— Herr Eagan, die KPMG ist nicht einfach weltweit bekannt, sie gehört zusammen mit Deloitte, Ernst & Young und PwC zu den sogenannten „Big Four“ unter den Prüfungsgesellschaften, den renommierten Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen, die weltweit agieren. Ich war etwas überrascht, als ich erfuhr, dass die KPMG eine Art globale Vereinigung ist, d.h. ein Netzwerk von unabhängigen Unternehmen darstellt, die unter dem gleichen Namen auftreten.
— Ja. Auch die KPMG in Russland und in der GUS ist eine unabhängige, selbstständige und selbstgesteuerte juristische Person in Russland. Wir sind im internationalen Netzwerk von unabhängigen Unternehmen, aber ohne eine spezielle Leitung von oben. Alle Entscheidungen treffen wir im Alleingang, und alles, was wir verdienen, gehört uns allein.
— Und wie sieht es mit den KPMG-Niederlassungen in verschiedenen Städten Russlands aus? Sind das auch unabhängige Unternehmen?
— Nein. Wir sind in den GUS-Ländern tätig und die Niederlassungen sind ein Teil von der „KPMG in Russland und in der GUS“.
— Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
— Bei der KPMG in Russland und in der GUS arbeiten über 4.000 Mitarbeiter. Die meisten sind in Moskau, das sind ca. 3.000.
— Und welche Fachkräfte sind in der Überzahl: die ausländischen oder die lokalen?
— 99% sind bei uns Fachkräfte, die aus Russland und den GUS-Ländern stammen.
— Wie ist es Ihnen gelungen, eine so große Mitarbeiterzahl zu finden?
— Wir unternehmen immer wieder Personalbeschaffungsaktionen und andere Maßnahmen an den Hochschulen in der RF und in den GUS-Ländern. So veranstalten wir zum Beispiel regelmäßig unseren traditionellen internationalen Studenten-Wettbewerb „KPMG International Case Competition“. Dabei kämpfen verschiedene Mannschaften, bestehend aus jeweils mehreren Studenten, um die beste Lösung der ihnen von der KPMG vorgegebenen Fallstudien. Es geht dabei um ganz konkrete Probleme und Aufgaben, die sie erleben werden, wenn sie bei uns arbeiten. Die Sieger kommen ins Finale, wo sie dann gegen die Mannschaften aus der ganzen Welt antreten. Letztes Jahr fand der finale Wettbewerb in Dubai statt. Wir bieten aber auch andere Programme an.
— Und was meinen Sie, können unsere Hochschulen das erforderliche Bildungsniveau für Ihre zukünftigen Spezialisten bieten?
— Das Bildungsniveau für zukünftige Fachleute an den russischen Universitäten ist gut. Aber bei meinem eigenen Studium hatte ich Dozenten, von denen die meisten ehemalige Fachleute in den Unternehmen der „Big Four“ waren. Viele von ihnen führten damals selbst sehr erfolgreiche Unternehmen. Und so haben sie versucht, ihren Studenten die konkrete Arbeit in der Praxis nahe zu bringen. Am Ende meines Studiums hatte ich daher ziemlich klare Vorstellungen gehabt, was mich erwartet und was ich zu tun habe. Ein solcher praktischer Zugang fehlt an den russischen Hochschulen vermutlich noch.
— Im Hinblick auf die gegenseitigen Sanktionen vonseiten des Westens und Russlands ist das Agieren für internationale Unternehmen bestimmt schwieriger geworden. Spüren Sie das auch innerhalb Ihres Unternehmens?
— Wir merken, dass die Situation auf den Märkten schwieriger geworden ist und dass die Investitionen zurückgehen. Das wird uns auch von unseren Kunden bestätigt. Manche Unternehmen beenden ihre Projekte oder investieren in ihre Projekte weniger als davor. Auch der IPO-Anteil auf den internationalen Börsen hat sich verringert. Doch trotz dieser Situation erhalten wir hier viel mehr Anfragen vonseiten der Unternehmen in Russland als auf den entwickelten Märkten.
— In Russland sind zurzeit sowohl die sogenannten „Big Four“ als auch andere, lokale Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen tätig. Wie hoch ist die Konkurrenz?
— Ja, die gibt es. Doch die Konkurrenz hier ist nicht so scharf wie zum Beispiel in den USA oder in Deutschland. Die Märkte, die sich gerade in der Entwicklungsphase befinden, bieten viel mehr neue Projekte und Möglichkeiten für ihre Realisierung. Deswegen ist hier noch Platz für alle. Kleinere lokale Unternehmen, die keine Möglichkeit haben, eine allumfassende Wirtschaftsprüfung durchzuführen und keine internationalen Erfahrungen auf diesem Gebiet haben, bieten ihre Dienstleistungen eher für kleine Unternehmen an. Die international aufgestellten Beratungsunternehmen bieten Dienstleistungen für mittlere und große Unternehmen.
— Außer der Wirtschaftsprüfung beschäftigen Sie sich noch mit Fragen der Befolgung der Forderungen aus dem Sarbanes-Oxley Act (SOX). Es geht dabei um interne Kontrollen bei den Vorbereitungen der Finanzberichterstattung der Unternehmen. Doch dieses Gesetz betrifft eher solche Aktiengesellschaften, deren Wertpapiere auf der amerikanischen Börse gelistet sind. Gibt es viele russische Unternehmen, die sich in diese Kategorie einordnen lassen?
— Viele Unternehmen, die ich in dieser Hinsicht berate, sind Tochterunternehmen von internationalen Gesellschaften, große internationale Unternehmen oder Firmenzentralen mit Niederlassungen in den USA. Es gibt noch nicht viele russische Unternehmen, die an den amerikanischen Börsen gelistet sind. Aber ich habe bereits mit russischen Unternehmen gearbeitet, die bis zum Eintreten der jetzigen Situation vorhatten, ihre Aktien auf den amerikanischen Börsen zu platzieren. Doch dieser Markt ist in Russland leider noch sehr klein. Obwohl sein Potenzial einfach riesig ist.
— Russische Unternehmen gehen mit ihren IPOs in der Regel nicht an die amerikanischen, sondern an die Londoner Börsen. Woran liegt das?
— Das hängt von dem jeweiligen Unternehmen ab und davon, was dieses Unternehmen macht. Außerdem ist eine Aktienplatzierung an einer Börse keine einfache und dazu noch eine ziemlich kostspielige Angelegenheit. Auf den amerikanischen Börsen kann ein russischer Emittent (wie auch jeder andere ausländische Emittent) seine Aktien nicht direkt platzieren. Dies muss über sogenannte American Depositary Receipts (ADR) geschehen. Das bedeutet, dass ein Unternehmen seine Aktien zuerst bei einer amerikanischen Bank deponieren muss. Daraufhin begibt diese amerikanische Bank auf diese Aktien eigene Wertpapiere (ADR), die auch an den ausländischen Börsen, u.a. auch an den amerikanischen, gehandelt werden. Ein Investor kauft somit nicht die russische Aktie selbst, sondern ein Bankzertifikat auf diese Aktie. Zudem ist eine Emission in London billiger.
— Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere des russischen Finanzmarktes?
— Die größte Besonderheit für einen Investor liegt vermutlich darin, dass Russland und sein Business sehr stark von den Ölpreisen abhängig sind. Dabei ist es ganz egal, was ein Unternehmen macht, seine Bilanzen hängen stark von den Ölpreisen ab. Es gibt einige russische Unternehmen, die letztes Jahr gute Ergebnisse erzielt haben. Doch ihre Aktienpreise gingen trotzdem runter. Für einen ausländischen Investoren kann eine solche Situation auch ganz neue Möglichkeiten schaffen.
1. Das Wichtigste für ein Business (und nicht nur) ist Geduld.
Man braucht Zeit, um etwas machen und etwas erreichen zu können.
2. Bauen Sie auf zuverlässige Menschen.
Umgeben Sie sich mit treuen Mitarbeitern, mit solchen, die in Ihrem Unternehmen bleiben wollen.
3. Lernen Sie die lokalen Realien kennen.
Bitten Sie erfahrene russische Fachleute, Ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
4. Berücksichtigen Sie die russische Mentalität.
Versuchen Sie zu verstehen: Etwas, was die Leute hier stimuliert und motiviert, kann sich von dem unterscheiden, was in Ländern mit stärker entwickelten Märkten funktioniert.
5. Lernen Sie aus fremden Fehlern und Errungenschaften.
Verlassen Sie sich nicht nur auf Ihre eigenen Erfahrungen, sondern nutzen Sie die Erfahrungen anderer Fachleute.
— Was sind Ihrer Meinung nach die Besonderheiten der russischen Business-Kultur?
— Im Westen glauben die Unternehmer viel mehr an die bestehenden Strukturen und verlassen sich auf sie. In Russland zählt in erster Linie der menschliche Faktor: Man verlässt sich nicht auf die staatlichen oder gesellschaftlichen Strukturen, sondern vertraut eher dem Menschen. Meiner Meinung nach ist das der größte Unterschied, den man berücksichtigen muss, wenn man in Russland investieren möchte.
— Kann das zu einem Problem für die Investoren werden?
— Das ist weniger ein Problem, sondern eher eine Tatsache, die man berücksichtigen muss. Wenn wir aber über Probleme sprechen, dann liegen sie eher darin, dass die Menschen hier oft nicht zukunftsorientiert denken, vor allem nicht weit in die Zukunft schauen wollen. Diese Einstellung kann die Endergebnisse beeinflussen. Doch ich glaube nicht, dass das ein sehr großes Problem darstellt. Doch ich wünsche mir trotzdem, dass die Leute hier etwas weiter vorausdenken, vielleicht fünf bis zehn Jahre im Voraus.
— Noch eine Frage zum Thema „menschlicher Faktor“: Ist es schwer, mit russischen Geschäftsleuten zusammenzuarbeiten? Wie zuverlässig sind sie?
— Nach meiner eigenen Erfahrung kann ich bestätigen, dass sie zuverlässig sind. In Russland kann man den Geschäftsleuten und den Menschen glauben. Sie halten ihr Wort.
— Sie sind in Moskau seit 2008 tätig. Wie hat sich in dieser Zeit das Klima für ein ausländisches Business in Russland verändert?
— Rein wirtschaftlich gesehen gab es in meiner Angangszeit hier viel mehr Möglichkeiten als jetzt. Die Kaufkraft des Rubels war viel höher, für einen Dollar hat man damals etwas mehr als 23 Rubel bekommen. Auch die Unternehmensgewinne fielen höher aus. Heute, bedingt durch die Kursschwankungen des Rubels, gibt es viel mehr Ungewissheit, und die Gewinne der Unternehmen, die ihre Waren in Russland verkaufen, sind gesunken.
— Einige von Ihren Kollegen sehen ein großes Problem in der Ungewissheit der russischen Business-Regulierung. Und in der Tatsache, dass die „Spielregeln“ so oft geändert werden.
— Bei diesem Thema muss man ganz konkret bleiben. Ja, auf dem Markt herrscht heute viel Ungewissheit. Die Steuergesetzgebung und die Preise verändern sich. Einerseits können die Investitionen in dieser Zeit sehr effektiv sein. Andererseits gibt es bei den sich entwickelnden Märkten große Risiken. Deswegen sind zurzeit nicht alle gewichtigen ausländischen Unternehmen bereit, auf den russischen Markt zu kommen. Ich glaube nicht, dass man alles ganz leicht und sofort regeln könnte. Auf dem sich entwickelnden Markt wird solch eine Situation einfach bestehen bleiben.
— Und dennoch: Ist das Investitionsrisiko in Bezug auf die russische Wirtschaft heute gerechtfertigt?
— Ende der 1990er Jahre ging es der russischen Wirtschaft nicht besonders gut, dennoch haben viele Investoren gute Gewinne machen können. Auch eine Krise schafft neue Businessmöglichkeiten. Für einen ausländischen Investor ist es günstiger geworden, in Russland einzukaufen. Es gibt da natürlich auch gewisse Risiken. Aber im Großen und Ganzen glaube ich, dass die Risiken heute völlig gerechtfertigt sind.
— Einzukaufen ist billiger geworden. Aber was genau?
— Wenn wir über die Börse sprechen, dann sind es die russischen Aktien, die heute sehr günstig sind. Wenn man noch das Verhältnis zwischen dem Kaufpreis und dem Gewinn zukunftsorientiert mitberücksichtigt, geht es mit dem Markt bergauf. Und in einigen Jahren kann man dann mit einem guten Gewinn rechnen. Dies bringt sehr große Möglichkeiten für die Zukunft.
— Und außerhalb der Börse? Welche Sektoren der russischen Wirtschaft könnten interessant werden?
— Im Hinblick auf die Investitionen besitzen die Landwirtschaft und die neuen Technologien ein gutes Potenzial im heutigen Russland.
— Was ist aussichtsreicher: fertige Waren einzuführen oder eine eigene Produktion in Russland zu starten?
— Das hängt von dem Tätigkeitsprofil ab und von den Risiken, die ein Unternehmen bereit ist einzugehen. Wenn ein Unternehmen mit einer längerfristigen Perspektive und einem längerfristigen Gewinn rechnet, kann es sich für das Unternehmen lohnen, in die Produktion zu investieren. Wenn ein Unternehmen kein Risiko eingehen möchte und eher darauf setzt, schnelle Gewinne zu erzielen, lohnt es sich eventuell, schon fertige Produkte einzuführen. Natürlich wachsen mit der Politik der Importsubstitutionen und mit der Verteuerung des Importes die Möglichkeiten für solche Unternehmen, die vorhaben, ihre eigenen Unternehmen oder Joint-Ventures in Russland zu starten. Genau das beobachten wir heute in Russland.
— Also, was würden Sie einem potentiellen Investor empfehlen: Abwarten, bis die Wirtschaftswogen sich geglättet haben, oder doch in See stechen?
— Man weiß ja nie, wann sich ein Sturm legt. Der Markt wurde günstiger, was für die Investoren die beste Gelegenheit bedeuten kann.
— Dann lassen Sie uns über ganz konkrete Dinge und konkrete Risiken sprechen, die auf einen ausländischen Unternehmer lauern können. Ist es schwer für einen Ausländer, heute sein Business in Moskau zu starten?
— Das glaube ich nicht. Man muss lediglich gute lokale Geschäftspartner finden, die auch gute Fachleute sind. In Russland gibt es heute viele talentierte und hochmotivierte Menschen, die etwas von ihrem Handwerk verstehen. Sie werden hier kein Unternehmen führen können, wenn Sie sich nur auf irgendwelche Lehrbücher stützen oder darauf, was in Deutschland oder Japan passiert.
— Man sagt, dass die russische Bürokratie eines der größten Probleme für die Unternehmen darstellt.
— Bürokratie gibt es überall. Manche werden zum Beispiel von den Schwierigkeiten bei der Erstellung eines Arbeitsvisums für Russland abgeschreckt. Der Prozess ist zwar zeitaufwendig, stellt aber dennoch keine Schwierigkeit beim Start eines Unternehmens dar.
— Die Ausländer werden in der Regel auch von der bereits häufig erwähnten russischen Korruption abgeschreckt. Ist diese wirklich so schlimm?
— Korruption existiert nicht nur in Russland, sondern auch auf jedem anderen beliebigen Markt der Welt. Doch ganz viele Unternehmen, u.a. auch amerikanische, schaffen es trotzdem, bei ihrer Tätigkeit in Russland Korruption zu vermeiden. Und sie arbeiten sehr erfolgreich damit. Daher glaube ich nicht, dass die Korruption ein größeres Problem darstellt.
— Sie sehen die Dinge mit der Pragmatik eines erfahrenen Moskauers. Wie wurde eigentlich ein Amerikaner zu einem Moskauer?
— Ich wollte das. Nach meiner Tätigkeit in China wollte ich etwas Neues ausprobieren, sowohl im wirtschaftlichen als auch im kulturellen Sinne. Der russische Markt schien mir da ziemlich interessant zu sein.
— War es schwer für Sie, sich an dem neuen Ort einzuleben?
— Ich hatte dabei keine besonderen Schwierigkeiten. Vor allem nach meiner Erfahrung in China. Die Arbeit dort war für mich eine weitaus größere Herausforderung als die Arbeit hier: Russland ist, was die Kultur betrifft, viel näher an Amerika als China.
— Sprechen Sie Russisch?
— Nein, nicht wirklich, ich kann nur ein paar Brocken. In meinem Alltag reicht mir mein Englisch. In Moskau sprechen viele Englisch.
— Fühlen Sie sich hier sicher?
— Ja, absolut. Moskau ist eine sehr sichere Stadt, jedenfalls viel sicherer als viele amerikanische Städte.
— Man sagt über Moskau, eine der teuersten Hauptstädte der Welt zu sein.
— Nach dem Absturz des Rubel-Kurses stimmt das nicht mehr. Die Mietpreise sind hier aber in der Tat ziemlich hoch, vor allem für neue Apartments.
— Und was vermissen Sie hier am meisten?
— Frische Hummer. (lacht). Und Basketball-Spiele, die man in einer Sportbar im Fernsehen verfolgen kann.
— Wenn Sie die Zeit um acht Jahre zurückdrehen könnten, würden Sie Ihre Erfahrungen in Moskau wiederholen wollen?
— Ohne jeden Zweifel.