelt es den russischen Lieferanten an modernen Technologien und sie schaffen es nicht, eine ausreichende Menge von Autos zu produzieren. Dies führt zur Bildung von Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen, die ihr Know-how auf den russischen Markt mitbringen.
– Und wenn wir uns dem Dienstleistungsbereich zuwenden: Gibt es genug Raum für kleine und mittelständische europäische Unternehmen und ihre Filialen in Russland? Oder ist dieser Raum nur für einige Einzelkämpfer vorgesehen?
– Sie befinden sich in den Büroräumen von Ernst & Young, ein internationales Wirtschaftsprüfungsunternehmen. In Russland gibt es auch andere, kleinere Audit-Unternehmen, u.a. auch französische. Des Weiteren sind in Russland mehrere Anwaltskanzleien vertreten, die noch kleiner sind, u.a. auch sehr viele französische, zum Beispiel CMS, Salams, Gide. MAZARS ist auch ein Auditor. Im Dienstleistungsbereich gibt es sehr viele Möglichkeiten für kleine und mittelständische Unternehmen, und je stärker der Markt sich weiter entwickelt, desto mehr Handlungsspielraum entsteht.
– Welche Investitionssumme sollte man nach Russland mitbringen?
– Es gibt einige Unternehmen, die in Russland mit einer Filiale und einer geringen Anzahl von Mitarbeitern anfangen. Das kostet auch gar nicht viel. Aber wenn Sie in Russland zum Beispiel ein Werk bauen wollen, ist dies eine andere Situation. Alles hängt eben von der Art Ihres Business ab.
Wenn Sie noch nie in Russland waren, kennen Sie es nicht. Denn Russland hat ein ernsthaftes Problem mit seinem Image im Ausland…
– Mit welchen Gewinnen kann ein ausländischer Unternehmer in Russland rechnen? Rechtfertigen diese die Überwindung der vielen Hindernisse?
– Jedes Unternehmen möchte Gewinne erzielen. Und in Russland kann man bei einer richtigen Businessorganisation mit Gewinnen rechnen, die höher als in Europa sind, weil der russische Markt sehr schnell wächst (oft wachsen Unternehmen in Russland doppelt so schnell als in Europa). In Russland gibt es mehr Risiken und Bürokratieprobleme, aber auch die Rentabilität eines Unternehmens kann sehr viel höher ausfallen. Nach der modernen russischen Gesetzgebung ist es außerdem ganz legal, die erzielten Gewinne nach Frankreich (oder in ein anderes Land) zu bringen. Dafür lohnt es sich dann auch, sich durch die russische Bürokratie zu kämpfen. Die Sache ist den Aufwand wert.
Und noch etwas. Russland hat ein ernsthaftes Problem mit seinem Image im Ausland. Wenn Sie in Russland noch kein einzelnes Mal waren, wissen Sie lediglich, dass es hier kalt ist und Russland seine eigene Mafia hat. Man denkt daher, dass es besser wäre, Russland zu meiden. Dann wollen Sie mit Russland gar nichts zu tun haben. Aber wenn Sie dann erfahren, dass Russland so gar nicht den Vorstellungen eines durchschnittlichen Europäers entsprechen mag und dass es einen der aussichtsreichsten Märkte hat, dann verstehen Sie, dass es sehr wohl sehr gewinnbringend sein kann, in russische Projekte während einer früheren Marktphase zu investieren.
Russland sollte seine ganze Infrastruktur sanieren. Dies bedeutet, dass die Investitionen nicht Milliarden, sondern Billionen US Dollar betragen werden.
In Russland sind heute fast alle großen französischen Unternehmen vertreten, und dank ihrer Tätigkeit wurde auch die Französisch-Russische Industrie- und Handelskammer gegründet. Aber es gibt auch viele französische Firmen, die in Russland zwar arbeiten, aber weder in der Kammer noch in der Botschaft registriert sind. Die Mehrheit von denen sind kleine Unternehmen.
– Sie haben ja bereits erwähnt, dass das heutige Russland versucht, die westliche Wirtschaft einzuholen. Wie schnell geht dieser Prozess voran?
– Russland versucht es nicht nur, es hat diese bereits eingeholt. Und ich kenne nur sehr wenige Länder auf der Welt, die so etwas geschafft haben. Denn von einer sowjetischen Planwirtschaft zu einer westlichen Marktwirtschaft mit ihren demokratischen Prinzipien innerhalb von nur 20 Jahren zu wechseln ist eine Großtat. Aber dies bedeutet nicht, dass man hier nichts mehr zu tun hat und dass die wirtschaftliche Situation sich auch nicht noch weiter entwickeln sollte. Im Gegenteil, in Russland sollte sich noch vieles ändern.
Ich glaube an die Zukunft Russlands, denn es hatte viel Glück – es hat Erdölvorkommen. Russland sollte aber seine ganze Infrastruktur sanieren: das ganze Energieversorgungssystem, alle Straßen, alle Flughäfen etc. Auch die Erdölindustrie sollte modernisiert werden. Und das alles – in einem der größten und reichsten Länder der Welt! Was bedeutet, dass die notwendigen Investitionen nicht etwa Milliarden, sondern Billionen US Dollar betragen werden. Aber auch die Gewinne werden dann in Billionen von US Dollar gemessen werden.