- Herr Alessandrello, glauben Sie, dass die italienischen Restaurants in Russland tatsächlich in Gefahr sind?
- Ehrlich gesagt, ich bin ziemlich besorgt. Eine solche Gefahr gibt es in der Tat. Es geht speziell darum, dass die italienischen Restaurants in Russland zertifiziert sein müssen. Doch ein Zertifikat kriegt man nur, wenn bei der Zubereitung von Gerichten original italienische Lebensmittel – z.B. Mozzarella, Burrata, Ricotta u.a. Weichkäsesorten – verwendet werden. Man braucht außerdem frisches italienisches Obst und Gemüse. Wenn die italienischen Restaurants dieser Anforderung nicht nachkommen, verlieren sie automatisch ihre Zulassung. Noch funktioniert alles aufgrund von vorhandenen Vorräten. Doch nach und nach sehen sich die italienischen Restaurants gezwungen, die bereits erwähnten Weichkäsesorten von ihrer Speisekarte zu nehmen. Außerdem wird es bald auch Probleme mit dem Fisch geben…
Einige verstehen sehr wohl den Ernst der Situation und überlegen, wie sie dieses Problem lösen können. Andere fangen einfach an, nicht original italienische Produkte zu verwenden. Daher riskieren sie, im nächsten Jahr ihre Zertifizierung zu verlieren. Die IRTP ist übrigens auch in den Prozess der Zertifizierung involviert.
Über Rosario Alessandrello
Diplomierter Spezialist im Bereich „Technologien der chemischen Industrie“ mit Abschluss an der Technischen Universität in Mailand. Im Jahre 1958 bekam er eine Stelle bei „Edison“. In den 80er Jahren bekleidete er den Posten des Generaldirektors bei Tecnimont, der Technikzweig von Montedison. Ab 1986 CEO von Tecnimont. 1996 bis 2000 Vizepräsident von Confindustria. 2005 bis 2007 Präsident von Maire Tecnimont. 2007 bis 2010 Präsident von Fisia Italimpianti, ein Betrieb der Impregilo-Gruppe.
Seit 2010 offeriert er verschiedenen italienischen Firmen Consulting-Dienstleistungen. Seit 2011 ist er Präsident der russischen Unternehmung OOO „NNSE BERARDI RU“. Seit 2012 bekleidet er den Posten des Präsidenten der italienischen Firma COGIP.
Er wurde vom Ministerium für Außenhandel als Präsident des Italienisch-Russischen Komitees der Unternehmer beim Italienisch-Russischen Rat für Zusammenarbeit berufen. Gleichzeitig ist er Präsident der Italienisch-Russischen Handelskammer.
- Ich hoffe, sie sind nicht zu streng. Denn zurzeit ist es nicht unbedingt leicht für die Geschäftsleute...
- Dessen bin ich mir bewusst. Insbesondere da es sich hier nicht um den einzigen Schaden für unsere Handelsbeziehungen handelt. Unter die Sanktionen fällt auch der Import von Halbfabrikaten aus Pelz und Leder nach Russland, aus denen dann vor Ort Schuhe und Kleidung gefertigt werden. Aktuell ist hier der Schaden noch nicht so bedeutend, doch wächst er mit der Zeit stark an. Bis März 2015 wird Italien hier etwa anderthalb Milliarden Euro an Verlusten erlitten haben, evtl. sogar mehr. Ein anderes Beispiel: Russland war lange Zeit führend im Import von italienischen Weintrauben. Nun jedoch ist dieser Import um die Hälfte zurückgegangen. Dasselbe gilt für Milchprodukte, Tomaten und vieles andere. In den letzten Jahren wurden italienische Produkte im Deli Nummer 1 des Kaufhauses GUM und in solchen Geschäften wie „Asbuka Wkusa“, „Globus Gurme“ oder „Sedmoj Kontinent“ verkauft. Sie stellen die größten Distributoren für italienische Lebensmittel dar. Die Moskowiter haben sich daran gewöhnt, in Restaurantketten mit traditioneller italienischer Küche zu Mittag zu essen. In der russischen Hauptstadt gibt es Hotels, die das Recht haben, italienische Produktionen zu verkaufen. All das muss erhalten bleiben. Es darf nicht sein, dass eine Megapolis wie Moskau zum Beispiel seine originalen italienischen Pizzerien verliert. Doch genau das kann passieren, wenn die zentralen Zutaten dafür verloren gehen wie Mehl, Käse oder Tomaten...
Unter den Sanktionen leiden nicht nur die landwirtschaftlichen Produzenten und die Lederwarenindustrie. Auch die Lieferungen von Weiterverarbeitungs-Equipment für die Ölindustrie und den Maschinenbau werden versiegen. Die Folgen werden wir bereits 2015 sehen. Was Konsumgüter angeht, so werden wir die Einbußen bereits in nächster Zukunft spüren.
Und dennoch bleibe ich optimistisch. Ich hoffe, dass bis März des kommenden Jahres, wenn Russland, die Ukraine und die EU zu entsprechenden Einigungen gelangt sind, die Sanktionen beiderseits wieder aufgehoben werden und wir zum vorherigen Modus unserer Beziehungen werden zurückkehren können. Es kann auch passieren, dass sich alle 28 Länder der EU gegen eine Fortsetzung der Sanktionen aussprechen. Eine solche Einigkeit schein jedoch wohl eher schwer vorstellbar. Doch schon jetzt sind einige Länder der EU für eine Abkehr von den Sanktionen, die uns einfach zu teuer zu stehen kommen...
Ich hoffe, dass bis März kommenden Jahres die Sanktionen beiderseits wieder aufgehoben werden.
Die Italienisch-Russische Handelskammer war sich sofort ob der neuen Realien bewusst, in denen wir uns als Folge der Ukrainekrise wiederfanden. Deshalb gilt unser Interesse vollkommen den italienischen Unternehmern, die in Russland arbeiten, und den russischen in Italien. Es ist nachvollziehbar, dass die Handelskammer die Interessen seiner assoziierten Mitglieder zu wahren hat. Nach den ersten Sanktionen, die von der EU gegen Russland verhängt wurden, erließen wir ein offizielles Communiqué, das sich recht hart gegenüber einem Wirtschaftskrieg äußerte, der in Zeiten entfacht wurde, in denen auch ohne diesen Krieg bereits ein Konflikt entflammte. Überhaupt: Das ist ein innerer Konflikt in einem eigenständigen Land. Es ist sicher verständlich, dass er die EU und Russland auf den Plan gerufen hat. Doch wer einen politischen Konflikt im Handel austrägt, begeht einen strategischen Fehler.
Wer einen politischen Konflikt im Handel austrägt, begeht einen strategischen Fehler.
Die Sanktionen gegen Russland sollten, so war es eigentlich gedacht, weder europäischen noch amerikanischen Firmen schaden, sondern sollten lediglich die Entwicklung der russischen Wirtschaft hemmen. Doch hat Russland mit Gegenmaßnahmen geantwortet, die einen Schlag insbesondere gegen die europäischen Unternehmen bedeuteten, darunter auch italienische, die ihre Waren in den russischen Markt exportierten. Es stellte sich heraus, dass es uns sogar härter trifft als andere. Denn die Importe aus Italien entstammen größtenteils der landwirtschaftlichen Produktion von kleinen und mittleren Unternehmen.
- Kann diesen Unternehmen vonseiten der Italienisch-Russischen Handelskammer irgendwie geholfen werden?
- Wir haben eine wichtige Initiative gestartet. Wir haben uns an alle Mitglieder der Handelskammer gewendet mit dem Aufruf, sich nicht zu ergeben, nicht in Panik zu geraten und Erkämpftes nicht aufzugeben. In diesen schweren Tagen muss man Weisheit und wahre kämpferische Fähigkeiten beweisen. Man muss sich den Umständen widersetzen und einen Ausweg suchen aus dieser äußerst schwierigen Situation. Das Wichtigste jedoch ist, die russischen Kunden nicht zu verlieren, ihnen keinen Anlass zu geben, zur Konkurrenz zu wechseln und neue Nischen zu erschließen. Dasselbe gilt im Übrigen auch für unseren russischen Partner mit Produktionsstätten in Italien.
In diesen schweren Tagen muss man Weisheit und wahre kämpferische Fähigkeiten beweisen.
Ich weiß, dass dies nicht einfach ist, denn auch im Bankensektor gibt es ernsthafte Probleme. Viele russische Banken haben ihre Währungsreserven über das europäische Bankensystem beschafft, was nun nicht mehr möglich ist. Dies stellt auch einen großen Schaden für Russland dar. Die Russen können keine Kredite mehr bei europäischen Banken aufnehmen, was große Schwierigkeiten mit sich bringt und das Finanzsystem aus dem Gleichgewicht bringt. Doch muss man das Beste hoffen, um sich aus diesem Sumpf zu ziehen. Russland und Italien haben lang gereifte Handelsbeziehungen miteinander.
- In Russland wird begonnen, Importe zu substituieren und nach neuen Handelspartnern Ausschau zu halten. So werden italienische Käse nun im Twersker Oblast hergestellt oder aus der Türkei importiert...
- Wir verstehen, dass sich für die Länder, die nicht zu EU gehören, zurzeit eine Chance der Stärkung bietet. Insbesondere für Länder aus dem asiatisch-pazifischen Raum und Lateinamerika. Doch muss man sich vor Augen halten, dass aus Italien eine spezielle Produktion von hoher Qualität kommt. Niemand sonst stellt Burrata-Käse, der aus Sahne und Milch von Büffeln oder Kühen gemacht wird, in einer Güte her wie die Italiener. Er wurde das erste Mal im Jahre 1920 von der Firma „Bianchini“ produziert, wo die Geheimnisse seiner Herstellung bis heute gehütet werden. Sicher wird man Mozzarella auch aus der Türkei importieren können, und er wird auch eine äquivalente Zusammensetzung haben. Und doch ist das nicht das originale Produkt, welches in sich alle notwendigen Eigenschaften vereint. Deshalb wird dieser Käse dann auch einfach anders schmecken...
Wir wollen die Kunden, die dies begriffen haben, nicht verlieren. Denn haben sich diese erst einmal an den weniger qualitativen Import gewöhnt, ist eine Rückkehr auf den russischen Markt sehr viel schwieriger. Zurzeit herrscht große Nachfrage nach Gerät zur Herstellung von italienischen Käsesorten direkt vor Ort in Russland und nach Personal, das in der Lage ist, dieses Gerät zu Bedienen.
- Könnten dann italienische Unternehmer nicht anstelle der Lebensmittel die Gerätschaften zu ihrer Herstellung importieren?
- Dies wäre eine Möglichkeit, und das wird auch schon gemacht. Man sucht sich dafür russische Partner zur Eröffnung lokaler Betriebsstätten. Natürlich muss man sich anstrengen, in Russland vor Ort einen Mozzarella herzustellen, der dem Original so nah wie möglich kommt. Dennoch wird es nicht an allen Zutaten, die man zur Herstellung braucht, genug geben. Sie werden ja keine Büffel aus der Gegend um Neapel hierher bringen, um aus ihrer Milch echten Burrata herzustellen. Es würde Jahre brauchen, um eine ganze Herde zu importieren. Auch gibt es hier die passenden Weiden und das richtige Klima nicht. Was soll das dann für eine Milch werden? Parmesan beispielsweise wird auf der ganzen Welt hergestellt. Doch glauben Sie mir, echter, langgereifter Parmesan gelingt nur in Italien. Seine Behandlung braucht Monate. Wir sprechen da über komplizierte Technologien und Herstellungssysteme, die in Italien über Jahrzehnte entwickelt wurden. Auch die Kühe sind auf entsprechende Weise zu füttern, sodass aus ihrer Milch so ein Käse hergestellt werden kann...
Echter, langgereifter Parmesan gelingt nirgendwo so gut wie in Italien.
- Gut, so lassen wir die Kühe auf den italienischen Weiden. Doch womit können italienische Investoren dann nach Russland kommen?
- Die gesamte Produktionskette hierher zu verlagern, ist unmöglich. Nach Russland kann nur ein gewisser Teil der Gerätschaften und das entsprechende Personal gebracht werden. Und mit den Zutaten, die aus Italien kommen, werden hier dann genauso weiche Käse gemacht. Bestehende Beispiele hierfür finden sich im Twersker Oblast, in Rostow und Wladikawkas.
Weitere Beispiele dafür, dass Italiener Produktionen nach Russland gebracht haben, finden sich im Bereich der Baustoffe und Ausbaumaterialien. Hier ist das Thema Rohstoffe etwas leichter in den Griff zu bekommen, man braucht insbesondere die Technologie und das Equipment. 2005 wurde die russische Firma „KARAMA“ Teil des größten italienischen Produzenten von Baukeramik, der MERAZZI GROUP. Heraus kam die Gruppe KERAMA MARAZZI, dem führenden russischen Hersteller für Keramikfliesen und -granit. Dass die Atlas Concorde Russia ins Leben gerufen wurde, stellt einen weiteren Schritt im Prozess des Wachstums und der Festigung der Firma Atlas Concorde dar. Damals, 1993, war diese Firma eine der ersten in Italien, die begannen ihre Keramikproduktion nach Russland zu exportieren. Und nach kurzer Zeit konnte sie die Position des Marktführers einnehmen. Auch die italienische Unternehmung Mapei, ein Hersteller von Bau-Chemie-Produkten, hat in Russland ihre Position gefestigt. Dieses Marktsegment wurde von den Sanktionen nicht betroffen, und Investoren können hier ohne Weiteres agieren. Auch deshalb ist nicht nur in Moskau, sondern in ganz Russland ein wahrer Bau-Boom zu beobachten.
Auf dem Territorium Russlands ist mit Hilfe von italienischen Investitionen auch eine kleine Möbelproduktion entstanden. Die Vertretung der italienischen Möbelfabrikanten, Mobilitalia, operiert erfolgreich. Diese Branche ist besonders aussichtsreich, da die Moskowiter (und die Russen insgesamt) verstanden haben, dass italienische Möbel nicht einfach nur eine Marke darstellen, sondern vor allem ein Zeichen für Qualität. Und selbst wenn zurzeit in Russland aufgrund des schwächeren Rubel ein Rückgang der Nachfrage zu verzeichnen ist, glaube ich nicht, dass dies von Dauer sein wird. Die Russen erholen sich von Krisen unglaublich schnell.
Die Russen erholen sich von Krisen unglaublich schnell.
- Erläutern Sie dies ihren Investoren? Oder warten diese auf die Aufhebung der Sanktionen?
- Ich führe regelmäßig italienische Investoren, die hier ein Joint Venture starten wollen, nach Russland, oder ich agiere hier für sie. Sie wollen in Russland arbeiten trotz, aber auch wegen des breiten Spektrums an Schwierigkeiten in vielen Bereichen. In der Transportinfrastruktur beispielsweise, also im Bereich Eisenbahn, Fernstraßen und Flughäfen, können sie Lösungsvarianten anbieten, und eben dies ist es, worum sich meine Aktivitäten drehen. Es geht darum, dass die Investoren hier nicht einfach nur ihre Produktion verkaufen wollen, sondern weil Sie einen zuverlässigen russischen Partner finden wollen. Hierbei versucht die Kammer, ihnen zu helfen.
Das Interesse, in Russland zu investieren, ist also nicht verloren gegangen. Ganz im Gegenteil, und das trifft für die unterschiedlichsten Branchen zu, begonnen bei Projekten für den Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahn bis hin zur Entwicklung von Fast-Food-Ketten. Es besteht großes Interesse im Bereich Städtebau. So hat vor kurzem das italienische Architektenbüro Land Milano srl. den international offenen Wettbewerb um das architektonische Konzept für das Chodinskische Feld gewonnen. Und hierbei handelt es sich nicht um die einzige Architekturstudie aus Italien, die man in Russland finden kann.
Das Interesse, in Russland zu investieren, ist nicht verloren gegangen.
Die Italiener sind nicht abgeneigt davon, hier Fernstraßen, Brücken und U-Bahnen zu bauen. Und sie tun dies auf modernem technologischen Niveau. Ich kenne einige dieser Unternehmer persönlich. Seit sie erfahren haben, welche Gelder aus dem Staatsbudget für diese Zwecke zur Verfügung gestellt wurden, träumen sie davon, auf diesem Markt tätig zu werden. Zudem ist in Italien eine einzigartige Erfahrung konzentriert auf dem Gebiet der Verwandlung von Transportknotenpunkten in vollwertige gewerbliche Objekte, wo die Leute einkaufen können und ihre Freizeit verbringen. Die neuen Bahnhöfe von Mailand oder Bologna bildet Beispiele hierfür. Nicht geringer ist unsere Erfahrung im Bereich des Vorortzugverkehrs, ein Bereich der zurzeit in Moskau aktiv entwickelt wird und wo unserer Zusammenarbeit keinerlei Sanktionen im Wege stehen.