— Roberto, wie kamen Sie nach Russland?
— Das erste Mal kam ich mit 18 in die UdSSR, genauer gesagt nach Sankt Petersburg bzw. Leningrad, wie die Stadt damals hieß. Ich schrieb mich an der Akademie der Zivilluftfahrt (heute ist das die Sankt Petersburger Staatliche Universität für Zivilluftfahrt, Anm. der Redaktion) ein und studierte dort zwischen 1984 und 1989. Nach meinem Abschluss kehrte ich nach Kuba zurück. Und 1991 wurde ich dienstlich nach Angola geschickt, weil Kuba damals der prosowjetischen Regierung dieses Landes im Kampf gegen Südafrika zur Seite stand. Ich leistete dort einen anderthalbjährigen Dienst ab; ich flog mit den sowjetischen Maschinen AN-26 und AN-50 als Bord-Ingenieur.
Ich beschloss 1995 nach Russland zurückzukehren, ich heiratete ein russisches Mädchen und wurde richtig sesshaft. Die 1990er waren für Russland nicht leicht, und ich konnte keine Arbeit in meiner Fachrichtung finden. Meine Freunde aber machten mich mit einem berühmten mexikanischen Chefkoch bekannt. Er arbeitete damals in einem Restaurant mit lateinamerikanischer Küche auf der Kusnezky-Brücke. Ich kam auf ihn zu und fragte ihn, ob er mir das Kochen beibringen könnte. Ich wollte unbedingt Koch werden, und ich hatte auch das Zeug dazu. Zwei Wochen lang kam ich einfach in seine Küche, und er beobachtete mich nur. Nachdem ich mir meine ersten professionellen Fertigkeiten angeeignet hatte, meinte er, ich wäre geeignet. Ab diesem Zeitpunkt begann mein Leben als Koch.
— Sie sind also Koch ohne eine spezielle Ausbildung. Oder haben Sie irgendwo sonst Kochen gelernt?
— Ich glaube, dass in jedem Menschen ein Koch steckt, und eines Tages kommt diese Fähigkeit zutage. Man muss es nur wollen. Und ich wollte es. Deswegen konnte ich mit meinen ersten Erfahrungen als Koch bereits auch in anderen bekannten Moskauer Restaurants arbeiten. Aber ich brauchte natürlich auch professionelle Kenntnisse. So wurde ich nach Spanien geschickt, um mich weiterzubilden. Ich studierte dort die Besonderheiten der Küche dieses Landes. Ich konnte auch in dem dort sehr bekannten Fleischrestaurant „El Gaucho“ arbeiten. Von dort aus kam ich zur Weiterbildung in die USA, nach Texas. Dort lernte ich die ganze Technologie der Fleischherstellung für die Steaks kennen – von der Weide, wo die Bullen grasen, bis zur Ladentheke, wo ihr Fleisch verkauft wird.
Ich war dann später noch einmal in Amerika, weil ich in New York ein mexikanisches Restaurant eröffnete. Das war auch eine sehr interessante Erfahrung…
— Sie haben die Welt erkundet und kehrten dann doch nach Moskau zurück. Warum?
— Viele meine Kollegen und Freunde leben in verschiedenen Ländern der Welt, und auch ich hatte Angebote, im Ausland zu arbeiten. Aber wie die russischen Militärs zu sagen pflegen: „Wir lassen unsere Leute nicht im Stich.“ Deswegen bin ich hier geblieben. Hier sind meine Kinder und meine Freunde. Ich denke, ich bleibe hier für den Rest meines Lebens.
— Wie viele Kinder haben Sie?
— Ich habe zwei Mädchen. Die ältere Tochter ist schon erwachsen, sie ist 27, und die jüngere ist 14.
— Wo verbringen Sie Zeit mit Ihrer jüngeren Tochter?
— Wir gehen spazieren in den Parks, Grünanlagen, Promenaden und einfach in den großen Läden. Wir lieben den Park Pobedy (z. Dt. Park des Sieges, Anm. d. Übers.). Dort gibt es ein Museum der Militärtechnik unter freiem Himmel, einen schönen Brunnen, und man kann dort Fahrrad fahren oder inlineskaten.
— Und wie oft besuchen Sie Ihre Heimat? Gibt es auf Kuba irgendwelche Veränderungen?
— Ja, natürlich. Ich besuche Kuba jedes Jahr. Dort lebt ja noch meine Familie: mein Vater, meine Mutter und mein Bruder. Ich kann nicht sagen, dass die Insel der Freiheit radikale Veränderungen erfährt. Das einfache Volk ist auf jeden Fall davon nicht betroffen. Die Veränderungen geschehen auf höchster politischer Ebene, dringen aber noch nicht bis in die unteren Schichten durch. Aber die Leute dort dürfen schon einmal ihr kleines Geschäft gründen, u.a. Restaurants. Ich habe in einigen von ihnen bereits zu Mittag und zu Abend gegessen. Mir ist dabei aufgefallen, dass die Qualität der Gerichte und der Bedienung gestiegen ist. Leider gibt es auf Kuba noch wenige Möglichkeiten, gute Produkte und gute Rohstoffe zu kaufen. Es gibt so gut wie keine Märkte, alles muss man dem Staat abkaufen. So müssen Köche und Restaurantbesitzer nach Alternativen für ihre Einkäufe suchen, um die Speisekarten in ihren Restaurants möglichst vielseitig gestalten zu können.
— Wenn man Ihre professionelle Biografie anschaut, sieht man, dass Sie an der Quelle des Restaurant-Business des modernen Russlands standen. Was hat sich Ihrer Meinung nach in den vergangenen Jahren verändert?
— Zuerst herrschten in der sich hier anbahnenden nichtstaatlichen Restaurant-Sphäre wilde Sitten. Aber im Laufe der Zeit wurde in Russland alles zivilisierter und organisierter. Köche und Mitarbeiter in den ersten privaten Restaurants hatten damals faktisch keine Rechte, heute können sie von ihren Arbeitgebern die Einhaltung der jeweiligen Arbeitsvereinbarungen verlangen, und auch das Management funktioniert viel besser. Die Qualität der Gerichte und der Zutaten ist auch viel besser geworden. Damit beschäftigen sich heute große Unternehmen, die im Segment HoReCa tätig sind, sie haben auch alle notwendigen Gesundheitsbescheinigungen und Zertifikate.
Sogar in der Krise können wir die erforderlichen Standards halten. Denn die durch die Sanktionen verbotenen Käsesorten wurden durch andere ersetzt. Sie unterscheiden sich geschmacklich zwar ein wenig vom Original, aber in der Qualität sind sie keinesfalls schlechter. Genauso sieht es auch mit Fleisch aus: Früher hat man ausschließlich das importierte Fleisch gekauft, mit der Einführung der Sanktionen gingen die Restaurants zu den russischen Fleischereierzeugnissen über. Wir arbeiten z.B. mit Fleischherstellern aus Woronesch zusammen. Ich finde, dass das Fleisch, das sie anbieten, eine ausgezeichnete Geschmacksqualität hat. Das Fleisch unterscheidet sich natürlich von seinen amerikanischen oder australischen Äquivalenten, aber nichtdestotrotz handelt es sich dabei um ein sehr würdiges Produkt.
In den letzten Jahren wurde auch der Service in Russland viel besser und die Köche viel erfahrener.
— Wen stellen Sie persönlich in Ihrer Küche ein?
— Ich nehme ausschließlich russische Bürger mit einem russischen Pass, die sich mit Kochen auskennen und bereits in einigen prominenten Restaurants gearbeitet haben. Unsere Probezeit dauert einen Monat. Zuerst kochen sie nicht unmittelbar für unsere Gäste, sondern stehen neben ihren erfahrenen Kollegen, die ihre Arbeit dann kontrollieren.
— Würden Sie auch einen Kubaner einstellen?
— Wenn ein Landsmann kommt, warum nicht? Aber er muss dabei natürlich auch die notwendigen professionellen Fertigkeiten aufweisen. Im Restaurant „Latinskij Kwartal“ arbeitete mit mir z.B. ein Koch aus Peru zusammen.
— Womit überraschen Sie im Pub Lo Picasso Ihre Gäste?
— Ich kam in dieses Restaurant Anfang des Jahres, die Küche hier hat bereits gut funktioniert, aber ich brachte einige Korrekturen für die Speisekarte mit. Ich veränderte die Technologie der Fleischzubereitung und fügte einige neue Rezepte hinzu: klassisches Gazpacho mit Krabbenfleisch, Garnelen in Knoblauchsauce und Empanadas, Pasteten aus Blätterteig mit Fleischfüllung. Sehr gut verkaufen sich auch Gerichte mit Lammfleisch.
— Und was haben Ihre russischen Kunden am liebsten? Was wird am häufigsten bestellt?
— Die beliebtesten Gerichte der Moskauer sind Fleischgerichte und Paella. Sehr gut verkauft sich auch geschmorter Oktopus auf Katalanische Art.
— Wie organisieren Sie ihren Moskauer Alltag? Fahren Sie Auto? Und wie finden Sie die allbekannten Moskauer Staus?
— Ich bin ein erfahrener Fahrer. In Moskau fahre ich Auto seit über 20 Jahren. Die Staus in Moskau gab es schon immer, aber in letzter Zeit machen mir Sorgen nicht sie, sondern die Tatsache, dass es so schwer geworden ist, einen Parkplatz zu finden. Man muss daher die Möglichkeiten der Fortbewegung in der Stadt miteinander kombinieren und auf die Metro oder ein Taxi ausweichen.
— Was sind Ihrer Meinung nach die gravierendsten Veränderungen in Moskau in den letzten Jahren?
— Der Mensch ist ein konservatives Wesen, er gewöhnt sich in der Regel an das Eine, unabhängig davon, ob dieses Eine etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist. Daher wenn sich im Leben etwas ändert, sagen wir aus Gewohnheit, dass früher alles besser war, weil wir dieses Früher einfach besser kennen. Doch nach einiger Zeit finden wir die eingetretenen Veränderungen ganz normal und glauben, dass wir schon immer so gelebt haben.
In Moskau wurde in den vergangenen Jahren vieles besser. Es entstanden viele neue Verkehrsentflechtungen, die wichtigsten Straßen wurden erweitert, es entstanden spezielle Spuren für öffentliche Verkehrsmittel, und es wurde ein kostenpflichtiges Parksystem eingerichtet, welches den zentralen Stadtteil spürbar entlastet hat. Moskau entwickelt sich zu einer sehr modernen Stadt!
— Pflegen Sie Beziehungen zur kubanischen Diaspora?
— Ich bin keiner, der jede Woche seine Landsleute sehen muss. Aber in Moskau gibt es das kleine Café „Aruba“ auf dem Taganka-Platz, wo sich seit vielen Jahren viele Kubaner treffen. Wenn ich da zufällig vorbeikomme, gehe ich auf jeden Fall rein. Dort trifft man immer auf Bekannte.
Und vor Kurzem fahre ich auf dem Lenin-Prospekt und erkenne hinter dem Steuer eines Wagens neben mir einen alten Bekannten aus Kuba, den ich schon viele Jahre nicht mehr gesehen habe. Ich schrie zu ihm rüber, was er hier mache. Und er meinte, dass er geschäftlich hier sei. Moskau bleibt trotz seiner unglaublichen Größe doch eine Kleinstadt.
Ich kenne eine Gruppe Kubaner, die hier Baseball, unser geliebtes Nationalspiel, spielt. Ich möchte sie schon seit Längerem kennenlernen. Und ein bis zweimal pro Jahr veranstaltet unsere Botschaft in Moskau Partys für die hiesigen Kubaner. Doch es gibt für mich nicht viele Möglichkeiten für solche Treffen, denn den Löwenanteil der Zeit nimmt die Arbeit ein, und meine Freizeit verbringe ich gern mit meinen Kindern.
— Was würden Sie den Leuten empfehlen, die nach Russland als Angestellte kommen oder hier ihr eigenes Geschäft starten möchten?
— Das Erste, womit man anfangen sollte, sind Russischsprachkurse. Man sollte die russische Sprache sprechen. Als Nächstes sollte man alles daran setzen, dass alle persönlichen und geschäftlichen Dokumente im Rahmen der Beschäftigung in Ordnung sind. Und der dritte Punkt ist die Suche nach einem zuverlässigen Freund und Geschäftspartner, der sich mit der Businessführung in diesem Land auskennt.
— Kennen Sie Beispiele einer erfolgreichen Businessführung bei Ihren Landsleuten?
— Ja. In Moskau gibt es ein sehr bekanntes Restaurant „Staraja Gavana“ (dt. „Altes Havanna“, Anm. d. Übers.), das bereits in den 1990er Jahren eröffnet wurde und Unternehmern und Restaurantbetreibern aus Kuba gehört. Auch heute noch starten hier die Kubaner ihr kleines Business. Zum Beispiel alles, was mit kubanischen Zigarren zu tun hat, denn die sind in Russland sehr beliebt. Auch meine Familie auf Kuba betreibt übrigens ein Zigarren-Business: Sie baut den Tabak an und verkauft ihn. Mein Bruder verließ erst vor Kurzem das Familienunternehmen, als er mit dem Rauchen aufhörte.
— Was schätzen Sie an Ihrem Beruf am meisten?
— Schöne Lebensmittel und begabte Kochhände. Doch noch wichtiger sind für mich die Seele eines Kochs und die Gemütsverfassung, die er beim Kochen in Bezug auf seine Gäste hat. In der Küche schimpfe ich sehr selten auf meine Köche und lasse auch nicht zu, dass sie sich untereinander streiten. Egal wie man es nimmt, aber in der Küche muss vor allem gute Laune herrschen!