— Was sind Ihrer Meinung nach als Japaner die Besonderheiten der Businessführung in Russland?
— Mir ist aufgefallen, dass im russischen Business nicht der Name eines Unternehmens zählt, sondern die Tatsache, wie gut die Beziehungen zwischen den Geschäftspartnern sind. In Japan haben interpersonelle Kontakte auch eine enorme Bedeutung, aber die Handelsmarke ist dann doch wichtiger. Der Name und die Reputation eines Unternehmens sind im Business tonangebend, sie bringen bedeutende Garantien und Vorteile. Das kann ich aus meinen eigenen Erfahrungen beurteilen, weil ich sowohl in Japan als auch in Europa und in Russland tätig war. Bereits in London fing ich an, mit dem russischen Business zusammenzuarbeiten; ich habe mit einigen Kunden aus diesem Land gearbeitet. Dabei nutzte ich die europäische Herangehensweise. Als ich aber nach Russland kam, wurde mir klar, dass hier europäische Methoden nicht funktionieren.
— Warum?
— In Russland basiert alles auf Vertrauen. Hier spielt eine sehr große Rolle die Unterstützung vonseiten der russischen Geschäftspartner und Kollegen. In London konnte ich den Russen nicht 100-prozentig trauen, und das basierte auf Gegenseitigkeiten. Seitdem ich hier lebe, merke ich, dass die gegenseitige Zuneigung viel stärker ist. In unserer Niederlassung hier arbeiten viele russische Mitarbeiter, unsere Geschäftspartner in Russland vertrauen ihnen, und somit vertrauen sie auch unserem Unternehmen insgesamt.
— Ist der Vertrauensfaktor Ihrer Meinung nach der wichtigste bei Ihrer Arbeit in Russland?
— Ja. Unsere Kunden sind große transnationale Unternehmen. Für eine Werbeagentur ist die Lösung kreativer Aufgaben und die Generierung kreativer Ideen sowie ein einwandfreier Kundenservice das Wichtigste. Unsere Geschäftspartner müssen uns vertrauen können. Alle japanischen Unternehmen, die in Russland tätig sind, kennen unsere Agentur.
— Wurden Sie nach Russland geschickt, oder hatten Sie selbst die Idee, in unser Land zu kommen?
— Ich arbeite mit Vertretern von russischen Unternehmen seit 2004, bereits seit der Zeit meiner Arbeit in London, zusammen. Ich hatte jeden Monat geschäftlich in Moskau zu tun. Die Leitung von Hakuhodo wusste das und beschloss, mich hierher zu schicken. Ich habe ja bereits die notwendigen Erfahrungen sammeln und Beziehungen knüpfen können.
— Lassen sich Moskau und London miteinander vergleichen?
— Moskau ist eine große, eine sehr große Stadt. Hier sprudelt das Leben Tag und Nacht, ununterbrochen. Das ist eine sehr energiegeladene Stadt. Gleichzeitig hat die Stadt auch viele Nebengeräusche. Man kann praktisch keine Zeit für Freizeit finden, vor allem im Hinblick auf das Business. In London sind die Arbeitszeiten geregelt, danach haben die Mitarbeiter Freizeit. In Moskau dagegen ist alles fließend, das Business geht sanft in die Privatsphäre über. Es ist dabei sehr schwer, seine Ruhe zu finden.
— Finden Sie das gut oder schlecht?
— Moskau hinterlässt bei mir einen zweigeteilten Eindruck. Seine Architektur und Infrastruktur zeugen davon, dass es eine europäische Stadt ist, aber sein stürmisches und erfülltes Leben erinnert an solche asiatischen Länder wie China oder Thailand. Es ist alles schnell wie im Osten, obwohl, und ich wiederhole mich, die Form eher europäisch ist. Und das mag ich sehr!
— Was kann ein Japaner erleben, wenn er hierher kommt? Worauf muss er sich vorbereiten, um sich schnell an die hiesigen Begebenheiten adaptieren zu können?
— Nur wenige Japaner haben von Russland auch nur eine Ahnung. Die Informationen über dieses Land sind sehr begrenzt. Die meisten Japaner glauben, dass es in Russland allerlei Schreckliches gibt. Sie glauben, dass die Russen nur selten lächeln und dass sie ständig in Sorge über irgendwelche Probleme sind. Aber am meisten beunruhigt die Japaner die Frage, ob die Russen sie mögen. Die Antwort darauf kennen sie nicht.
Ich glaube, dass Russland ein wunderbares Land für Japaner ist. Die Russen nehmen uns sehr positiv wahr. Und noch mehr: Die Russen und die Japaner kommen sich näher und verstehen sich viel schneller und besser als z.B. die Japaner und die Europäer. Die Russen interessieren sich aufrichtig für die japanische Kultur, vor allem für alle innovativen japanischen Entwicklungen und Neuerungen aus dem High-Tech-Bereich. Die Japaner, die hierher kommen, sollen wissen, dass sie hier sehr schnell echte Freunde finden können. Aber leider wissen sie das nicht.
Yuzuru Iguchi ist 42 Jahre alt und wurde in Kobe, Japan, geboren. Dort absolvierte er auch die Universität Kobe im Fach Geologie. Statt aber in seinem Fach arbeiten, wechselte er in die Werbebranche, die von seinem Hobby zu seinem Lebenswerk wurde. Nach seinem Hochschulabschluss kam er nach Tokyo, wo er eine Stelle im Hauptsitz des Unternehmens Hakuhodo Inc. angeboten bekam. Fünf Jahre später wurde er nach London geschickt, wo er siebeneinhalb Jahre tätig war. Er besitzt Arbeitserfahrungen auch in anderen europäischen Ländern. Er ist bereits seit vier Jahren in Russland tätig und ist Direktor im Bereich New Business bei der Kommunikationsgruppe „Hakuhodo Russland“. Er hat große Erfahrung in der Betreuung von großen internationalen Netzwerkprojekten auf verschiedenen Märkten. Im Unternehmen „Hakuhodo Russland“ ist er für die Businessentwicklung der Agentur in diesem Land und für die effektive Zusammenarbeit zwischen lokalen und internationalen Niederlassungen der Werbeagenturkette zuständig.
— Und wie sieht es aus im Bereich Alltag? Wie komfortabel fühlt sich ein Japaner in Russland?
— Mir persönlich fiel das sehr leicht. Ich fand sofort ein Appartement in der Nähe der Metrostation „Kitaj-gorod“, die ganz im Zentrum Moskaus liegt. Meine Immobilien-Agentur zeigte mir viele Wohnmöglichkeiten im Zentrum Moskaus, aber dass waren eher typische Touristen-Orte. Das waren Orte, wo ausländische Expats leben, ich aber wollte eine echte und authentische Wohnmöglichkeit haben. Und so ließ ich mich unter den Moskauern nieder. So war es für mich einfacher, die Kultur und den Alltag dieses Landes zu verstehen.
— Und wie haben Sie die Essensfrage gelöst? Die japanische und die russische Küche unterscheiden sich ja ganz grundsätzlich voneinander.
— In Moskau kann man Restaurants mit guter japanischer Küche finden. Ich orientierte mich dabei an Empfehlungen von Japanern, die in Moskau leben. Ihnen kann ich z.B. das Restaurant „Megu“ empfehlen. Dieses ziemlich teure Restaurant befindet sich auf dem Gelände des „Lotte hotels“. Es gibt aber auch günstigere Restaurants wie „Yume“ und „Ichiban“, wo Köche aus Japan arbeiten.
Die Kommunikationsholding Hakuhodo Inc. wurde 1895 gegründet.
Heute gehört sie zu den größten globalen Kommunikationsgruppen. Sie hat über 60 Niederlassungen in 17 Ländern weltweit und 31 Tochterunternehmen in Japan. Hakuhodo Inc. ist die einzige Agentur in der asiatischen Region, die bereits zweimal den Grand Prix des Werbefestivals in Cannes gewann. Die russische Niederlassung Hakuhodo wurde 2008 eröffnet. Strategische Partnerschaft mit der Werbeagentur PRIOR, einer der führenden Agenturketten in Russland, ermöglicht den Kunden beider Agenturen eine komplexe Herangehensweise in Bezug auf die Lösung von Marketingfragen. Zu den Hauptkunden in Russland zählen: Bridgestone, Canon, Fujifilm, Yokohama, Sharp, Kanebo, Kao, Kyocera, Honda, Line, Japan Airlines und Sony.
— Kommen wir noch mal zu Ihrer Arbeit zurück. Was liegt in Ihrer Verantwortung in der Werbeagentur?
— Ich bin für die Betreuung unserer internationalen Kunden und für die Businessentwicklung unserer Agentur in Russland zuständig. Russland war noch nie ein stabiler Markt. Sogar unsere Stammkunden brauchen unsere Unterstützung bei ihrem Business. Die hiesige Situation ist sehr wechselhaft, und sie brauchen Informationen darüber, was hier abläuft, um gegebenenfalls ihre Entwicklungsstrategien entsprechend anzupassen. Ich betreue den Kunden bis zu dem Zeitpunkt, bis sein Business sich vollständig stabilisiert.
— Worin sehen Sie Ihre Mission in Russland?
— Ich hoffe sehr, dass die Beziehungen zwischen Russland und Japan viel vertrauter werden. Mit meiner Arbeit leiste ich einen Beitrag bei diesem Prozess und fühle dabei mein Mitwirken. Japanische Firmen konnten schon immer ein sehr gutes Endprodukt erschaffen. Ich hoffe, dass die Russen mit der Qualität unserer Waren zufrieden sind. Wenn sie noch mehr davon kaufen, kommt es zu einer Art Eintauchen der Russen in die japanische Kultur und Philosophie. Und dazu trägt unsere Werbeagentur stark bei.
Alle unseren Kunden haben unterschiedliche Anforderungen, und wir praktizieren eine individuelle Herangehensweise zu jedem von ihnen, indem wir uns vollständig dem jeweiligen Projekt widmen. Wir betreuen unsere Projekte von Anfang an. Wenn wir sehen, dass unsere Kunden nicht allein weiterkommen, geben wir ihnen alles, was Notwendig ist, damit sie an ihre gesetzten Zielen gelangen.
— Welche sind Ihrer Meinung nach die aussichtsreichsten Richtungen für einen Businessstart in Russland?
— Ich kann dabei nur über meine eigenen Vorlieben sprechen. Ich glaube, dass auf dem russischen Markt eine ausreichende Anzahl an japanischen Autos, Telefonen und Fotoapparaten gibt. Sie alle haben bereits ihre Nischen gefunden. Ich bin der Meinung, dass Russland ein Rohstoffland und ein Land der natürlichen Monopole ist. Deswegen gibt es hier bereits auch führende japanische Technologieunternehmen. Aber es gibt dagegen nur eine geringe Anzahl an Unternehmen aus dem Bereich Food Market. Sie fangen jetzt an, businesstechnisch in asiatische Ländern zu expandieren, ihr Fokus lag aber noch nicht konkret auf Russland, daher sind sie auf dem russischen Markt auch noch nicht sehr breit vertreten.
— Von den bereits in Russland vorhandenen Waren aus Japan fiel mein Blick neulich auf Windeln und Getränke aus Warenautomaten in der Metro. Promoten Sie nicht auch zufällig diese in Russland?
— Merries und DyDo sind unsere Kunden. Praktisch alle japanischen Unternehmen, die auf den internationalen Märkten vertreten sind, arbeiten über kurz oder lang mit Hakuhodo. Heute haben wir zum Ziel, den Erkennungswert unserer Marke in Russland zu steigern, damit mehr Geschäftspartner in diesem Land von unserer Werbeagentur erfahren.
— Die heutige Situation auf dem russischen Markt ist nicht die beste. Die meisten Unternehmen kürzen ihre Werbe- und Marketingbudgets. Wie sieht es bei Ihnen aus?
— Heute haben es alle nicht leicht. Japanische Marken kämpfen auf dem russischen Markt ums Überleben. Aber andererseits haben sie keine Möglichkeit, stehen zu bleiben und den Markt zu verlassen. Sie müssen ihr Business in Russland fördern und weiter entwickeln. Wir analysieren ständig Trends und geben unsere Empfehlungen darüber, was man machen sollte, um unter diesen Bedingungen nicht unterzugehen. Wir glauben, dass nach dem Ende der Krise unsere Kunden noch erfolgreicher sein werden. Und ihre Erfolge werden auch unsere Erfolge sein. Genau darin liegt auch der Sinn einer geschäftlichen Beziehung. Es ist nicht einfach, hier seine Geschäfte zu führen, aber die Situation lässt sich nicht als negativ bezeichnen.
— Sie haben in Russland aber nicht nur gearbeitet, oder?
— Bis vor Kurzem ging ich ständig aus. Meine Lieblingsorte waren das Zentrum für Design und Architektur Artplay, das Designwerk „Flakon“ sowie Clubs und Restaurants, die sich dort befinden. Ich habe viele Freunde aus der Welt der Kunst und Media. Jedes Wochenende besuchten wir irgendwelche Veranstaltungen. Ich hatte keine Schwierigkeiten damit, bei jeder Privatparty ohne Sondereinladung dabei zu sein. Mich kannte bei diesen Partys einfach jeder.
— Und was ist passiert?
— Die Geburt meiner Tochter hat mein Leben radikal verändert. Sie ist heute zweieinhalb Jahre alt und besucht eine Ballettschule im Ermitage-Garten, wo ein Förderunterricht für ganz Kleine stattfindet. Ich bringe sie regelmäßig dorthin.
Daher muss das Nachtleben Moskaus zurzeit ohne mich auskommen. Aber ich versuche dennoch, am Ball zu bleiben und aktuelle Veranstaltungen zu besuchen, allerdings nur solche, die man auch mit einem Kind besuchen kann, z.B. das beliebte Sommerfestival „Picknick Afischa“.